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Die Täter kommen aus allen Schichten

Ausgabe 302

Foto: Inssan e.V.

(iz). Ob ein dummer Spruch, ein verweigerter Praktikumsplatz oder gezieltes Anrempeln – antimuslimische Diskriminierung kann verschiedene Formen annehmen. Ausgeübt wird sie nicht nur von Rechten und anderen Hassern, sondern auch von Menschen, die sich als fortschrittlich oder gar antirassistisch begreifen.

Hierzu sprachen wir mit drei Vertreterinnen des Berliner Vereins Inssan e.V. Er hat vor Kurzem eine Studie zum Stand der antimuslimischen ­Diskriminierung veröffentlicht. Die Rechtsanwältin Zeynep Çetin hat im Netzwerk Diskriminierung die Projektleitung inne. Isabell Winter ist ­Sozialarbeiterin sowie Religions- und Kulturwissenschaftlerin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen ­Empowerment-Training, Öffentlichkeitsarbeit und Social-Media, Falldokumentation sowie Auswertung und Netzwerkarbeit. Die Soziologin May Zeidani Yufanyi ist Projekt­­ko­ordinatorin für Empowerment, Falldokumentation und Auswertung sowie Netzwerkarbeit.

Islamische Zeitung: Sie haben jüngst einen Bericht zum Thema veröffentlicht. Was ist Inssan e.V. und wie beschäftigt sich der Verein mit antimuslimischer ­Diskriminierung?

Zeynep Çetin: Inssan e.V. ist ein muslimischer Träger, der nicht nur das Projekt Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit führt, sondern auch weitere andere Projekte im Themenfeld Rassismus sowie in der ­Sozialen Arbeit. Der Träger ist seit 2002 aktiv beziehungsweise der Verein wurde 2002 gegründet, und die Projekte kamen dann mit der Zeit.

Das älteste Projekt ist dabei das Netzwerk, das ich leite. Es ist eine spezifische Anlaufstelle für MuslimInnen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind und Diskriminierungserfahrungen machen, aber auch für Menschen, die als Muslime gelesen werden. Es wird von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gefördert. Es ist ein lokales Projekt, sprich eine Anlaufstelle für in Berlin ­lebende MuslimInnen, aber hat eine bundesweite Ausstrahlung.

Islamische Zeitung: Wie haben sich die Zahlen der antimuslimischen Übergriffe im Vergleichszeitraum geändert? Welche Kategorien von Übergriffen haben Sie aufgezeichnet und welche sind derzeit dominant?

Isabell Winter: Eine wichtige Kategorie sind sowohl die Arbeitssuche als Diskriminierung am Arbeitsplatz sowie Dinge wie ein freiwilliges Praktikum, die in diesen Bereich fallen. Bildung ist ganz wichtig. Und online ist eine Sache der neueren Kategorien. Der soziale Nahraum ist eigentlich fast immer die am häufigsten vertretene Kategorie. Das ist einfach irgendwie auf der Straße, an der Bushaltestelle – überall, wo man sich am Tag bewegt. Diese Kategorie war über die Jahre hinweg immer am stärksten vertreten. Gefolgt wird sie von Er­fahrungen im Bereich Güter und Dienstleistungen.

Islamische Zeitung: In einem Nebensatz des Dokuments wird erwähnt, dass vorrangig die Mehrzahl der Menschen, die diese Art von Übergriffen und Diskriminierung erleben, Mus­limische Frauen sind. Was sind die Gründe dafür? Und was sind die ­Folgen dieser Diskriminierung?

Isabell Winter: Zuerst einmal kann man davon ausgehen, dass es sich hier um Musliminnen mit Kopftuch handelt, die als solche erkennbar sind. Das ist einfach eine Sache, die eine große Rolle spielt. Hinzu kommt, dass mus­limische Frauen meistens als „unterdrückt“, „unterwürfig“ oder auch als „dumm“ stigmatisiert und konstruiert werden. Da ist die Hemmschwelle nicht so hoch, um Angriffe zu starten oder dumme Kommentare von sich zu geben. Dieses Zusammenspiel von Frau und muslimisch ist meistens der Grund. Dazu lässt sich auch sagen, dass Frauen aus unserer Erfahrung heraus oft ­zugänglicher sind und sich bei diesem Thema melden. Männer tendieren dazu, dass sie Übergriffe oft wegstecken ­möchten.

Islamische Zeitung: Gibt es hier eine Möglichkeit des Eingreifens von Muslimen auf kollektiver Seite?

Zeynep Çetin: Die von Politikern oder in staatlichen Einrichtungen permanent geführte Diskussion zu Fragen wie gesetzlichen Kopftuchverboten in Schule, Kita und Justiz münden in einer negativen Stigmatisierung des Kopftuchs. Und dass führt dann auch zu einer Stigmatisierung sämtlicher MuslimInnen. Das ist unabhängig davon, wie und ob sie ihren muslimischen Glauben praktiziert. Diese Projizierung überträgt sich in andere ­Debatten, wo diese Themen immer aufgekocht werden und gerade auch das Problembewusstsein für antimuslimischen Rassismus beeinträchtigt.

