Die populärste Form der Selbstdarstellung: Fragwürdiges in sozialen Netzwerken

Ausgabe 233

(iz). Die sozialen Medien bieten uns Nutzern heute eine völlige neue Dimension der Präsentation an. Jeder, der zum Beispiel ein Facebook-Konto besitzt, kann sich mit Beiträgen, Texten und Fotos selbst in Szene setzen. Er kann mit seiner Seite Freunden mitteilen, was er gerade tut, denkt oder wo er ist. Und – man kann sich schöner, klüger und interessanter machen.

Vielen Menschen gefällt es, wenn möglichst viele Ihrer Freunde, so dem eigenen virtuellen Leben folgen und ihre Sympathie zumindest per Mausklick ausdrücken. Das „Selfie“, das Selbstportrait, ist inzwischen eine der populärsten Formen der Selbstdarstellung geworden. Millionenfach reduzieren hier Millionen von Nutzern die inhaltliche Botschaft auf sich selbst: „Seht her, hier bin ich!“ Nur wenige Bilder wagen dabei eine ungewöhnliche oder anarchische Komponente, viel öfter spiegeln die Bilder unbewusst wider, was  die Gesellschaft als schön, klug oder opportun betrachtet.

Die millionenfache Unterstützung durch das positive „gefällt mir“, schafft so eher eine genormte Mittelmäßigkeit, als eine besondere Individualität. Natürlich spalten diese Bilder auch die Fangemeinde, nicht nur, weil man über Geschmack streiten kann, sondern natürlich auch, weil das Selfie den Argwohn schürt und Befürchtungen bestätigt, die ­sozialen Medien seien nicht wirklich sozial, sondern eher das Instrument für narzisstische Selbstreflexion. Wer es nötig hat sich zu ­inszenieren, ist gerade oft sozial nicht stark verwurzelt.

So ergab eine Studie von Facebook-Nutzern aus dem Jahr 2013, dass das häufige Posten von Selfies mit schwacher sozialer Unterstützung korreliere und dass diejenigen, die oft Fotos von sich selbst hoch laden, sogar ein Risiko eingingen, ihre realen Beziehungen zu beschädigen.

Ein Sonderfall des Selfies, das gerade auch bei Muslimen Konjunktur hat, ist das Selbstportrait mit Politikern. Hier sehen wir strahlende Muslime, die sich in der Nähe der politischen Macht ablichten und Politiker, die sich zu wundern scheinen, dass es noch solche unvoreingenommenen Fans gibt. Solche Bilder wirken oft naiv, da sie intentional ohne jeden politischen Bezug oder Inhalt aufgenommen sind. Im politischen Feld ist das Portrait mit Politikern inzwischen auch eine Art Kapital. Repräsentierende Muslime sammeln ihre Bilder von den Begegnungen mit der höheren Instanz wie Trophäen.

Oft sind diese Bilder zwar eher am Rand des eigentlichen Geschehens aufgenommen, sie sollen aber dennoch Wirkung entfalten. Das symbolische Kapital wächst so mit dem Vermögen, den Zugang zur Machtebene zu zeigen – wenn auch zunächst nur einen Kameraklick lang. Auch hier ist es der plakative Selbstbezug, der dem unbeteiligten Beobachter diese egozentrische Neigung schnell suspekt werden lässt. Im schlimmsten Fall fehlt diesen Bildern auch jede Würde, da der Schritt zur Anbiederung an die Politik hier schnell überschritten wird.