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Die Stadt, die nie schläft

Ausgabe 292

Foto: dibrova | Shutterstock

(iz). Eine qualmende Hitze erfasst uns, begleitet vom beißenden Benzingeruch und dem unaufhörlichen Hupen unzähliger Autos, während wir durch die automatischen Ausgangstüren des Flughafens durchgehen. Doch dieses Mal kam es anders. Ein moderner, stiller aber glänzender Flughafen begrüßt uns im Namen der Metropole, die schon seit Jahrhunderten Menschen verzaubert. Zügig geht es mit einem Taxi Richtung Innenstadt, ganz gleich wo wir hinschauen, erblicken wir lebhafte Menschenmengen, die fleißig arbeiten, umherschauen und einkaufen.

Nach dem einchecken im Hotel begeben wir uns zur prachtvollen Sultan-Ahmet Moschee, die schon von vielen Touristen umzingelt zu sein scheint, doch der Anblick täuscht. Der Riesenkomplex beherbergt mit Leichtigkeit tausende Besucher und hinterlässt ein Gefühl von Ehrfurcht und Glückseligkeit. Die meisterlich Kuppelbauten, künstlerische Kalligraphien und lichtdurchflutete Marmorfresken erscheinen schon fast surreal, so dass wir an manchen Momenten mehrfach hinschauen müssen, um zu realisieren, dass wir wirklich hier sind.

Bevor wir das Schauspiel verdauen können, wenden wir uns und erblicken die ebenfalls prachtvolle Hagia-Sophia Moschee, welche heute als Museum zugänglich ist. Das byzantinisch-osmanische Meisterwerk entzückt mit seiner anmutenden Innenarchitektur, lässt uns kurz innehalten und über die vergangenen Jahrhunderte hindurch gleiten.

Nach einer kurzen Erfrischung schlendern wir durch die chaotische Innenstadt, quetschen uns durch enge aber nostalgisch-authentische Gassen und landen am Hof der Fatih-Moschee. Eine Brise erfasst uns, aus den sorgfältig angelegten Gartenanlagen duftet es nach Rosen. Die Moschee erscheint wie ein schönes Gemälde, der Ezan wird gerade ausgerufen und wir eilen zur Gebetswaschung.

Am Hof findet zugleich eine Hochzeits- als auch eine Trauerfeier statt, sinnbildlich für den Werdegang und die Vielschichtigkeit des Lebens.

Wir wollen den Bosporus überqueren und nehmen die Fähre. Zwischen den kreischenden Möwen am Kai tutet sie mehrmals laut, während sie abfährt und wir uns Richtung Oberdeck bewegen und krampfhaft einen schönen Platz zu ergattern versuchen. Für wenig Geld genießt man hier vom Meer aus die Silhouette der Stadt: Zahlreiche Moscheen, der Galata-Turm und der Topkapi-Palast strahlen im gleißenden Sonnenlicht. Mithilfe der Fähre, die uns von Europa nach Asien schifft, erreichen wir Üsküdar, einen der ältesten Stadtteile Istanbuls. Er pulsiert und verführt uns mit seiner traditionell-modernen Stadtteilsymbiose.

Nach einer kurzen Wanderung am Ufer Richtung Leanderturm, die von zahlreichen Legenden und Sagen umrankt ist, nehmen wir ein Taxi und fahren zur neu erbauten großen Çamlıca-Moschee. Vom Riesenkomplex aus ist die ganze Stadt zu sehen. Als wir in die Moschee hineingehen, begrüßen uns nebst Gebetsruf der wunderschöne Teppich mit Ornamenten, die ins unendliche zu verlaufen scheinen. Türkisbeige Farbtöne dominieren, versinnbildlichen innerliche Ruhe, durch farbenfrohe Fenster erscheinen religiöse Mosaiken und neuzeitliche Meisterkalligrafen und Maler  haben – wie meine Augen bezeugen – ihr bestes gegeben, um der jahrhundertealten Tradition gerecht zu werden. Hingucker sind die drei großen Fenstermosaiken, die im Winde verwehende Wolken darstellen und die vielen Säulen, die nach arabisch-andalusischer Tradition erbaut sind. Die hervorragendste Aussicht bietet sich vom Hauptausgang! Er vermittelt das Gefühl des Herabblickens aus einem himmlischen Palast, da sich die Moschee auf einem der höchsten Plattformen Istanbuls befindet.

