Menschen am Flughafen

(iz). Bei meinem Hin- und Herschlendern, Umherstehen und Nichtstun am Flughafen muss ich ungehalten gespannte Gesichter anstarren, die in einer flugbedingten Aufgeregtheit ausharren. Nun will ich diese Unruhe ablegen und sitze ich in dem eben frei gewordenen Platz neben einer jungen Frau. Meinen netten Gruß und meine Frage, ob der Sitz neben ihr frei ist, erwidert sie mit einer auffälligen, nicht unbegründeten Unbekümmertheit.

Sie bejaht es, ohne mich dabei eines Blicks zu würdigen. Denn sie hat alle Hände voll, sie tastet nämlich unermüdlich in ihrem Smartphone, mich und das ganze Getriebe um sich herum vergessend. Da darf einer wie ich wahrlich froh darüber sein, nicht von dieser neuen, unbarmherzig fesselnden Technologie erfasst zu sein. Da ich nicht zu denen zähle, deren Daueraufmerksamkeit dem Handy gilt, habe ich eine seltsame, zeitvertreibende Beschäftigung für mich entdeckt; ich widme mich nun der Erkundung des immer mehr werdenden Menschenauflaufs am Flughafen.

Der Großteil der Urlaubsreifen und Flugbereiten ist einheimisch. Hier und da stoßen doch manch bunte Gesichter hinzu, die man nach dem ersten Blick wieder aus dem Fokus fallen lässt und sich wieder auf den Sitznachbarn oder das Smartphone abwendet. Anders verhält es sich hingegen mit der eben in den Wartebereich eingetretenen Frau. Sie verdient von nun an ein allgemeines, anhaltendes Interesse, sodass sie auf Anhieb eingeschüchtert wirkt, gesenkten Hauptes und halb versteckt an der Ecke da stehenbleibt. Sie entschließt sich dem Anschein nach, weiter zu stehen, auch wenn doch Zeichen der Müdigkeit – die anscheinend auf den Reiseaufwand zurückzuführen ist – ihr anzusehen sind, und auch wenn immer noch Zwischensitze frei sind.

Für diese auf einmal eingesetzte offenkundige Reserviertheit sehe ich die starrenden Blicke, die man nicht ohne Weiteres einordnen kann. Womöglich läge es an ihrem traditionellen Outfit, an ihrer Kopfbedeckung, die sie zum Fremdkörper stilisiert und von dieser normalisierten Masse abhebt. Es ist keine schlechte, verfehlte Überlegung, da sie sich aus meiner Empirie immer wieder bestätigen lässt. Es mag manche geben, die mir kopfschüttelnd übermäßige (Vor-)verurteilungen zum Vorwurf machen würden, oder in diesem Text ein weiteres Exemplar der weltweit kollektiv gekränkten muslimischen Seele sehen, der den Blick in erster Linie auf die ja so furchtbar verfolgte und mit Ressentiments behaftete muslimische Minderheit in Europa richtet. Letzten Endes bleibt es eine subjektive, immer wiederkehrende Erfahrung, die sich durch meinen interreligiösen Dialog, endlose Gespräche, Diskussionen, Vorträge etc. speist. Ob andere konträre Erfahrungen gemacht haben und weithin machen, sei dahin gestellt.

Das verrückt machende Tuch, das den Gegenstand dieser wenigen Zeilen bildet, wird aber in diesem Land Jahrzehntelang getragen! Selbstredend wurde es bisher getragen, aber doch – und das muss man sich gefallen lassen – immer mit Skepsis, Vorsicht und Ablehnung beargwöhnt. Es wurde ja getragen, aber lediglich in abseitigen Räumen, von Reinigungskräften in frühen Stunden, in dienstfreien Tagen, in fremdländischen Einkaufszentren etc.

