Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime. Von Fahad Faruqui

Ausgabe 202

(MV Media). Ich denke, dass der ganze Facebook-Kram aufhören sollte“, sagte Hamza Yusuf, Mitbegründer des kalifor­nischen Zaytuna Colleges, vor Kurzem auf einer muslimischen Konferenz. „Lebt euer Leben. Geht nach draußen und spaziert unter Bäumen“, war sein Rat an seine zahlreiche Zuhörerschaft.

Ich habe mich auf Google zum ­Thema „Facebook- und Twitter-Sucht“ umgeschaut. Die Suchmaschine zeigte mir so viele Ergebnisse an, dass ich es mir erspa­ren konnte, weiter nach Belegen für die Existenz dieser weit verbreiteten Abhän­gigkeit von sozialen Netzwerken suchen zu müssen. Manche Leute scheinen nicht mehr in der Lage zu sein, nachts durchzuschlafen, da sie in sich den Drang verspüren, den Stand ihrer Kommentare und Nachrichten auf den diversen Diensten zu checken.

Als erste Sache nach dem Aufstehen loggen sich viele Menschen morgens in die Webseiten der sozialen Netzwerke ein – ich gehöre ebenfalls dazu.

Es ist irre, aber viele Menschen ­müssen erst ihre persönliche Nutzung der sozia­len Netzwerk deaktivieren, damit sie ihr Leben zurückbekommen. Andere gehen sogar so weit und begehen „Twitterzid“, um ihr Leben wieder ins Lot zu bringen. Bei meiner Beschäftigung mit dem Thema stieß ich auf diverse Selbsthilfe-Tipps, um eine Facebook- und Twitter-Sucht zu überwinden.

Ein Tweeter, der sich im letzten Jahr von seinen 25.000 Anhängern verabschiedete, veröffentlichte in der „New York Times“ hierzu seine Bekenntnisse: „Was hat mir das Ganze eingebracht? ­Sicherlich kein Glück oder Ruhm – auf Twitter war ich überwiegend anonym“, schrieb Larry Carlart. „Für mich war jeder Tweet eine Darbietung.“ Carlart verlor seinen Job wegen seiner „Darbietung“ auf Twitter und trennte sich einen ­Monat später von seiner Frau. Daher ist es nur angemessen, wenn wir ihm selbst zuhören, an welcher Stelle sein Leben in die Irre ging: „Anstatt, dass ich twitterte, um über mein Leben zu reflektieren, wurde das Twittern zu meinem Lebenszweck.“

Die Idee, hundert Prozent der eigenen Energie in die Formulierung eines Tweets [die Kurznachrichten, die auf Twitter kursieren], übersteigt mein Vorstellungs­vermögen. Ich liebe die Dinge einfach und halte mich mehrheitlich von Trotteln [„Twerps“ im englischen Original] fern, die eine unflätige Sprache ­benutzen, was mich wirklich abstößt.

Während Eltern ihren Kindern, die soziale Netzwerke nutzen, Grenzen setzen müssen, sollten wir dies ebenso für uns tun. Es ist sehr leicht sich ablenken zu lassen und Stunden mit dem ­Überprüfen der Statusnachrichten, dem Kommentie­ren der Statusnachrichten anderer, dem Starren auf Facebook-Fotos und der Identifizierung von Menschen auf ­diesen Bildern zu verbringen.

Obwohl es nett ist, Einladungen zu willkürlich ausgewählten Ereignissen und Gruppen zu bekommen, muss man sich doch wundern, was der Sinn der soziale Netzwerke sein soll, wenn man in der Realität weder kommuniziert, noch Ideen austauscht oder voneinander lernt.