Am Ende des ersten Tages sind wir erschöpft, aber glücklich, die Stadt teilweise entdeckt zu haben. Ruhe finden wir abends in einem der vielen Cafés in trendigen Vierteln, wir steigen mühsam den Hügel hinauf zum Süleymaniye-Komplex, eine der schönsten und geheimnisvollsten Moscheen, um dahinter in einem der Cafés Platz zu nehmen. Wir sitzen nur einen Meter vor dem Abhang, der einen fantastischen Ausblick zur Abendsilhouette bietet und staunen lange Zeit über die Erhabenheit und Schönheit dieser Stadt, die nie zu schlafen scheint.

Als der nächste Tag anbricht, fahren wir nach einem köstlichen Frühstück Richtung Levent, einem modernen und gehobenen Stadtteil mit Skyline. Mit einem Aufzug inmitten einer luxuriösen Einkaufspassage steigen wir auf bis an die Spitze und zur Aussichtsplattform des höchsten Gebäudes. Der 360 Grad Panoramablick ermöglicht uns eine Vogelperspektive über Istanbul und wir staunen schwer, wie weit die Stadt eigentlich reicht. Wo wir schonmal hier sind, darf ein Besuch in einem berühmten Steakhouse natürlich nicht fehlen. Es gleicht einem Schauspiel, wie der Steakmaster sein Kunstwerk aus Fleisch mit einer Prise erlesenem Salz verarbeitet und serviert. Ganz zu schweigen von der dekorativ präsentierten Ofenkartoffel, die er kurzerhand mit zerlassener Butter zu Kartoffelpüree stampft und diese als Garnitur zum Fleisch bietet. Nicht nur die Show, sondern auch das Zergehen der Köstlichkeiten auf der Zunge ist ein unvergessliches Erlebnis.

Bei einem Spaziergang, um die Köstlichkeiten zu verdauen, begegnen wir am Ufer des Bosporus die alte Festungsanlage, die auf die gegenüberliegende Befestigungsanlage blickt, verbunden durch die Fatih Sultan Mehmet Brücke. Dieser Anblick ermöglicht uns die Vorstellung vom Beginn der Eroberung Konstantinopels. Sultan Fatih hatte die Anlagen nämlich vor der Belagerung der Stadt errichtet, um die vom schwarzen Meer einfahrenden Kriegs-und vor allem Handelsschiffe abzufangen, um dem Bosporus und somit die enorm wichtige Handelsroute zu kontrollieren.

Wir spazieren weiter südlich am Ufer entlang nach Besiktas, dem Ort, an dem es der Sultan während der Belagerung tatsächlich bewerkstelligte   jegliche Vorstellungskraft zu sprengen, indem er mit seiner Flotte übers Land ins goldene Horn einzog, um den undurchdringlichen Eisentau der Byzantiner zu umgehen und letztendlich die Stadt zu übernehmen. Bevor er dies tat, sagte er: „Um die Grenzen der Möglichkeit zu erkennen, muss das Unmöglich versucht werden.“

Inmitten des Stadtteiles erhebt sich ein alter, märchenhafter Turm, der wie ein Wächter seine Bewohner hütet. Der vormalige Beobachtungsturm der Feuerwehr, heute eine Aussichtsplattform, gehört zu den schönsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Im siebzehnten Jahrhundert absolvierte der Luftfahrtpioner Hazerfen Ahmed Çelebi von hier aus einen Gleitflug über den Bosporus nach Üsküdar mit selbstgebauten Flügeln.

