Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime. Von Sulaiman Wilms

Ausgabe 207

(iz). Ich erinnere mich noch genau, wie wir mit der IZ im Ramadan 1997 inmitten einer vollkommen überfüllten Düsseldorfer Moschee standen, und versuchten neue Abonnenten zu finden. Trotz der winterlichen Kälte war es wegen der gemütlichen Enge mehr als nur mollig warm.

Während wir uns um den Absatz der damals noch jungen Zeitung bemühten, änderte der Imam den abendlichen Ablauf und verkündete, er wolle erst mit dem Gebet anfangen, wenn die Gemein­de eine sechsstellige Summe garantiere, damit das lang ersehnte neue Gebäude für einen dringend benötigten Umzug gekauft werden konnte.

Heute, in Zeiten von Dauerkrise und einer spürbaren Atomisierung innerhalb der muslimischen Community, scheint das damalige Ergebnis nicht so leicht nachvollziehbar: Nach einer, nicht allzu langen Zeit hatte der Düsseldorfer Imam die gewünschten Versprechen an Spenden und zinslosen Darlehen zusam­men, sodass wir mit dem Gebet weitermachen konnten.

Auch wenn dies selbst in dem offeneren Klima – soweit es die finanzielle Lage muslimischer Aktivitäten betrifft – der 1990er Jahren nicht der Regelfall war, gab es damals eine größere und spontane­re Bereitschaft bei vielen Muslimen, auch Dinge zu unterstützen, die sich nicht ausschließlich im eigenen, eng begrenzten Dunstkreis bewegten.

Nach den Negativerfahrungen mit den „Holdings“, bei denen erhebliche Summen „vernichtet“ wurden, und der anhal­tenden Kampagne gegen Muslime seit mindestens einem Jahrzehnt, die bei vielen den Rückzug ins Privatleben veranlasste, funktionieren die bisherigen Methoden zur Verteilung gemeinschaftlicher Lasten in der Aufrechterhaltung oder dem Aufbau wichtiger Aktivitäten nicht mehr so, wie es einst der Fall war.

Es ist aber wichtig festzuhalten – dies ist eine unserer grundlegenden Erfahrungen seit Beginn unseres Medienprojekts -, dass Geld der Energie folgt – und nicht umgekehrt. Treffen wir nicht oft Menschen, die dank ihres Willens und ihrer Begeisterung enorme Dinge aufbauen können, ohne sich am Anfang gefragt zu haben: „Habe ich die nötigen Mittel dafür?“

Vielmehr kann man die Mittel auch als Indikator begreifen, inwiefern es aktiven Projekten gelingt, andere Menschen für ihren guten Zweck zu begeistern. Sicherlich, es wäre mehr als nur wünschenswert (einer der langjährigen Positionen der IZ), würden die Muslime in Deutschland für den dringend benötigen Aufbau ziviligesellschaftlicher Aufga­ben endlich breitenwirksam das islamische Stiftungswesen (die Auqaf) für sich entdecken.

In Ermangelung eines solchen, dessen Aufbau sicherlich Jahre brauchen wird, stellen sich aktive Muslime aber immer wieder die Frage, wie sich wichti­ge Aufgaben, gerade wenn sie eine gemeinschaftliche Verpflichtung aller Muslime (arab. Fard Kifaja) darstellen, auf die Beine stellen können. Gewiss, auch heute findet man unter den bunt gemischten Muslimen immer wieder ein enormes Maß an individueller und kollektiver Hilfsbereitschaft. Diese zeigt sich nicht nur bei Naturkatastrophen, bei denen viele sofort das ihnen Mögliche spenden. Auch in lokalen Bezügen, wie bei der Organisation von Islamwochen an Universitäten, gibt es viele örtliche Geschäftsleute und Gemeinden, die hier helfend unter die Arme greifen – mit Sach- oder mit Geldspenden.

Aber jetzt, wo das Internet, mobile Kommunikationsformen und soziale Netzwerke andere, früher unbekannte Formen der Vermittlung ermöglichen, sollten wir uns fragen, wie Muslime dieses Potenzial nutzbar machen können. Als Beispiel hierfür könnten die muslimischen Hilfsorganisationen dienen, welche seit geraumer Zeit nicht nur über die neuen Medien kommunizieren, sondern mit ihnen auch teils erhebliche Unterstüt­zung einsammeln können.

Angesichts der Piratenpartei, die vorrangig auf die Masse, den so genannten „Schwarm“ (engl. crowd), bei der Willensbildung ihrer Aktivisten setzt, wäre zu überlegen, inwiefern es Deutschlands Muslimen gelingt, das hypothetische Potenzial der Masse nutzbar zu machen.

Ali Aslan Gümüsay ist intensiv am „Netzwerk Zahnräder“ beteiligt, dass bereits schon seinem Namen nach der Vernetzung und Förderung interessanter muslimischer Projekte in Deutschland dient. „Zahnräder ist ein Sozialer Inkuba­tor für Soziales Unternehmertum. Wir agieren als Plattform für Soziale Innovation, welche Human-, Sozial-, Finanz- und Kulturkapital anbietet, um bei der Gestaltung und Durchführung von Projekten zu unterstützen. Auf unseren Konferenzen sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht passive Konsumenten, sondern aktive Produzenten, die sich gemeinsam gegenseitig prägen“, erläuterte Gümüsay im Gespräch mit der IZ das Zahnräder-Konzept.

Dabei bedienen sich die mehr als 70 Aktiven bei den Zahnrädern auch ganz gezielt neuer Formen wie dem „Crowd-Sourcing“. Wikipedia erklärt das neue Phänomen wie folgt: „Eine Schar von Experten und Dienstleistern generiert Inhalte, löst diverse Aufgaben und Probleme oder ist an Forschungs- und Entwick­lungsprojekten beteiligt.“ Das Crowd-Funding, als die Finanzierung relevanter Projekte, funktioniert ähnlich. Hierbei sind es viele Personen, die gemeinnützige oder interessante Geschäftsideen mit Kapital versorgen. Das Arbeiten mit Fremdkapital an sich ist keine neue Idee. „Technologische, kulturelle und intellektuelle Entwicklungen haben die Grenzen von Organisationen verschwim­men lassen. Wertvolles Wissen, Kapital, Kontakte können über neue Kommunikationskanäle und Plattformen leichter zugänglich gemacht werden“, glaubt der Berater und Doktorand der Universität Oxford. Für ihn könne die Masse durchaus als neuartige Quelle für „Inspiration, Wissen, Kapital, Netzwerk, Feedback, Motivation und Unterstützung“ dienen.

Das Zahnräder Netzwerk biete, so der dynamische Berater, „Gewinnern unserer Konferenzen Mentoring und Fördergelder“. So habe man in den vergangenen Jahren „jeweils 4500 Euro an Preisgeldern auf der bundesweiten ­Konferenz vergeben. Hinzu kommen Preisgelder auf lokalen ZahnräderX ­Veranstaltungen“. Ob Finanzierung durch den anonymen Schwarm, eine klassische Spende Einzelner oder ein Investment – am Ende geht es um den besten Weg, möglichst viele Leute an einer Sache zu beteiligen und für sie zu begeistern.