„Die größte Eskalation“

Ausgabe 251

Foto: Oleg Litvin | Lizenz: CC BY-SA 3.0

(Eurasianews.de). Der aserbaidschanische Botschafter in Berlin, Parviz Sahbazov, äußerte sich in einem Interview zu den jüngsten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in und um die Kaukasusrepublik. Im Fokus standen vor allem der kürzlich wieder aufgeflammte Konflikt um die Region Berg-Karabach und die energiepolitischen Projekte TAP und TANAP.

Frage: Die jüngste Eskalation rund um Berg-Karabach hat Besorgnis über einen neuen Unruheherd ausgelöst.

Parviz Sahbazov: Wir haben seit 1994 mit Armenien einen Waffenstillstand, der allerdings immer wieder brüchig ist. Wir haben Anfang April die größte Eskalation seit dem Waffenstillstandsabkommen erleben müssen, die leider auch viele Menschen das Leben gekostet hat. Am 5. April 2016 wurde dann in Moskau unter der Vermittlung Russlands zwischen den Generalstabschefs der jeweiligen Streitkräfte von Armenien und Aserbaidschan eine erneute Waffenruhe vereinbart.

Aber diese Ereignisse zeigen deutlich: Der Berg-Karabach-Konflikt ist kein „frozen conflict“. Denn solange die Streitkräfte Armeniens die militärische Okkupation der aserbaidschanischen Gebiete fortsetzen und das Leben der aserbaidschanischen Zivilisten gefährden, kann der Konflikt jederzeit wieder eskalieren und stellt damit eine ernste Gefahr für die Stabilität und Sicherheit im Südkaukasus dar.

Frage: Einige Verschwörungstheorien sehen hinter den vorübergehend neu entfachten Kampfhandlungen eine vermeintliche Regie aus Ankara und den Versuch, angesichts des Scheiterns des beabsichtigten Regimewechsels in Syrien und der verschlechterten Beziehungen zu Russland einen neuen Stellvertreterkrieg zu schaffen.

Parviz Sahbazov: Der Berg-Karabach-Konflikt ist ein zwischenstaatlicher Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Armenien hält seit mehr als 20 Jahren fast ein Fünftel unseres Staatsterritoriums, dabei nicht nur die Berg-Karabach-Region, sondern auch sieben andere umliegende Gebiete, völkerrechtswidrig besetzt und verweigert mehr als einer Million aserbaidschanischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen die Heimkehr. Der UN-Sicherheitsrat hat Armenien in vier Resolutionen 1993 aufgefordert, die völkerrechtswidrige Okkupation der aserbaidschanischen Gebiete zu beenden. Auch der Europarat und das Europäische Parlament forderten entsprechend 2005 und 2013 den Rückzug der armenischen Streitkräfte aus den besetzten Gebieten. Diese Forderungen werden seitens Armeniens bis heute ignoriert.

Seit dem Waffenstillstand versuchen wir mit Vermittlung der Minsk-Gruppe der OSZE, diesen Konflikt friedlich zu lösen. Die Kovorsitzenden der Minsk-Gruppe – Russland, Frankreich und die USA – haben bisher viele Gespräche zwischen den Staatspräsidenten beider Länder organisiert. Die Bemühungen im Rahmen der OSZE konnten bisher leider keinen Erfolg erringen, weil Armenien keine konstruktive Haltung einnimmt und das geltende Völkerrecht missachtet.

Den Grund für die jüngsten Kampfhandlungen sowie für alle früheren Eskalationsfälle muss man nicht in Verschwörungstheorien, sondern in der völkerrechtswidrigen Anwesenheit der Streitkräfte Armeniens auf aserbaidschanischem Boden suchen.

Frage: Aserbaidschan wird voraussichtlich einer der Profiteure des Baus der TANAP-Pipeline. In welcher Form wird Aserbaidschan von dem Projekt profitieren?

Parviz Sahbazov: Mit den Entscheidungen über die TAP- und TANAP-Projekte, mit denen aserbaidschanisches Erdgas seinen direkten Weg auf den europäischen Markt finden wird, hat sich Aserbaidschan zu einer Schlüsselposition im südlichen Gaskorridor aufgeschwungen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens über die Investitions-Entscheidung um das Gasprojekt Shah Deniz II im Dezember 2013 wurde die Versorgung des südlichen Gaskorridors mit aserbaidschanischem Erdgas endgültig gesichert.