Die ignorierten Kriege Afrikas

Ausgabe 277

Foto: Andy Wheatley, DFID, flickr | Lizenz: CC BY 2.0

(IPS). Bewaffnete Konflikte haben Millionen ­Menschen in verschiedenen afrikanischen ­Nationen entwurzelt. Das dürfe man nicht vergessen, sagt der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) in seiner Veröffentlichung über die am häufigsten ignorierten Fluchtkrisen weltweit. „Es ist ein trauriges Verhaltensmuster. Wieder einmal schafft es die Krise auf dem afrikanischen Kontinent kaum in die Schlagzeilen oder die außenpolitische Tages­ordnung, bevor es zu spät ist“, meinte NRC-Generalsekretär Jan Egeland.
Zu den diesjährigen Ergebnissen gehört, dass sechs von zehn übersehenen weltweiten Konflikten in Afrika stattfinden. Die Demokratische Republik Kongo (DRC) – wo in den Jahren der inneren Kämpfe mehr als fünf Millionen Menschen vertrieben wurden – führt die Liste an. Hinzukommen Südsudan, die Zentralafrikanische Republik, Burundi und Äthiopien.
Warum aber werden diese Konflikte so ­vernachlässigt? Am meisten sorgen sich die Norweger um den fehlenden politischen und diplomatischen Willen. „Wir, der Westen, sind gut darin, die Dinge zu übersehen, die für uns nicht von geopolitischem Interesse sind“, meinte NRC-Sprecherin Tiril Skarstein. „Die Länder auf der Liste gelten häufig als strategisch wenig bedeutsam. Und daher gibt kein internationales Interesse daran, hier eine Lösung zu finden.“
Skarstein ist der Ansicht, dass bei einigen ­Staaten das Gegenteil der Fall sei. Hier gebe es viele Akteure mit konkurrierenden politischen Interessen, die an den Konflikten teilhätten. Das gelte für Fälle wie Jemen und ­Palästina, wo politische Gewinne Vorrang vor dem Leben von Zivilpersonen hätten.­ Darüber hinaus sei Mangel an politischem Willen, auf Lösungen hinzuarbeiten, eines von drei Kriterien, warum jene Krisen es auf die Liste des Flüchtlingsrates geschafft haben.
Nach Ansicht der skandinavischen NGO stünde das Leid afrikanischer Flüchtlinge ­dauerhaft zu wenig im „Bewusstsein des ­Westens“. Ihre Geschichten würden nicht in dortigen Nachrichten und Medien berichtet. Und wenn doch, dann gewiss nicht im ­gleichen Maße wie andere humanitäre Konflikte auf der Welt. Skarstein führte fort und verglich die Lage in Syrien mit der im Kongo. In beiden Fällen seien es rund 13 Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen seien.
„Viele Menschen wissen das nicht. Wieso? Weil beide ganz unterschiedliche Grade von internationaler Aufmerksamkeit erhalten“, sagte sie. Da viele Syrer vor dem Assad-Regime nach Europa flohen, waren viele Menschen im Westen damit konfrontiert und mussten sich mit ihrem Leid auseinandersetzen. „Wir sahen, wie diese Menschen sprichwörtlich an unserer Türschwelle ankamen. (…) Wenn Menschen andere sehen und ihre Lage kennen, haben sie eine Tendenz, sich um sie zu sorgen und ihnen zu helfen“, merkte Skarstein an. Währenddessen fliehen die Vertriebenen aus Kongo oder anderen afrikanischen Ländern vor Konflikten in umliegende Nachbarstaaten. „Sie kommen nicht an Touristenstränden an. Die Überquerung einer afrikanischen Grenze erzeugt nicht das gleiche Maß an Aufmerksamkeit.“
Dank des Mangels an Willen und medialer Berichterstattung sei es so, dass viele afrikanische Krisen weniger Zugang zu Hilfsmitteln hätten. „Krisen, die international geringe ­Aufmerksamkeit erhalten und nur selten in Medien erwähnt werden, erhalten oft keine finanzielle Hilfe, die nötig wäre, um den ­erheblichen humanitären Bedarf zu befrie­digen“, sagte Skarstein gegenüber IPS. Von allen großen Krisen weltweit erhält der Kongo die zweitgeringsten Mittel. Nur die Hälfte der von Helfern geforderten 812 Millionen Euro seien zugesagt worden.
