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Die Qual der Wahl

Ausgabe 267

Foto: Tobias Koch, Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

(iz). Egal, wie man Politik oder Person einschätzen mag – man kann das Beharrungsvermögen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Zeit bewundern. Bei den kommenden Bundestagswahlen kandidiert sie für ihre vierte Amtszeit und hat so nach Kohl und Adenauer das drittlängste Dienstalter im Amt erreicht. Unter den Umständen einer sich stetig wandelnden Großwetterlage dürfte sie bei einem Wahlerfolg vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie in der letzten Legislaturperiode.
Zu diesem Votum sind natürlich auch weit mehr als eine Million wahlberechtigter Muslime aufgerufen, um über Kandidaten und Parteien ihrer Wahl abzustimmen. Bisher haben sich muslimische Gemeinschaften und ihre öffentlich hörbaren Stimmen noch nicht konkret zur Wahl positioniert. Die beiden bisher einzigen Stellungnahmen lassen sich jeweils als Extreme des Meinungsspektrums beschreiben.
Auf der einen Seite waren Aussagen aus der deutschtürkischen Community zu vernehmen, die – wohl als Folge der sich derzeit verschlechternden Beziehungen zwischen Berlin und Ankara – am 19. August Anhänger aufforderten, den antretenden Parteien ihre Stimme zu verweigern. Unter dem Titel „Wahlboykott! Keine Stimme den Populisten und Spaltern!“ rief die BIG Partei deutschtürkische Mitglieder und Sympathisanten zur Stimmverweigerung auf. Auf der anderen Seite mahnte der Zentralrat der Muslime am 23. August mit seiner Kampagne „Meine Stimme zählt!“ Muslime zur Stimmabgabe. Welche Partei Nutznießer sein soll, wurde in dem Aufruf offengelassen.
Noch unentschlossenen Muslimen fehlen weiterhin Positionierungen, die ihnen auf Wunsch konkrete Entscheidungshilfen an die Hand geben, warum sie für eine spezifische Partei und ihr Programm stimmen sollten oder auch nicht. Beiden Aufrufen ist, trotz der Gegensätzlichkeit des Appells, gemein, dass ihnen der politische Inhalt fehlt. Sie übersehen, dass die Stimmabgabe eine rationale Entscheidung ist. Hier geht es um eine möglichst große Deckungsgleichheit zwischen den Interessen der Wähler und den Angeboten der Partei. Natürlich ist – als Folge eines rationalen Abwägens der Wahlprogramme und kandidierenden Persönlichkeiten – der Schluss genauso rational, dass keines der Angebote den eigenen Ansprüchen ausreichend gerecht wird.
Dass viele Muslime in sozialen Medien ihre Unentschlossenheit bei der Abstimmung bekunden, dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass Parteien sie bisher oft nur allgemein zur Wahl auffordern. Die konkrete Übernahme ihrer Anliegen war bisher die Ausnahme.