Die Tausug: damals wie heute: auf der Suche nach der Zukunft. Von Neldy Jolo

Ausgabe 205

(iz). Allahu Akbar, Allahu Akbar“, dieser Ruf ertönt überall auf den Sulu-Inseln; jedes Mal, wenn der Muezzin zum Gebet ruft. Jedes Tausug-Baby freut sich an diesen melodiösen Tönen, während es von seiner Mutter im Hinterland oder an der Küste dieser Inselgruppe geschaukelt wird. Auf der Hauptinsel Jolo ertönt der morgend­liche Gebetsruf im Schatten der Berge Bud Dahu und Bud Tumantangis und ist ein Echo der historischen Bedeutung dieser Zivilisation.

Bereits in der Frühzeit unterhielt die Sulu-Inseln diplomatische Beziehungen zu Ländern und Reichen wie China, Malaya, Sumatra, Java, Sulawesi, Makassar und Brunei. Bereits zur Mitte des ersten frühchristlichen Jahrhunderts wa­ren die Sulu-Inseln, die entlang wichtiger Handelsrouten lagen, über die ­Region hinaus bekannt. Verschiedene kaiserliche, chinesische Handels- und Entde­ckungsmissionen besuchten die Inselgruppe beziehungsweise machten hier Station. Insbesondere die reichhaltigen Perlenkulturen des Archipels steigerten die Bekanntheit des Region.

Zur Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends knüpften Sulu-Inseln mit Hilfe von Zwischenhändlern (aus dem heutigen Kambodscha und Vietnam) Kontakte zu mehreren Reichen in ­Indien. Von hier kamen hinduistische und bud­dhistische Einflüsse in die Sulu-See. Die Ankunft des Islam in den 1130er ­Jahren war ein gesellschaftliches Phänomen, das die Landschaft Südostasiens insgesamt verändern sollte. Seine Religion und Lebensweise erweckte den Glauben der Tausug und stärkte ihre soziale Lebensweise. Nach Ansicht von Erick A. San Juan „leitete sich Sulus zweihundert Jahre anhaltende Führung über sein großes Gebiet im Wesentlichen aus der bedeutenden Rolle des Islam“ ab.

Das Archipel dieser liegt entlang wichtiger Handels- und Seerouten. Daher glauben viele, dass die ersten Muslime Händler waren, die zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert hierher kamen. Andere sind der Ansicht, dass die ersten Muslime (bereits Sa’ad ibn Waqqas ging nach China) aus dem – mittlerweile un­tergegangenem – Königreich Champa kamen und einheimische Frauen aus dem Stamm der Buranun heirateten. Zu den bekanntesten Personen, die hier zum Islam einluden, gehörten die „Wali Songo“ – die neun „Freunde Allahs“ -, die den Allah in Südostasien und in Teilen Chinas verbreiteten.

Auf den Bergen der Inseln finden sich viele Gräber solcher Da’is (arab. Leute, die zum Islam einladen). Am Hang des Berges Bud Datu der Hauptinsel liegt beispielsweise das Grab von Tun ­Timhar Muqbalu, das bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts zurückdatiert. Ein ­weiterer Weg des Islam zu den Menschen des Archipels waren Inseln wie Borneo. Nachdem sich Muslime entlang der Meeresenge von Malakka (Melaka) ansiedel­ten, zogen sie neue, muslimische Studen­ten an, die an den Sulu-Inseln vorbeika­men. Melaka war damals eines der wichtigsten islamischen Zentren in Südostasien. Ihm folgten in der Zukunft ­weitere Da’is und Sufi-Schaikhs. Es kam auch zu politischen Verbindungen, als musli­mische Prinzen mit Prinzessinnen aus den Sulu-Inseln verheiratet wurden. Von 1330er Jahren bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts wollte sich das Majapahit-Reich von Java die Sulu-Inseln einverleiben. Vic Hurley schrieb in s­einer Geschichte der „Moros“ dazu: „Ab 1330 segelten die Schiffe des einmarschierenden Java-Reiches 70 Jahre an die ­Strände von Sulu. Sie segelten mit dem Monsun in Richtung Nordosten und ­kehrten nie zurück. Die Moros (Tausug) ­hielten an ihren Inseln fest.“ 1401 kam Sajjid Abu Bakr, ein Araber aus Johor, nach Jolo, wo er Prinzessin Sitti Nurul Aschjikin, die Tochter von Raja Baginda Ali, heiratete. Zwischen 1401 und 1405 gründete er das Sultanat Sulu und wurde sein erster Sultan; unter dem Namen Maulana Schaikh Abu Bakar Al-Falimbangi. In malaiischen Chroniken wird er als Qur’anlehrer erwähnt. Er war der erste Herrscher der Region, der den Titel „Sultan“ führte und das System der Rajas abschaffte.

Auf Jolo findet sich das Grab von Scharif Ali, einem Da’i aus der arabischen Stadt Taif. Er erreichte die Inselgruppe 1425, wo er den Titel „Sultan“ annahm und die Hindu-Reiche Maimbung und Tawi-Tawi zum Islam brachte. Später unterhielten die Tausug Beziehungen mit dem Nahen Osten. Diese reichten bis in die mamlukische Periode zurück, als Gold und Silber die Basis des gemeinsamen Handels waren. Andere muslimi­sche Gelehrte wie Sajjid Malawi ­Balpaki garantierten Ende des 16. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderten den Islam in den Sulu-Inseln. Sie schufen politische Allianzen gegen den anwachsende Gefährt der Kolonisation und dem ständigen Zu­strom christlicher Missionare.