Ein weiteres Problem sei die „Spendermüdigkeit“. Das sei ein Phänomen, bei dem es bei zunehmender Länge des Konfliktes schwieriger werde, die nötige Hilfe von Geberländern zu bekommen. „Es gibt Konflikte, die seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, toben – und die Leute denken, es handle sich dabei um hoffnungslose Fälle. Wir müssen dagegen ankämpfen“, meint die NRC-Aktivistin.
Daher sei es entscheidend, dass Geberländer auf Basis der Bedürfnisse und nicht aufgrund einer politischen Agenda helfen würden. Die Menschenrechtsvereinigung unterstrich hierbei die Rolle von Medien, die Aufmerksamkeit auf vernachlässigte humanitäre Katastrophen zu lenken.
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Karoline von Günderrodes Traum in der Wüste
Über eine deutsche Dichterin und ihre Liebe zum Propheten des Islam
Bei des Mittags Brand
Wo der Wüste Sand
Kein kühlend Lüftchen erlabet,
Wo heiß, vom Samum nur geküsset,
Ein grauer Fels die Wolken grüßet
Da sinket müd der Seher hin.
Vom trügenden Schein
Will der Dinge Seyn
Sein Geist, betrachtend hier, trennen.
Der Zukunft Geist will er beschwören,
Des eignen Herzens Stimme hören,
Und folgen seiner Eingebung.
Hier flieht die Gottheit,
Die der Wahn ihm leiht,
Der eitle Schimmer verstiebet.
Und ihn, auf den die Völker sehen,
Den Siegespalmen nur umwehen,
Umkreist der Sorgen dunkle Nacht.
Des Sehers Traum
Durchflieget den Raum
Und all’ die künftigen Zeiten,
Bald kostet er, in trunknem Wahne,
Die Seligkeit gelung’ner Plane,
Dann sieht er seinen Untergang,
Entsetzen und Wuth,
Mit wechselnder Fluth,
Kämpfen im innersten Leben,
Von Zweifeln, ruft er, nur umgeben!
Verhauchet der Entschluß sein Leben!
Eh’ Reu ihn und Mißlingen straft.
Der Gottheit Macht,
Zerreiße die Nacht
Des Schicksals, vor meinen Blicken!
Sie lasse mich die Zukunft sehen,
Ob meine Fahnen siegreich wehen?
ob mein Gesetz die Welt regiert?
Er sprichts; da bebt
Die Erde, es hebt
Die See sich auf zu den Wolken,
Flammen entlodern den Felsenklüften,
Die Luft, erfüllt von Schwefeldüften,
Läßt träg die müden Schwingen ruhn.
Im wilden Tanz,
Umschlinget der Kranz
Der irren Sterne, die Himmel;
Das Meer erbraußt in seinen Gründen,
Und in der Erde tiefsten Schlünden
Streiten die Elemente sich.
Und der Eintracht Band,
Das mächtig umwand
Die Kräfte, es schien gelöset.
Der Luft entsinkt der Wolken Schleier
Und aus dem Abgrund steigt das Feuer,
Und zehret alles Ird’sche auf.
Mit trüberer Fluth
Steigt erst die Gluth,
Doch brennt sie stets sich reiner,
Bis hell ein Lichtmeer ihr entsteiget
Das lodernd zu den Sternen reichet
Und rein, und hell, und strahlend wallt.
Der Seher erwacht
Wie aus Grabesnacht
Und staunend fühlt er sich leben,
Erwachet aus dem Tod der Schrecken,
Harr’t zagend er, ob nun erwecken
Ein Gott der Wesen Kette wird.
Von Sternen herab
Zum Seher hinab
Ertönt nun eine Stimme:
»Verkörpert hast du hier gesehen
Was allen Dingen wird geschehen
Die Weltgeschichte sahst du hier.
Es treibet die Kraft
Sie wirket und schafft,
In unaufhaltsamem Regen;
Was unrein ist das wird verzehret,
Das Reine nur, der Lichtstoff, währet
Und fließt dem ew’gen Urlicht zu.«
Jetzt sinket die Nacht
Und glänzend ertagt
Der Morgen in seiner Seele.