Vor Kurzem schrieb der Fotograf und Filmemacher Mustafa Davis in einer Facebook-Statusnachricht: „Ich freue mich wirklich, wenn ich permanent neuen, vollkommen willkürlich ausgewählten Seiten von Facebook-Gruppen hinzugefügt werde. Dann fühle ich mich verpflichtet, die Freude zurückzugeben, indem ich die Leute zu einigen meiner neuen Seiten hinzufüge. (…) wie die ‘Seite zur Bekanntmachung der Rechte von Guppys’, ‘Ich bin kein Narzisst, aber schenkt meiner Seite doch bitte Aufmerksamkeit’, die Seite der ‘Stiftung zur Erziehung blinder Amazonasaffen in der Antarktis’ oder ‘Ich habe keine wirkliche Vorstellung für eine Seite, aber werde trotzdem eine Gruppenseite starten’ (…) Sollten Sie meine Gruppe verlassen, gehe ich davon aus, dass das ein Irrtum war, und werde sie mindestens drei bis vier Mal erneut hinzufügen.“

Dergleichen geschieht wirklich. Und es sagt viel über unsere narzisstischen Neigungen. Aber auch über unsere Unfähigkeit, soziale Netzwerke für einen zwischenmenschlichen Austausch, Lernen und intellektuelle Anregung zu nutzen, anstatt dass sie nur eine Quelle für Ablenkung sind. Das muss aber nicht immer so sein.

Hier sind zwei, zum Denken anregen­de Statusnachrichten auf Facebook, die es für mich rechtfertigten, mich in der letzten Woche auf Facebook ­einzuloggen: „Die Blume steckt in ihrem Samen“ (Imam Abdul Latif) und „Madschnun starrte auf den Vollmond. Als er nach dem Warum gefragt wurde, antwortete er: ‘Vielleicht blickt Laila auch hinauf, und unsere Blicke können sich treffen.’“ (Schaikh Faraz Rabbani) Anhand der obigen Zitate dürften meine Interessen klar sein. Aber, wenn man ein Technikfan ist, kann man in den sozialen Netzwerken lesen, was andere Internet-Cracks schreiben. Ist man an Nachrichten interessiert, ist es möglich, den führenden Köpfen dieses Metiers zu folgen. Ein Dichter kann lesen, was ande­re schreiben, und sich solchen Gruppen anschließen. Seid produktiv!

Der eingangs erwähnte Gelehrte machte eine weitere interessante Feststellung in seinem Vortrag über das Fotografieren, die hier von Bedeutung ist. „Hört auf Fotos zu machen und beginnt, euer Leben zu erfahren“, sagte Schaikh Hamza Yusuf.

Im letzten Jahr reiste ich mit einem guten Freund ins ägyptische Luxor. Es war unsere Absicht, die wichtigsten Monumente der Pharaonen zu besuchen. Eines Abends waren wir bei der Sound- und Lightshow in Karnak, während ich mehr mit dem Fotografieren ­beschäftigt war als damit, der Führung zuzuhören. Ich hatte gute Gründe: Dies war der einzige Weg, dass ich nachts in den Tempelkomplex gehen konnte. Nicht zu vergessen, dass sich die Statue von Ramses II. wunderschön vom blauen Himmel im Hintergrund abhebt. Am nächsten Morgen betraten wir erneut den Tempel und machten mehr oder weniger das gleiche. Wir gingen von Tempelbezirk zu Tempelbezirk und versuchten zu verstehen, wie sich die Fähig­keiten der beteiligten Handwerker weiterentwickelten. Trotz aller Eindrücke verließ ich Karnak mit einem Gefühl der Unzufriedenheit.

Also kamen wir ein drittes Mal für ein Picknick mit Datteln und Erdnüssen zurück. Da ich genug Bilder für meine wenigen aktiven Freunde und die exponentiell mehr passiven Freunde auf Facebook hatte, erfreute ich mich an Karnak mit meinen eigenen Sinnen und nicht durch die Linse einer Kamera. Ich ließ mich am Fuße einer Säule im Bezirk von Amun Re nieder und genoss das Sonnenlicht, dass sich über die mit Hierogly­phen übersäten Säulen ergoss. Es war dieser dritte Besuch, an den ich mich am besten erinnere, wenn ich an meinen Luxor-Besuch zurückdenken muss.

Es lohnt sich, das Leben jenseits der sozialen Netzwerke zu erfahren und die Dinge mit bloßen Augen zu sehen. Es ist umso schöner, den Augenblick zu genießen und als Bild in unserem Herzen festzuhalten, anstatt einfach nur so zu knipsen.