Bis hierher wurde es in Zusammenhang mit der angeblichen Rückständigkeit, Unzivilisiertheit und der Moderne verweigernder Borniertheit ihrer Herkunftsländer gebracht. Geduldet und akzeptiert wurde es, solange es seine öffentliche Abstinenz nicht aufgibt. Richtig manifest und zeitgleich strittig wurde es doch mit jungen, studierenden und karrierebewussten Frauen, die sich diesem in aller Munde tradierten Bild widersetzen wollen. Sehen wollen sie auch keinen Antagonismus zwischen ihrer harmlosen Religiosität und der Gesetzeslage ihres Deutschlands. Sie fühlen sich hier wohl, nehmen Deutschland zu Recht zu ihrer Heimat und tun ihren Dienst an diesem ihrem Land. Dieser Paradigmenwechsel lässt nicht unerwartet Unverständnis- und Wutwellen hochschlagen; die bürgerliche Mitte sieht sich in ihrer Existenz angetastet, erachtet es als unverschämte Gewagtheit, die die Abschaffung des säkularen Staates intendiere, Politiker machen daraus ein populistisches Politikum. Schwarzers Töchter und Möchtegern-Islamkritiker tun ihr Übriges.

Diese Versteiftheit und deren mediale Wiederspiegelung beeinflusst die öffentliche, bürgerliche Meinung und intensiviert zweifelsfrei den marginalen Status der betroffenen Frauen. Schon allein die Qualität des Fremdseins durch beispielsweise ausländisches Aussehen generiert eine zweideutige Neugier, die teils positiv-exotisch und teils kompromisslos ablehnend sein kann. Das nimmt aber äußerst höchstes Ausmaß an, wenn diese Neugier mit unnötig politisch/negativ aufgeladenem Schleier gepaart ist. Da frage ich mich allen Ernstes: Wann wird es höchste Zeit, Menschen mit Elementen eines anderen, fremden Kulturkreises als kulturintern und normal zu akzeptieren, solange es sich nicht um soziale Randfälle handelt, sondern um mündige Subjekte, die selbstbestimmt ihre Überzeugungen leben wollen.

Ein auf Homogenität und Eindeutigkeit pochendes soziales Gewebe kann einem Angst und Bange machen, mutet – mir mindestens – unberechenbar, gefährlich an: Ein vermasstes, nach Ein- und Ausgrenzungen funktionierendes Ganzes, dem es um die größtmögliche Maximierung homogener Standards und um die nicht hinterfragbare Tilgung der der Natur gegebenen Mannigfaltigkeiten geht. Genügen uns nicht Werte und Normen, die groß und heilig von nahezu allen Weltgemeinschaften unterzeichnet wurden? Wieso denn immer wieder das Haar in der Suppe suchen, nach Gut-Böse-Kategorien operieren und Menschen ideologisieren/inkriminieren, nur weil der eine oder der andere aus reiner Frömmigkeit das Tüchlein trägt? Je eindeutiger, absoluter und ambiguitätsintoleranter die Gesellschaft wird, desto deutlicher werden die Anfänge! Der Pluralismus ist in diesem Kontext folgerichtig ein Übel, das nötig ist, um dem großen, drohenden Übel entgegenzutreten.

Damit ist nur Folgendes gesagt: Ob jemand schwarz oder weiß, ethnisch-religiös anders ist etc, soll uns gleich sein. Wichtig ist, dass man der semantischen Raumbindung, der man zugeordnet ist, verpflichtet bleibt, die Gesetze einhält und seinen Beitrag aufbringt. Es ist tatsächlich an uns – und wir werden Recht daran tun –, alte Reflexe hinter uns zu lassen, ein geschärftes Bewusstsein für eine ambige Kultur soweit wie möglich zu schaffen, eine Kultur, in der äußerliche, fremde Merkmalszuweisungen als Bereicherung rezipiert werden. Dass es uns nicht am Willen, sondern am Tun hapert, ist leicht zuzugeben. Über die Ambiguität in islamischen Ländern lässt sich nichts schön reden, es liegt doch noch viel am Argen! Auch diesen Gesellschaften ist der Spiegel vorzuhalten.