Einer unserer Ansätze ist ja nicht nur der einer Monitoringstelle. Es geht uns auch darum, die Betroffenen durch ­Beratung zu stärken.

Isabell Winter: Wir sehen beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt ganz viele, gut qualifizierte Frauen, die sich mit Kopftuch bewerben. Ihnen wird dann gesagt: Ja super, aber nur wenn du das Kopftuch abmachst; quasi als Normalzustand.

May Zeidani Yufanyi: Das hören die Betroffenen auch von Frauen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen. Diese sagen: Ich unterstütze keine Unterdrückung von Frauen. Mit der Folge, dass sie diesen Frauen keine Arbeit geben. Diese Argumentation ist zwar nicht schlüssig, funktioniert leider aber trotzdem so.

Zeynep Çetin: Auch die Auswir­kungen von gesetzlichen Kopftuchverboten auf dem privaten Arbeitsmarkt sind vorhanden. Hier nehmen sich ­Arbeitgeber die Nichteinstellung durch den Staat zum Vorbild. Als Pendant zur staatlichen Neutralität wird dann eine betriebliche eingeführt. So wird eine Seite gefördert und die eine andere ­ausgeschlossen.

Islamische Zeitung: Lässt sich eigentlich bei der Erfassung dieser Diskriminierung etwas über die Täter sagen? Gibt es ein eindeutiges Profil?

May Zeidani Yufanyi: Wir fokussieren uns zuerst auf die Betroffenen und die Community. Darauf verwenden wir unsere Arbeit. Aber man kann schon sagen, dass es kein einheitliches Profil gibt, welches auf alle Täter passen würde. Es fängt von Betrunkenen und Obdachlosen an und reicht bis hin zu Anwäl­tinnen, ÄrztInnen, Lehrerinnen, der Schulleitung etc. Es zieht sich durch das gesamte Klassensystem. Frauen, Männer und sogar sich selbst als links verstehende PolitikerInnen usw. Wirklich, es sind wirklich alle Kategorien vertreten.

Zeynep Çetin: Ich möchte gerne anmerken, dass wir keine Phantombilder im Büro haben, und dass wir keine Täterprofil erstellen. Darin liegt nicht der Fokus unserer Beratungsarbeit. Wir möchten den Tätern gar nicht so viel Raum bieten.

Was wir definitiv auch noch unterstreichen möchten, weil wir auch sehr oft danach gefragt werden: Der Anstieg der Fallzahlen ging mit dem Anstieg des Rechtspopulismus der letzten Jahre ­einher.

Wir müssen uns aber unbedingt bewusst werden, dass antimuslimischer Rassismus kein Phänomen ist, welches ausschließlich rechter Gesinnung zuzuordnen ist. Die Phänomene durchziehen alle Bevölkerungsgruppen, was viele Studien belegt haben. Viele repräsentative Umfragen in den letzten Jahren zeigen, dass in Teilen der breiten Gesellschaft auch diese negativen Einstellungen ­gegenüber MuslimInnen vorhanden sind. Das macht sich dann auch in den ­Diskriminierungserfahrungen fest. Wir versuchen auch in der Datenerfassung den Ort festzuhalten. Es lässt sich sagen, dass, wo Menschen viel zusammenkommen, auch mehr geschieht.

May Zeidani Yufanyi: Unsere Arbeit wird auch erschwert. Wir müssen sowohl unsere Mitbürger in der Mehrheitsgesellschaft davon überzeugen, dass es tatsächlich ein echtes Phänomen gibt, als auch uns selbst. Musliminnen sind manchmal überzeugt, dass es legitim sei, diskriminiert zu werden. Ich habe häufig von jungen Frauen gehört, die gerade ihren Abschluss gemacht haben, und als erstes bei einer Bewerbung fragen, ob Frauen mit Kopftuch angenommen werden, obwohl es ihr Recht ist, sich auf diese Arbeitsstelle zu bewerben und diese Arbeit zu bekommen. Sie wollen ihr Leben beginnen und nicht noch einmal von Diskriminierung betroffen werden. Das wird als normal angenommen.

Und da versuchen wir, einen unserer Schwerpunkte zu setzen. Indem wir die Communities sensibilisieren und klarstellen, dass Diskriminierung in einem demokratischen System keine Norma­lität sein soll. Ja, dass diese bekämpft werden kann. Dass Meldungen abgegeben werden sollen. Und dass Klagen tatsächlich normal und gerecht sind.

