Die Reproduktionsmedizin und das Nachdenken über die Grenzen der Machbarkeit

Ausgabe 227

„Allah gehört die Herrschaft der Himmel und der Erde. Er erschafft, was Er will. Er schenkt, wem Er will, (nur) weibliche, und Er schenkt, wem Er will, (nur) männliche (Nach­kommen). Oder (Er schenkt) beides zusammen, männliche und weibliche (Nachkommen). Und Er macht, wen Er will, unfruchtbar. Gewiss, Er ist Allwissend und Allmächtig.“ (Asch-Schura, 49-50)

(iz). Seit Jahrzehnten beschäftigt das Phänomen der Reproduktion von Leben unter Laborbedingungen Wissenschaftler, Philosophen und Theologen. Die Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff hatte unlängst mit ihrer „Dresdner Rede“ in den Räumen des Staatsschauspiels die aktuelle Neuauf­lage der Diskussionen ausgelöst. Schon der Titel ihres Vortrages „Von der Machbarkeit. Die Bestimmung über Geburt und Tod“ kündigte fundamentale Überlegungen an. In ihrem umstrittenen Beitrag ging es über das moderne Verhältnis von Macht, Glaube und Technik, der Idee von Selektion, bis hin zu den Grenzen menschlicher Biopolitik.

Auch Muslime beschäftigen seit geraumer Zeit die neuen Möglichkeiten modernster Medizin. „Kinderwunsch ist zweifellos ein berechtigtes Anliegen vieler Paare, die ungewollt kinderlos bleiben“ stellte der Zentralrat der Muslime bei einer entsprechenden Anhörung im Bundestag fest. Die „In-Vitro-Fertilisation“, die nötig wird, wenn eine natürliche Befruchtung nicht möglich ist, ist Muslimen, nach der Stellungnahme des ZMD, unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Es muss sich dann um das Sperma des Ehemannes und eine Eizelle der Ehefrau handeln, dabei darf der Embryo nur in die Gebärmutter der Ehefrau, nicht in eine dritte Person (Leihmutter), eingepflanzt werden. Der Respekt vor dem Leben bedingt auch aus muslimischer Sicht, dass die Embryonen nicht zu Forschungszwecken missbraucht werden dürfen.

Komplizierter ist das Verhältnis der Muslime zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Hier wird durch zellbiologische und molekulargenetische Untersuchungen entschieden, ob ein durch in-vitro-Fertilisation erzeugter Embryo überhaupt in die Gebärmutter eingepflanzt wird. Grundsätzlich können auch bestimmte erbliche Eigenschaften oder das Geschlecht ausgesucht werden und – im schlimmsten Fall – kann der „untaugliche“ Embryo auch wieder getötet werden. Nach Ansicht des ZMD sollten diese Möglichkeiten nur in besonderen Ausnahmefällen, zum Beispiel bei einer schweren Erbkrankheit eines Elternteils, erlaubt sein.

Muslime, Christen und Juden, aber auch Persönlichkeiten wie die Dichterin Sibylle Lewitscharoff beteiligen sich so immer wieder an der großen deutschen Technikdebatte, die auch von philosphischen Überlegungen eines Martin Heidegger oder Peter Sloterdijk geprägt worden sind. Der Sprachakrobat Sloterdijk hatte bereits in seiner „Elmauer Rede“ (1999) neue Regeln für den sogenannten „Menschenpark“ eingefordert und über die Situation des Menschen in Zeiten menschenveränderter Gentechniken philosophiert. In seiner Provokation hatte der Philosoph die angebliche Krise des Humanismus mit den selektiven Möglichkeiten neuer Techniken zur „Züchtung und Verbesserung“ des Menschen verknüpft. Die Fragen nach der Möglichkeit oder gar Schaffung eines „besseren Menschen“ spricht den Philosophen und den Gläubigen naturgemäß auf ganz unterschiedliche Weise an. Fakt ist, jenseits der Glaubensvorstellungen, die „positive Eugenik“, die Möglichkeit, aus den Beständen des Erbgutes bestimmte Eigenschaften zu selektieren, ist heute längst Teil unseres technisch geprägten Wirklichkeit geworden.

Natürlich wissen heute Autoren und Kritiker mit den Ängsten im Kontext dieser Fragen bildreich zu spielen. Die Debatte kann dann entsprechend schnell in einem explosiven Gemisch von Anschuldigungen und Missverständnissen untergehen. Schnell riecht es nach Schwefel, der angeblich aus dem Laboratorium Frankensteins aufsteigt, oder es werden die üblichen Übermensch-Ideen eines Friedrich Nietzsche bemüht. Es gibt auch immer wieder Anspielungen auf die rassischen Planspiele der Nazis, dem schändlichen Zynismus der „negativen Eugenik“ zum Beispiel, die dann endgültig zur Skandalisierung, der ursprünglich ja eher zum Nachdenken bestimmten Debattenbeiträge, führen.

Es bleibt die Grundsatzfrage nach dem Verhältnis des Menschen zur Schöpfung und die Skepsis, wenn der Mensch die Schöpfung selbst in die Hand nimmt. In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich die alte Aufregung um „Retortenbabys” eher gelegt. Zunächst und verständlicherweise, weil im Interesse der Kinderwünsche unfruchtbarer Elternteile, diese Medizin als eine Segnung moderner Technik zunehmend akzeptiert ist. Der technische Fortschritt lässt sich heute, wie es beinahe sprichwörtlich heißt, auch kaum mehr aufhalten.