Nichts! ruft er, soll mich mehr bezwingen:
Daß Licht nur werde! sey mein Ringen,
Dann wird mein Thun unsterblich seyn.
(iz). In dieser kurzen Abhandlung wollen wir uns mit der Adeligen Karoline von Günderrode, einer Autorin und Dichterin der romantischen Epoche, und ihrer Auseinandersetzung mit dem Islam beschäftigen. Den uns zur Verfügung stehenden Quellen nach zu urteilen, war sie das Älteste von sechs Geschwistern. Sie entstammte einer aristokratischen Familie, die jedoch nicht wohlhabend war. Sie wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren. 1797 veranlassten sie die Umstände ihres Lebens dazu, einem protestantischen Kloster in Frankfurt am Main beizutreten. Dieses beherbergte arme und unverheiratete adelige Frauen, was ihnen ermöglichte, ein angenehmes Leben zu führen und zu ­heiraten, wenn sich die Möglichkeit dazu bieten sollte.
Vom Geist der Französischen Revolution (1789) beeinflusst, zeugen ihre Werke von einem gewissen Drang nach Veränderung und dem Umsturz vor allem gegen Frauen gerichteter Traditionen.  Sie wollte in neue, unentdeckte Welten eintreten, die die zeitgenössische Bewegung der europäischen Romantik zu erkunden versuchte. Viele Stimmen sind der Ansicht, dass dies der Grund war, wieso sich ihre Werke, wie auch jene anderer Romantiker, auf besondere Art mit dem Propheten Muhammad, Allahs ­Segen und Friede auf ihm, befassten – einer Erscheinung und einer Welt außerhalb Europas. Neben dem historischen Drama „Mahomed, der Prophet von Mekka“, gehören „Hildgund“, „Piedro“, „Udohla“ und „Die Pilger“ zu ihren ­bekanntesten Werken.
Am 26. Juli 1806 beendete sie auf tragische Weise ihr Leben, indem sie sich am Rhein in Winkel erdolchte. Grund für ihren Suizid war ihre gescheiterte Beziehung – und die damit verlorene ­Hoffnung auf eine Eheschließung – zum ­Philologen und Archäologen Georg ­Friederich Creuzer.
Mit ihrem Buch „Poetische Fragmente“, einer Sammlung von Gedichten und historischen Dramen, gelangte sie zu Ruhm in der Dichterwelt. Sogar Goethe las ihr Werk und lobte ihre künstlerischen Fähigkeiten. In einem Brief, den er ihr 1804 schickte, beschrieb er ihre Sammlung als „besonderes Phänomen“, als „besondere Erscheinung“. Es gibt die Auffassung, dass Karoline von Günderrode sich mit ihren Dichtungen zu ­Muhammad, Allahs Segen und Friede auf ihm, mit Voltaire und Goethe auf eine Ebene stellen wollte. Diese hatten im 18. Jahrhundert ihre Werke zum ­Propheten veröffentlicht.
In ihren Dramen über den Propheten wie auch in ihrem Gedicht „Mahomets Traum in der Wüste“ wird ersichtlich, dass sie den Propheten des Islam wertschätzte und ihm besondere Aufmerksamkeit schenkte. Sie distanzierte sich von den mittelalterlichen Beschreibungen seiner Person, die oft schwer beleidigend waren. Karoline von Günderrode sah in der Erscheinung Muhammads, Allahs Segen und Friede auf ihm, und im Islam selbst eine Lebenskraft. In seiner Vereinigung der Stämme Arabiens erkannte sie, die selbst stark von den Friedensschriften Immanuel Kants geprägt war, wichtige Schritte eines Reformers zur Versöhnung der Menschen.
Legen wir unsere muslimische Sentimentalität beiseite, können wir feststellen, dass sie die Erscheinung des Propheten als philosophische und lyrische Metapher für ihre Schriften in Bezug zu ihren ­eigenen deutschen und europäischen Umständen nutzte, als Mittel zu Wiederbelebung und Wandlung Europas. Sie sah in Muhammad, Allahs Segen und Friede auf ihm, den Bringer einer neuen Lebensart, einen Erneuerer und den Propheten eines frischen, grundlegenden Glaubens.
