Die Geographie der Armut

Ausgabe 257

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(IPS). Im Jahre 2000 einigten sich Weltführer, die Hälfte aller Fälle von Menschen, die in Armut leben, bis 2015 reduziert zu haben. 2005 wurde dieser Maßstab als ein Tageseinkommen von 1,25 US-Dollar festgelegt und 2015 auf 1,90 erhöht. Da die Lebenshaltungskosten global ungleichmäßig ansteigen, hat die Weltbank ihre Definition der Armutsgrenze angepasst, welche diesen Änderungen gerecht wird. Dennoch gibt es Bedenken darüber, wie diese Linie in den letzten Jahren festgelegt und überarbeitet wurde.
Nach Schätzungen des globalen Finanzriesens leben 12,7 Prozent der Weltbevölkerung an oder unter der Armutslinie von 2012 (1,90 USD). 1990 waren 37 und 1981 44 Prozent. Das bedeutet, dass im Jahre 2012 896 Millionen Menschen von 1,90 US-Dollar oder weniger pro Tag leben müssen (1990: 1,96 Mrd.; 1981: 1,99 Mrd.).
Der weltweite Fortschritt der Armutsverringerung war in den letzten drei Jahrzehnten mäßig und wirkte sich sehr unterschiedlichen in den jeweiligen Regionen aus. In Ostasien kam es zur dramatischsten Reduktion extremer Armut (1981: 80 Prozent; 2012: 7,2 Prozent). Das liegt vorrangig an dem sehr schnellen Wachstum in China seit den 1980ern. In Südasien fielen die Zahlen von 58 Prozent (1981) auf 18,7 (2012). Im subsaharischen Afrika nahm die extreme Armut kaum ab, sondern lag 2012 immer noch bei 42,6 Prozent.
Das heißt, obwohl die globalen Raten geringer wurden, leben immer noch sehr viele Menschen in absoluter Mittellosigkeit. 2012 fanden sich allein 140 Millionen Arme in China, 309 Millionen in Südasien und 388,7 Millionen im subsaharischen Afrika.
Hinzukommt, dass das Absinken der Armut uns noch nichts darüber sagt, wie weit die verbleibenden Mittellosen unter der Armutsgrenze leben. Im subsaharischen Afrika sind es sehr viele. Ihr Durchschnittsverbrauch liegt derzeit bei 70 Cent pro Tag; kaum mehr, als es 20 Jahre vorher waren. Bei den vorherrschenden Wachstumsraten soll ein Viertel der Afrikaner immer noch weniger als 1,90 US-Dollar täglich konsumieren.
Des Weiteren verlangsamt sich der Fortschritt, je höher die Armutsgrenze steigt. Über 2,1 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern lebten 2012 weltweit von weniger als 3,10 US-Dollar pro Tag. 1990 waren es 2,9 Milliarden Menschen. In diesem Zeitraum halbierte sich der Anteil der Menschen, die unterhalb dieser Linie existieren mussten, von 66 Prozent (1990) auf 35 (2012).
Global dürften viele nicht als mittellos gelten. Sie sind aber nichtsdestotrotz sehr verletzlich. Für diejenigen, die kaum mehr als die in der Armutsgrenze festgelegte Summe haben, kann ein Wandel nur temporär sein. Wirtschaftliche Erschütterungen, Lebensmittelunsicherheit und Klimawandel drohen, ihnen die hardverdienten Zuwächse zu entziehen und sie zurück in die Armut zu treiben.
Über das Einkommen hinaus gibt es weitreichende Mängel in den menschlichen Bedingungen. Diese sind weitreichend; nicht nur in den meisten Ländern mit niedrigem Einkommen, sondern auch in vielen mit einem mittleren Durchschnittseinkommen. Dazu gehören: Zugang zu grundlegender Bildung, Gesundheitspflege, moderne Energie, sicheres Wasser und andere wichtige Dienstleistungen. Festgelegt werden diese Dinge durch den sozioökonomischen Status, das Geschlecht, die ethnische Herkunft und Geografie. Für viele bleiben sie unerreichbar.
Die weltweite Verteilung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten verschoben. Während 1981 57 Prozent der Mittellosen weltweit im Raum Asien-Pazifik lebten, war die gleiche Region 2012 nur noch die Heimat von 16 Prozent aller Betroffenen. Im Kontrast dazu vervierfachte sich der Anteil des subsaharischen Afrika von 10,7 Prozent (1981) auf rund 41 (2012). Und der südasiatische Anteil, obwohl dort die interne Armutsrate halbiert wurde, stieg um 10 Prozent auf 39,5 Prozent an. Häufig wird Armut mit Wachstum in Verbindung gebracht. Allerdings sank die Armutsrate in Indien zwischen 1990 und 2008 trotz eines beeindruckenden Wirtschaftswachstums nur von 51 auf 37 Prozent.
1990 lebten 93 Prozent aller globalen Mittellosen in Ländern mit niedrigem Einkommen (LIC). 2007-2008 kamen 75 Prozent aus Staaten mit einem statistisch mittleren Einkommen (MICS). Ein Viertel der Betroffenen, schätzungsweise 390 Millionen Menschen, lebten in den 39 LICs – überwiegend im subsaharischen Afrika. Nach Schätzungen der Weltbank liegt der Anteil der MICs an Armen derzeit bei 73 Prozent. Das heißt, dass die meisten Ärmsten der Welt nicht länger in den LICs beheimatet sind.
Nur fünf Länder (China, Indien, Pakistan, Indonesien und Nigeria) zeigen sich für diese Verschiebung verantwortlich. Jenseits der Giganten China und Indien stieg der Armutsanteil der MICs nur von 7 auf 22 Prozent an. In absoluten Zahlen hat sich am Anteil der niedrigsten globalen Verdiener kaum etwas verändert.
Ironischerweise ist Armut vor allem dort weitverbreitet, wo die betroffenen Staaten rohstoffreich sind. Diese Länder haben 37 Prozent der Armen. Und das, obwohl es seit Jahrzehnten einen globalen Boom auf den Rohstoffmärkten gibt. Nimmt man den Faktor der Konfliktzone hinzu, so leben beinahe 50 Prozent aller Mittellosen in Ländern, die sowohl reich an Bodenschätzen sind, als auch unter Konflikten leiden beziehungsweise instabil sind.
Die wachsende Ungleichverteilung bedeutet, dass die steigenden Pegel nicht alle Boote angehoben haben. Insbesondere nicht die der Armen. Bis vor Kurzem weitete sich nicht nur der Graben zwischen den Ländern des Nordens und Südens. Auch ging die Schere der Einkommensunterschiede in den jeweiligen Regionen immer weiter auseinander.