Für die Spanier waren die Tausug nur „Moros“, weil sie die gleiche Religion wie die Mauren hatten – die Einwohner Andalusiens. Tausug [was sich mit „die Leute der Strömung“ übersetzen lässt] haben keine einheitliche Identität. Sie sind ein Gemisch aus mehreren ­Stämmen und Völkern: Buranun, Tagimaha (Ya­kan), Baklaya, Dampuan, Banjar, Sama, Mulbug, Kalibugan, Subanen, Iranun-Maguindanau, Arabern, Europäern, Chinesen, Javanesen und anderen. Spanier, Japaner und Amerikaner wollten die Sulu-Inseln im Laufe der Geschichte unter ihre Kontrolle bringen. Die ­Spanier begannen 1578 mit dem Bombardement Jolos, aber scheiterten daran, die Tausug zur Unterwerfung vor Kreuz und König zu zwingen. Später kam Onkel Sam mit seinem Weißkopfseeadler aus einem anderen fernen Kontinent, um die Gelegenheit zu nutzen, welche die spanischen Waffen ausließen. Im Mai 1899 muss­ten die Spanier aus dem befestigten Jolo abziehen. Die Amerikaner hatten einen Brief des türkischen Sultans an den Sultan der Sulu-Inseln. Darin wurde dieser – im Geiste der Brüderlichkeit aufgefordert -, die Amerikaner ungehindert auf den Inseln und ihrem Hinterland ­landen zu lassen.

Als die Philippinen nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg zur US-Kolonie wurden, zwangen die neuen Her­ren die muslimischen und nichtmuslimischen Regionen, einen gemeinsamen, künstlichen Staat zu bilden. Die Amerikaner und die philippinische Verwaltung unterzeichneten 1935 einen Vertrag, wonach den muslimischen Regionen im Zuge der Unabhängigkeit von der US-Kolonialregierung eine eigenständige Regierung zugesichert wurde. Am 4. Juli 1946 gewährte Wa­shington der Republik der Philippinen die Unabhängigkeit.

Die Führer Mindanaos [große südphi­lippinische Insel, die vor einer einschnei­denden Landreform von Amerikanern und Filipinos muslimisch war] und der Sulu-Inseln wehrten sich dagegen, dass ihre Heimat zu einem Teil der Philippinen gemacht wurde. Sie mussten eine imaginäre philippinischen Nationalität anzunehmen. Bis heute haben die Tausug ihre eigene Identität und ihr ­eigenes Land – nicht als Filipinos. Der Islam als Lebensweise spielt auch weiterhin eine wichtige Rolle für die Menschen dieser Inselwelt. Deren Organisationsform und Identität unterscheiden sich so sehr von den Filipinos, dass diese sie nicht verstehen können. Im Sulu-Sultanat hatten die Tausug eine einheitliche Identität. Nur durch Zwang wurden sie zu philip­pinischen Staatsbürgern. 2007 wurde die Kampagne für eine eigenständige Staatsbürgerschaft auf Jolo gestartet. Die Regierung in Manila wurde aufgefordert, sich von den Territorien des ehemaligen Sulu-Sultanats zurückzuziehen: die ­Halbinsel Zamboanga, Basilan, Joo, Tawi-Tawi und Palawan. Tausenden Tausug zogen mit Bannern durch die Straßen, auf denen zu lesen stand: „Ich bin ein Tausug vom Sulu-Sultanat, ich bin kein Moro und kein Filipino.“

Die Tausug wurden zu Fremden und Ausländern in ihrer eigenen Heimat. Ihre Lage, ob sie auf den Philippinen leben oder in Malaysia, ist gleichermaßen schwierig. Auf den Philippinen wurden sie wegen Krieg, Armut und einem Mangel an Lebensmöglichkeiten an den Rand gedrängt. In Malaysia werden sie als illegale Ausländer wegen fehlenden ­Papieren ausgewiesen. Auch wenn einige Tausug Flüchtlingsstatus beziehungsweise Ausweise haben, gelten hunderttausende in den Augen des malaysischen Staats als „illegale Einwanderer“. Manche kehren nach ihrer Deportation wieder zurück, um weiter ihren Lebensunterhalt in Malaysia bestreiten zu können. Auf den Philippinen müssen sie ­darüber hinaus auch noch mit militärischen Angriffen fertig werden, da ein Teil ihrer Heimat zu „Kampfzonen“ gemacht wurde.

Die Region des ehemaligen Sultanats (Sulu Sultaniyah Darul Islam) ist nicht nur eine Heimat für viele Menschen, sondern bietet auch große Möglichkeiten für den Handel, Entdecker, Künstler und Reisende. In ihr schlummert ein großes Potenzial für die Landwirtschaft: Kaffee, Cassava und Palmenmark. Das gleiche gilt für Bergbau, Gummianbau und viele Sektoren des Fischereiwesens: Perlen, Fischerei und Meeresarmen.

Der Autor ist Aktivist und Künstler. Er publizierte über die Lage in Sulu und auf Mindanao. Momentan beendet Neldy eine umfassende Geschichte über seine Heimat.