Die IZ-Blogger: Ein Kommentar von Morad Bouras zum gewaltsamen Militärputsch in Ägypten

(iz). Es scheint die Demokraten dieser Tage nicht zu interessieren, dass die Partei mit dem Namen „Freiheit und Gerechtigkeit“, auch Muslimbrüder genannt, demokratisch gewählt wurde und einen Wählerauftrag erhalten hat, das Ägypten nach der Mubarak-Diktatur zu regieren. Im Gegenteil. Die Menschen im Westen begrüßen die Anstrengungen der Opposition mit Hilfe des Militärs, den gewählten Präsidenten Mursi entmachtet zu haben. Wen interessiert die Demokratie?

Ja, die Menschen, die Wähler der Partei für „Freiheit und Gerechtigkeit“ sind religiös. Ja, sie verabschiedeten eine Verfassung im Geiste islamischer Werte. Ja, sie sind traditioneller als der moderne Zeitgeist es ihnen in einigen Dingen vorlebt. Aber: Wen interessiert die Demokratie?

Eine Demokratie setzt die Akzeptanz mehrerer Parteien voraus, die im Wahlkampf jede erlaubte Anstrengung zu nutzten versuchen, um von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt zu werden, auch wenn sie letztlich nicht von den Wählerinnen und Wählern belohnt werden. So ist das nun mal in einer Demokratie. Oppositionspartei zu sein ist in einer Demokratie obligatorisch.

//1//

Der ägyptische Schriftsteller und “intellektuelle“ Wortführer Alaa al-Aswani kreidete der entmachteten Regierung an, nur durch die Analphabeten (ca. 1/3 der Bevölkerung) des Landes an die Macht gekommen zu sein. Auch El-Baradei war dieser Meinung. Scheiß auf die Demokratie? In der Antike kritisierte Aristoteles die Demokratie. Sie sei nicht auf das Wohlwollen der Allgemeinheit bedacht, sondern nur auf das Wohlwohlen der Mehrheit – in der Regel – eben der armen Menschen eines Landes. Die armen Menschen Ägyptens – wenig bis kaum Zugang zu Bildung und Arbeit, wenig bis kaum Zugang zu Lebensmitteln, wenig bis kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung und vermutlich am wenigsten Zugang zur politischen Partizipation. Ist es nun legitim, ihnen ihre Wahlberechtigung zu entsagen?

Aristoteles scheint den Nagel allerdings nicht ganz verfehlt zu haben. Die Mehrheit Ägyptens sind keine Akademiker und auch nicht mit dem goldenen Löffel auf die Welt gekommen. Unter dem Mubarak Regime hat niemand von ihnen profitiert. Im Gegenteil. Die Menschen fanden Zuflucht in ihrem Glauben. Er gab ihnen Halt und die notwendige spirituelle Kraft sich mit ihrer Situation abzufinden. In vielen Moscheen des Landes, zumeist organisiert von den Muslimbrüdern, gab es Lebensmittel. Eine Art Sozialhilfe für Bedürftige organisierten die Muslimbrüder, die mit Sicherheit nicht erahnen konnten, dass der Sturz Mubaraks jemals zustande gebracht werden konnte und sie somit selbst das Land politisch mitgestalten können. Sicherlich trug ihre soziale Hilfe in den vergangenen Jahrzehnten einen Teil zu ihrem Wahlerfolg bei.

Ich stimme den Kritikern der Muslimbrüder zu, dass sie hätten mehr auf die Opposition zu gehen sollen. Sie begangen politische Fehler. Doch mit welchen Ansprüchen könnte man generell irgendeiner Partei in Ägypten entgegentreten? Aus welchen Erfahrungen sollten sie schöpfen, wenn zuvor 30 Jahre lang eine Mubarak-Diktatur vorherrschte? Die Geschichte lehrt uns, dass keine Revolution der Welt es mit ihren Revolutionären schaffte, innerhalb eines Jahres ein Land zu sanieren, welches wirtschaftlich und politisch am Boden lag. Und nun?

Wen interessiert die Demokratie? Wie kann man es gut heißen, dass das ägyptische Militär putscht? Es gibt keine Legitimation, das den Putsch und das nachfolgende Vorgehen des Militärs, der Polizei und den „militanten Liberalen“ gegen die Protestler rechtfertigt.

Man mag die Partei für „Freiheit und Gerechtigkeit“ in ihrem politischem Wirken kritisieren können. Wer will, darf ihr Weltbild gar verabscheuen – doch haben sie, und derzeit niemand anderes, die demokratische Legitimation. Wer die Legitimation der Muslimbrüder nicht für voll nimmt und meint, dass es ja nur die Armen, die Analphabeten und die „Islamisten“ Ägyptens seien, die ihnen dieses Recht zu regieren aushändigten, der verkennt den Grad dieser Aussage und muss sein Demokratieverständnis hinterfragen.

Denn wer sich als Demokrat definiert und tatsächlich einen Pluralismus befürwortet, der darf keinen Putsch an einer Regierung gut heißen, die demokratisch legitimiert worden ist.