In einem ihrer Gedichte beschreibt sie ihn in ihrer liebevollen Imagination, in der er sich an seine Gefährten in Mekka wendet, wie folgt: „Darum hat er mich zu euch gesandt, da ich euch berufen soll in seinem Namen, und euch, die ihr verschmachtet in der dürren Wüste der Zeitlichkeit, tränke mit dem frischen Brunnquell des ewigen Lebens.“
Die Autorin Minou Reeves widmete sich Günderrodes Gedicht „Mahomets Traum in der Wüste und beschrieb dieses und die Dichterin wie folgt: „Das ­Gedicht wurde 1804 veröffentlicht. Günderrode war eine Nonne, die ihr gesamtes Leben in Isolation verbracht hatte. Jedoch war sie nicht auch von der Faszination der Helden des Sturm und Drang abgeschottet, einer Bewegung, die in den 1770ern das Hauptmerkmal der Epoche der Empfindsamkeit darstellte. Diese inspirierte Persönlichkeiten wie Napoleon, und Günderrode bewunderte ihn von ­ihrem deutschen Kloster aus der Ferne. In ihrem Werk ‘Mahomets Traum in der Wüste’ ist Muhammad eine napoleonische Gestalt, dessen Ambition, die Welt zu erobern und deren bestehende Gesetzte zu verändern, idealisiert wird.“
Reeves stellt weiterhin fest: „Dies ist eine mächtige Dichtung, die Imaginationen von Muhammads Erlebnissen mit der göttlichen Offenbarung in der Wüste mit Aspekten von Jesus’ Gebeten im Garten Gethsemane, vor der Kreuzigung, ­sowie mit Begriffen der altertümlichen persischen Religion des Zarathustra verbindet – nämlich durch die Beschreibung der vier Elemente: Erde, Wasser, Luft und Feuer.
Muhammad, der Seher, der Visionär, brennt vor Leidenschaft, die Geheimnisse des Lebens und seiner eigenen Zukunft entdecken zu wollen. Er will meditieren, auf sein eigenes Herz hören und den Geist seines Schöpfers anrufen, von dem er glaubt, dass er ihm selbst innewohne. Doch, je mehr er schaut, je mehr er horcht, umso stärker wird sein Leid, und sein Untergang bahnt sich an. Sein Traum wandelt sich zum Albtraum – vor seinen Augen eröffnet sich eine Welt des Chaos und Verderbens. Sein Verhalten hat die Harmonie der Elemente gestört. Sie werden wild und gewaltsam.
Die Erde beginnt zu beben, die Sonne kreist verkehrt herum und wütende Flammen verschlingen die Klippen und Felswände. Sie zerstören alles, was sich auf der Erde befindet und hinerlassen nichts als beißenden Rauch in der Luft.
Tief betroffen wacht Muhammad auf, gänzlich aufgewühlt und voller Sorge. Als befände er sich im Schmerz eines schrecklichen, sich entfaltenden Todes, erhebt er sich und hört plötzlich eine Stimme, die sich aus den Sternen zu ihm herabsenkt. Es ist die Stimme des Schöpfers, die ihm verkündet, dass Muhammad tatsächlich die Weltgeschichte durcheinandergebracht hat – mit seiner Beharrlichkeit, in die Welten der göttlichen Wahrheit eindringen zu wollen.
Was er im Traum gesehen hat, offenbart ihm Gott, war die Entstehung der Menschheitsgeschichte. Der Krieg der Elemente rief einen unaufhörlichen ­Regen hervor, der die Erde von allen ­Unreinheiten säubern sollte und nichts hinterließ als Licht. Dieses Licht wird ewig fortbestehen und in Richtung seiner ewigen Quelle leuchten. Somit wurde die Dunkelheit der Nacht von einer ­blendenden morgendlichen Erleuchtung verdrängt, die Muhammads Seele ­einnimmt.“
Merken wir zum Schluss noch an, dass diese literarische Auseinandersetzung mit dem Gesandten Allahs, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, seitens ­Karoline von Günderrodes, der tragischen Adligen und Dichterin, auch für uns im heutigen Europa von Bedeutung ist. Die Interpretationen, Anschauungen und Rezeptionen verändern sich mit der Zeit, was jedoch bestehen bleibt, ist die wohlwollende Faszination gegenüber ­großen Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte, insbesondere wenn diese von Allah zu Seinen Gesandten und ­Verkündern erklärt wurden.