In seinem vielbeachteten Buch „Kinder machen“ bespricht der Journalist Andreas Bernard so nüchtern wie kompetent die neuen Reproduktionstechnologien und die Folgen für die Ordnung der Familie. Es geht um Kinder, Samenspender und Leihmütter und um die Trennung von biologischer und sozialer Elternschaft. Für Bernard sind die „mit Unterstützung der Reproduktionstechnologien entstandenen Familien schlichtweg die zeitgenössische Ausprägung eines traditionellen Lebensmodells“. Damit meint der Autor zum Beispiel auch Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern.

Neben den Herausforderungen für das klassische Familienbild, dass sich aus den Möglichkeiten „künstlicher Zeugung“ ergibt, gibt die Welt der Biotechnik also noch immer zu denken. In seinem lesenswerten Buch beschreibt Bernard die kühle Welt der „Samenbanken“ und die kalte Mechanik der Auswahl von Eigenschaften künftiger Kinder aus dem Kata­log. Keine Frage, das Thema an der Schnittstelle von Technik und Religion ist anspruchsvoll und es ist demzufolge zu begrüßen, dass auch die besten Vertreter der Literatur und Wissenschaft unse­res Landes sich diesem Thema annehmen.

In der Haltung Lewitscharoffs gibt es dabei wenig Ansätze einer Ambivalenz. Zwar argumentiert sie in ihren Dresdner Ausführungen nicht etwa als protestantische Fundamentalistin, sondern eben nur als eine Schriftstellerin, die frei genug ist, ihre für sie wichtigen Debatten auch nach Gutdünken zuzuspitzen, aber sie ist in ihrer Haltung natürlich so streitbar wie eindeutig. Ihre persönlich gehaltene Rede vom 2. März führt in das Thema Biopolitik zunächst im Stil beklemmender Dichte ein. Sie erinnert an den Selbstmord des eigenen Vaters, einen Gynäkologen, spricht über das schlimme „Todes-Theater“, dass ihre Mutter auf dem Sterbebett aufführte und bekennt schließlich sogar, dass sie in ihrem bisherigen Erwachsenenleben eher „einen großen Bogen um Kinder gemacht habe“.

In ihre existentiellen Erfahrungen, die das Thema einleiten, fällt dann ihre so grundsätzliche, wie im Licht ihrer Lebenserfahrungen beinahe schon überraschende philosophische Überzeugung, dass das „eigene Schicksal eben in Gottes Hand liege“. Der Mensch, der in Sachen Tod und Geburt selbst Schicksal spielt, löst dann, zumindest im Umkehrschluss der Autorin, größte Skepsis aus.

Während ihre Bemerkungen über Patientenverfügungen und pränatale Diagnostik, mitsamt ihrem, zumindest aus katholischer Sicht, eher kirchenfeindlichen Bekenntnis keine Abtreibungsgegnerin zu sein, eher mangels Spektakularität bald wieder der Vergessenheit anheim fallen dürften, geht es dann im weiteren Verlauf ihres Denkens ans Eingemachte.

Lewitscharoff attackiert frontal den Machbarkeitswahn der Reproduktionsmedizin, beklagt die „Designbabys, die aus dem Katalog zusammengestellt werden und sie geißelt auch vehement die Idee von Leihmutterschaften. Damit nicht genug, in einer ultimativen Zuspitzung vergleicht sie die Praxis der Reproduktionsmediziner mit den „Kopulationsheimen“ der Nationalsozialisten, die ihr im Vergleich zur Realität der modernen Medizintechnik nur als „Übungsspiele“ vorkämen. Ein extremes Bild, dass Andreas Bernard später in einem Zeitungsartikel schon deswegen zurückwies, weil der mörderische Rassismus der Nazis keine besondere Vorliebe für positive Eugenik kannte. Die Dresdner Rede gipfelt sodann in einer, wenn auch von ihr selbst zugestandenen Übertreibung, die so erzeugten Kinder seien doch eher eine Art „Halbwesen“.

Diese Formulierung und die damit verbundene Sicht auf die Zeugung, als einen geistigen Akt und Teil des traditionellen Ehelebens, sorgte für einige Empörung. Die „Tageszeitung” sprach gar von einer „unanständigen” Rede und von einer „Tirade gegen die Menschlichkeit”. Hatte die Dichterin hier wirklich übertrieben, oder aber im Grunde nur der Sicht gläubiger Menschen Ausdruck verliehen?

Im Morgenmagazin, einige Tage nach dem Skandal, konnte die Schriftstellerin wieder selbst Stellung nehmen. Angesichts eines „Novum in der Geschichte des Menschen” , also dem Fakt, dass allein in Deutschland etwa 20.000 Schwangerschaften pro Jahr künstlich entstehen, sei das Thema, so argumentiert sie, nicht aber der einzelne Satz wichtig. Sie habe nicht die Vollwertigkeit der betroffenen Menschen, die sie , wenn sie denn vor ihr stünden, natürlich voll akzeptiere, angreifen wollen und nehme daher ihre Anspielung auf die „Halbwesen” gerne zurück.

Fakt ist, die Debatte über Chancen, Herausforderungen und Abgründe modernster Medizintechnik wird als zentrale Frage unserer Zeit und natürlich auch unter der Beteiligung der Muslime weitergehen. Wer sich auf dem Laufenden halten will, kommt an der Dresdner Rede von Sibylle Lewitscharoff und an dem neuen Buch von Andreas Bernard nicht vorbei.