Isabell Winter: Ich möchte auch auf das fehlende Bewusstsein verweisen. Dazu gehört auch der klassische Satz: Ich bin doch kein Rassist oder Rassistin oder so. Wir sind noch lange nicht da angekommen, wo klar ist, dass man auch rassistisch sprechen oder sich rassistisch verhalten kann, ohne dass man überzeugte/r AfD-WählerIn an sich ist. Man muss kein Porträt von Hitler an der Wand haben, um solche Dinge zu sagen. Das ist eine Erkenntnis, die uns weiterbringen würde, wenn sie verbreiteterer in der Gesellschaft wäre.

Die Leute meinen es manchmal sogar gut oder sie wollen manchmal auch was Nettes sagen, und trotzdem ist es total diskriminierend oder antimuslimischer Rassismus.

Islamische Zeitung: Jetzt hat der Berliner Senat das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) beschlossen. Haben Sie darüber hinaus noch konkrete Forderungen sowohl an die Politik als auch an den Staat?

Zeynep Çetin: Wir haben die Forderung, dass antimuslimischer Rassismus als Problem klar benannt wird und dann auch bekämpft werden muss. Das ­fordern wir anhand der Erkenntnisse unserer Netzwerkarbeit. Eine unserer konkreten Forderungen ist der Ausbau der Beschwerde- und Beratungsstruktur. Aus unserer langjährigen Arbeit seit 2010 haben wir festgestellt, dass es nicht sein kann, dass eine spezifische Anlaufstelle nur mit einer Fördersumme von XY und zwei halben Stellen gefördert wird. Es braucht definitiv einen Ausbau dieser Beratungsstruktur, um die Lücke in dieser zu schließen. Wir haben natürlich durch unsere Dokumentationsarbeit die Forderung nach einer Monitoringstelle, die es bisher nicht gibt, um die Fallzahlen sichtbarer machen zu können und durch sie weitergehende Forderungen stellen zu können. Im Rahmen der CLAIM Allianz, bei der wir auch mitmachen, gibt es die Forderung zur Schaffung einer unabhängigen Expertenkommission. Diese braucht es auch in Berlin. Sie sollte dann auch einen Maßnahmenplan entwickeln. Das ist für bestimmte Teile bereits in Vorbereitung.

May Zeidani Yufanyi: Außerdem finden wir, dass Antirassismusarbeit eine größere Verstetigung braucht. Das hieße, nicht zwei bis drei Jahre neue Gelder zu beantragen, sondern dass wir echte Strukturförderungen bekommen. Man kann nicht denken, dass sich das Problem Rassismus durch jahrelange Arbeit lösen ließe. Das ist eine gesellschaftliche Idee, die nicht begriffen hat, wie dieser funktioniert. Rassismus ist strukturell verankert und Antirassismusarbeit muss auch strukturell verankert sein, damit wir das wirklich bekämpfen können.

Islamische Zeitung: In den USA ­unterhalten Muslime auf Dauer angelegte und selbst finanzierte Monitoring- und Lobbygruppen, die anders als in Deutschland kaum von äußeren Mitteln abhängig sind. Wäre es für Sie eine konkrete Forderung an die hiesigen Muslime, selber so etwas auf die Beine zu stellen?

May Zeidani Yufanyi: Ich glaube, es braucht beides. Es braucht auch das Verständnis durch den Staat. Und dass unsere Arbeit den Staat verbessert. Wir arbeiten, um die deutsche Gesellschaft zu verbessern. Wir arbeiten nicht, um uns selbst das Leben zu erleichtern.

Auf der anderen Seite finde ich es auch sehr wichtig, wenn die Community begreift, wie schwierig und wie wichtig das ist. Die Einrichtung einer unabhängigen Institution wäre natürlich sehr gut. Deutschland hat immer noch Hemmungen vor Institutionen in der muslimischen Community.

Isabell Winter: Was man auch sagen kann: Es ist einfach auch dafür vonnöten, dass die Community erstmal ­sensibilisiert ist und empowert ist. Wenn ganz viele MuslimInnen gar nicht sehen, dass das Diskriminierung ist, dann sieht auch die Mehrheit keinen Sinn hinter einer solchen Stelle.

Was im Einzelnen auch jede und jeder Einzelne tun kann, ist zum Beispiel ganz einfach: Diskriminierung melden. Wir haben diesen Meldelink: inssan.de/meldung. Heute hat jeder ein Smartphone. Wenn etwas passiert, einfach sofort über den Link melden. Das ist schon ein ­kleiner Schritt für einen selbst, aber er macht sehr viel aus. Es ist einfach, sich über dieses Thema zu informieren. Es ist leider ein Teil unserer Realität, sich damit auseinanderzusetzen.

Islamische Zeitung: Liebe Zeyneb Çetin, liebe May Zeidani Yufanyi und liebe Isabell Winter, wir bedanken uns für das Gespräch.