Die verschwundenen Orte der Palästinenser

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Nazareth (KNA). Leicht könnte man die kleine Seitenstraße übersehen, die in einem scharfen Winkel von der Verbindungsstraße 75 nach Nazareth abbiegt. Kein Schild weist den Weg, einen Namen hat das knapp 300 Meter lange Stück Asphalt nicht. Zwei junge Pferde, aus ihrer Koppel entwischt, trotten unbehelligt durch das für die Jahreszeit ungewöhnlich satte Grün. Hier, unter dem Schatten der Nadelbäume und hinter dem Sperrzaun des israelischen Militärpostens, stand bis zum 15. Juli 1948 Maalul. Dann nahm die Armee des gerade gegründeten Staates Israel das muslimisch-christliche Dorf ein und zerstörte seine Häuser.

„Das Dorf liegt unter dem Wald“, sagt Mohammed Kaial in Anspielung auf einen Film des südafrikanischen Dokumentarfilmers Mark J. Kaplan über das Schicksal palästinensischer Orte 1948. Kaial ist Vorsitzender von ADRID, dem „Verein zur Verteidigung der Rechte von Binnenvertriebenen“. Wie in dutzenden anderen Fällen habe der für Forstprojekte zuständige Jüdische Nationalfonds (KKL) sprichwörtlich das Gras – in diesem Fall den Wald – über die Überreste zerstörter Palästinenserdörfer wachsen lassen.

Was in Maalul passierte, wiederholte sich so oder vergleichbar in vielen Ortschaften, erzählt Mohammed Kaial. Die ehemaligen Bewohner flohen oder wurden von den jüdischen Kämpfern und später der israelischen Armee vertrieben. Mit dem allernötigsten ließen sie sich in den umliegenden Orten nieder, im festen Irrglauben, nach wenigen Tagen oder Wochen in ihre Häuser zurückkehren zu können. Mehr als 400 palästinensische Orte sind dem israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947 bis 1949 zum Opfer gefallen. Die Häuser wurden zerstört, das Land nach dem Absentee Property Law, dem „Gesetz über den Besitz von Abwesenden“, beschlagnahmt, mit Israelis oder wie in Maalul mit Nadelwald wiederbesiedelt.

In einem jedoch ist Maalul selbst für israelische Verhältnisse ein Sonderfall, sagt die für das Adalah-Rechtszentrum für arabische Minderheiten arbeitende Anwältin Sawsan Zaher. Der christliche Friedhof des ehemaligen Dorfes liegt seit 1949 in den Absperrungen eines israelischen Militärcamps, unerreichbar für die Angehörigen der Toten. Der Gang vor Israels Oberstes Gericht war nötig, um nach jahrzehntelangem Kampf das Besuchsrecht einer Christin am Grab ihres Vaters zu erreichen.

Ein Präzedenzfall, und für die arabisch-israelische Parlamentarierin Aida Toumeh-Suliman „ein weiteres bedeutendes Loch in der Mauer, mit der unsere Geschichte verleugnet werden soll“. „In diesem Land hat man Angst vor dem Gedächtnis der Palästinenser, Angst vor dem Besuch einer Großmutter am Grab ihres Vaters“, sagt ihr Parlamentarierkollege Ayman Odeh. „Dieses Recht dürfen wir nicht verlieren, während wir gleichzeitig um das Rückkehrrecht kämpfen.“

In Maalul haben die wenigen noch lebenden Vertriebenen und ihre Nachfahren zumindest ihre Gotteshäuser zurückgewonnen. Die orthodoxe und die katholische Dorfkirche stehen außerhalb des Militärbezirks, ebenso wie die nur als Ruine erhaltene Moschee, die die Nachfahren der Bewohner Maaluls schrittweise renovieren wollen. In den Kirchen wird seit ihrer Restaurierung 1985 jedes Jahr an Ostermontag gefeiert. In diesem Jahr, sagt der melkitische Priester Masoud Abu Hatum, haben sie erstmals seit 73 Jahren zwei Hochzeiten feiern können.

„Ich bin aus Maalul“, lautet die Antwort auch noch der dritten und vierten Generation nach der Vertreibung, egal, ob sie de facto in Nazareth oder andernorts geboren wurden. Auch das ist Ausdruck der Forderung nach dem Recht auf Rückkehr in die verlorenen Orte. In der Zwischenzeit erzählen die Generationen ihren Kindern von Maalul, organisieren Vorlesungen, Sommercamps und Kunstveranstaltungen und führen Gruppen durch den Wald über den Ruinen. „Wir sind hier, präsent, nicht abwesend, wie es das ‘Absentee Property Law’ glauben lassen will“, sagt Maalul-Nachfahrin Salwa Salem Copty. Hier, unter den Wurzeln der KKL-Bäume, liegen ihre Wurzeln.