„Die Erde wartet“

Ausgabe 300

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Die muslimische Gemeinde in New York trifft die COVID-19-Pandemie hart. Ein Beerdigungshaus auf Coney Island kommt kaum hinterher. Von Thomas Spang

(KNA). Viele kamen allein aus Pakistan, Bangladesch oder Indien, um in der Metropole New York den amerikanischen Traum zu leben. Sie verdienten ihr Geld als Taxifahrer, Küchenhilfen oder auf dem Bau, allesamt Branchen, die besonders unter der ­Pandemie leiden. Einige infizierten sich mit dem tödlichen Virus und starben so allein, wie sie in New York lebten.

Ahmed, der mit seinem Schwager Zafar das muslimische „Al-Rayaan“-Trauerhaus an Coney Island Avenue gleich neben der Moschee betreibt, führt keine Statistik. Aber er weiß, dass viele Leichen von an COVID-19 verstorbenen Muslimen bei ihm landen, die keine Angehörigen in New York oder in den USA haben.

Einem Reporter der „New York Times“ erzählte der Bestatter, er habe an einem Tag sieben Körper nach Pakistan versandt. Das ist eine besondere Herausforderung, weil nach den Traditionen im Umgang mit dem Tod alles sehr schnell gehen muss und eine Einäscherung nicht infrage kommt. „Das ist nicht einfach“, meint Ahmed, der zurzeit am Tag im Schnitt 15 Bestattungen abwickeln muss – die Hälfte von dem, was sonst in einem ganzen Monat ansteht. Wenn die Angehörigen nicht gefunden werden oder die Überführung nicht bezahlt werden kann, sprechen Mitarbeiter und Mitglieder der Gemeinde das traditionelle Totengebet Janazah. „Im Islam wird das als gemeinschaftliche Aufgabe verstanden“, sagt Khalid Latif vom „Islamic Center“ an der New York University.

Obwohl sie in einzelnen Berufs­gruppen stärker vertreten sind, machen Muslime mit rund drei Prozent nur einen kleinen Teil der Bevölkerung von New York aus. Latif hört aus der versprengten Gemeinde, wie schwer es schon unter normalen Umständen ist, eine Beer­digung nach dem vorgeschriebenen ­Ritus zu organisieren. Jetzt sei dies noch schwieriger.

Bei ihm hätten sich Betroffene gemeldet, sagt Latif, die von Preiswucher bei den Bestattern berichten. Während eine muslimische Beerdigung gewöhnlich etwa 2.000 Dollar koste, verlangten ­einzelne Unternehmen in der Pandemie bis zu 10.000 Dollar. Ein Teil der Mehrkosten sei gerechtfertigt, weil COVID-19 den gesamten Prozess erschwert und verlangsamt habe.

Das „Islamic Center“ startete deshalb das „Janazah Project“, das fast 200.000 Dollar an Spenden sammelte, um muslimischen Trauerhäusern zu helfen, die Kosten für die Angehörigen niedrig zu halten. Mit den Mitteln können unter anderem Kühlwagen angeschafft werden, in denen beispielsweise auch das „Al-Rayaan“-Trauerhaus in Brooklyn die Leichen aufbewahrt.

Und dann gibt es die Gerüchte, die oft schlimmer sind als die finanziellen Sorgen: Raja Abdulhaq, der Direktor des „Majlis Ash-Shura Islamic Leadership Council“ von New York, in dem sich 90 Gemeinden zusammengeschlossen haben, erzählt von Berichten, Muslime ohne Familienangehörige landeten in Massengräbern oder würden verbrannt. Beides stimme nicht, so Abdulhaq, aber es trage zur Verunsicherung bei.

„New York kann in Zeiten wie diesen sehr einsam machen“, meint Latif, der um die Sorgen der Minderheit weiß. „Und wenn die Regierung nicht tut, was sie tun müsste, sind wir ganz besonders gefordert.“ Auch wegen der Beschränkungen, die alle Angehörigen treffen. Etwa, dass zu Beerdigungen nur die absolut erforderliche Zahl an Angehörigen kommen darf.

Die muslimischen Bestatter von „Al-Rayaan“ versuchen ihr Bestes. Sie arbeiten oft ohne Pause, manchmal fast rund um die Uhr. An den Wänden lehnen die einfachen Holzsärge, die schon mit den Namen der Toten im Kühlwagen versehen sind. Da viele Mitarbeiter Angst vor dem Virus haben, springen nun Familienangehörige, Freunde und Bekannte ein.

„Die Erde wartet“, beschreibt Miteigentümer Zafar den religiösen Zeitdruck. Allah wolle, dass eine Person so schnell wie möglich beerdigt werde. „Du möchtest das Grab niemals auf Dich warten lassen.“