So wandern wir von Stadtteil zu Stadtteil und ringen uns nach Eyüp – einem nostalgisch und spirituell aufgeladenem Ort – benannt nach einem Prophetengefährten, der hier begraben liegt. Eine vielfältige und lautstarke Menschenmenge durchzieht das Gelände, indessen Zentrum sich ein Brunnen mit Wasserspielen und natürlich die alte Moschee inklusive Mausoleum befinden. Der hintere Teil der Moschee erstreckt sich zu einem großflächigen Friedhof, der bedeutende Persönlichkeiten beherbergt. Und so machen wir uns motiviert auf den Weg, die wichtigsten Grabmäler der Stadt aufzusuchen, um unsere Spiritualität aufzuladen und bei Allah Vergebung um Ihretwillen zu ersuchen. Dabei zählen die sogenannten Wächter des Bosporus, Aziz Mahmud Hüdai, Yahya Efendi und der Prophet Yuscha als wichtige spirituelle Stätten.

Die Nacht bricht ein und wir sitzen am Kai von Eminönü, gewappnet mit Tee und Zuckermais, lassen die belichtete und immer noch pulsierende Stadt auf uns einwirken und betrachten zahlreiche Nachtangler auf der Galatabrücke, wie sie geduldig versuchen, ihrem Hobby nachzugehen.

Unser dritter und leider letzter Tag in Istanbul bahnt sich an. Wir nehmen früh die Fähre zu den sog. Prinzeninseln. Ein heiteres Gedrängel erwartet uns in der Wartehalle – Touristen drängeln sich, um schöne Plätze auf dem Deck zu ergattern und fangen wild an, Fotos und Selfies zu schießen. Wir sehen Schulgruppen mit überforderten Lehrkräften sowie Familien mit Kinderwagen, alle gespannt darauf, einen schönen erholsamen Ausflug in geruhsamer Umgebung zu genießen. Auf der größten Insel angekommen, spazieren wir eine Weile durch die im Waldgebiet liegenden schönen Holzhäuser, umringt mit Geschäften, Souvenirläden und Restaurants, bevor wir auf eine nostalgische Pferdekutsche steigen und uns über die Insel kutschieren lassen.

Anschließend machen wir uns auf den Weg zum alten Kloster auf dem Gipfel der Insel, lassen die Aussicht auf uns wirken und fahren am Nachmittag mit der selben Fähre wieder zurück zur Anlegestelle in Eminönü. Dort ergattern wir ein traditionelles Fischbrötchen inklusive Einlegegurken zur Stärkung und wollen noch vor dem Schließen den prachtvollen Dolmabahçe Palast aus dem neunzehnten Jahrhundert erkunden. Durch den mehrstündigen Aufenthalt erkunden wir den Komplex mit pompöser Gartenanlage und Uhrturm. Eine junge Reiseführerin führt uns durch die Innenräume, überall wertvolles und aufwendig bearbeitetes Kiefernholz-Mobiliar auf handgefertigte Orientteppiche für Staatsempfänge, Besucher, Arbeits-, Wohn- und Verwaltungsräume auf Stockwerken, die nur durch königliches Treppengeländer übertrumpft werden können. Hier hat zuletzt der spätere Staatsgründer Atatürk bis zu seinem Tode residiert, in seinem Sterbezimmer befindet sich heutzutage immer noch die Uhr, die man um 09.05 Uhr anhielt, als er dort starb.

Unsere letzte Station ist der große Bazar, ein komplexes Geflecht malerischer Ladengassen, geführt von flinken lauten Besitzern, welche die verschiedensten Waren an den Mann bringen wollen und deshalb um die Wette schreien, ähnlich wie auf deutschen Märkten. Das Funkeln der Juwelen, die Pracht der Seide und der fein gewebten persischen Teppiche ziehen uns magisch an und wir gleiten durch Raum und Zeit.

Mit Tränen in den Augen verabschieden wir uns vom Trubel, versuchen auf dem Rückweg zum Flughafen alles Revue passieren zu lassen, während der Taxifahrer die Fahrt mittels Smalltalk angenehmer machen möchte.

In Deutschland angekommen, freuen wir uns, von Beamten und Menschen sprachlich verstanden zu werden und sind dankbar für die angenehme Stille und die strengere Ordnung, die hier herrscht.

Auf dem Weg nach Hause lächeln wir zufrieden, solch eine anstrengende aber wunderschöne Kurzreise nach Istanbul angetreten zu haben. Wir hoffen auf zahlreiche Reisen, so schön wie diese.