Die Weltmetropole ist gerade im Fastenmonat ein großer Gewinn. Von Anna Klie

Ausgabe 207

Merhaba,
hier kommt eine E-Mail für alle Nachfra­genden und Interessierten, die sich eine 2-3-minütige Auszeit gönnen möchten: Ja, ich bin heil in Istanbul gelandet und lebe hier seit fast 2 Wochen ziemlich intensiv, so kann ich’s sagen.
Mein Motto „Dropped in Istanbul and soak everything in“ konnte ich bislang ziemlich gut in die Tat umsetzen. Diese Stadt ist wirklich FASZINIEREND, scheint nie richtig zu schlafen, zumindest nicht im Ramadan. Es gibt sehr, sehr viel zu berichten, wovon ich Euch/Ihnen ein bisschen mitteilen möchte. Wo am bes­ten beginnen? Am Anfang!

(iz). In den ersten beiden Tagen habe ich in einer türkischen Großfamilie gelebt, die mich so warmherzig empfangen hat, dass ich ganz sprachlos war. Sprachlos: Im doppelten Sinne, denn mit meinem Türkisch ist es ja bekanntlich nicht allzu weit her und die Verständigung über’s Englische war nicht so einfach und daher wurde viel über Gestik, Mimik und mithilfe des Wörterbuches kommuniziert, was aber gar nicht weiter schlimm war. Hier konnte ich auch gleich richtig gute türkische Küche kennenlernen, mit viel Liebe und Können zubereitete Ge­richte, die bekannte rote Linsensuppe (Mercimek Çorbası), Manti, Menemen (türkisches Rührei), Börek etc. und auf einer Dachterrasse unter einem sternenklaren Himmel bis in die frühen Morgenstunden hinein türkischen Kaffee und Tee und Süßigkeiten genießen. Das war natürlich ein wundervoller Anfang… Und ich dachte immer, es heißt: „Leben wie Gott in Frankreich“, vielleicht müsste da mal nachkorrigiert werden ;)-

Und dann stand Ramadan vor der Tür und in der Nacht vorher sind wir zum Gebet zur altehrwürdigen Atik Valide-Mo­schee in Üsküdar gefahren, die vom großen Sinan erbaut wurde (mein IST-Führer sagt, dass der Komplex hinter der Süleymaniye als Sinans grandiosestes Werk in IST gilt). Das Gebet werde ich nie mehr vergessen; meine Nachbarinnen wohl auch nicht:) Vielleicht hätte ich mich umsichtiger präparieren und die Raka besser üben sollen; aber in kleidungstechnischer Hinsicht konnte man mir aus islamrechtlicher Perspektive ei­gentlich nichts vorwerfen;) Wie dem auch sei: Während des Gebetes wurde ich von meinen Schwestern hin und wieder korrigiert und als meine Haare unter meinem Kopftuch herausrutschten, wurden sie schnell wieder zurückgeschoben, wobei mir zugleich mit Gesten signalisiert wurde, dass ich meinen ­Oberkörper wohl etwas besser hätte bedecken sollen (irgendwie habe ich als einzige keine Strickjacke getragen).

„Gleich schmeißen die mich raus“, dach­te ich, als dann auch noch völlig unerwartet 2x mein geliehenes Handy klingelte. Am liebsten wäre ich im Boden versunken, zumal ich dieses Handygebimmel in Gotteshäusern selber schwerlich akzeptieren kann. In der Tat trafen mich leicht erboste Blicke, aber dann – ich wusste gar nicht wie mir geschah – bekam ich nacheinander links und rechts einen dicken Kuss von meinen Nachba­rinnen. Ganz schön perplex war ich, aber irgendwie auch erleichtert, weil mir mei­ne unislamische, dilettantische Performance scheinbar verziehen wurde – al hamdillulah. Später erzählte mir meine kleine Dolmetscherin Fatma dann, dass sie mir ausrichten sollte, dass ich jeden Tag/Abend gerne wieder willkommen sei:):):)  

Und dann kam der erste Tag von Ramadan, an dem ich den herrlichen Duft und Geschmack des massenhaft gebackenen Ramazan Pide ­kennenlernte bzw. die langen Schlangen am Abend vor den Bäckereien, das Verkehrschaos mit lautem Gehupe ab spätestens 19 Uhr auf den Straßen, eine in der Luft liegende Spannung, die entladen werden will im Iftar, der hungrig und durstig herbeigesehnt wird…. nicht zu vergessen: der Ramdantrommler, der der in den Morgenstunden mit lautem Tamtam seine Runden durch die Straßen zieht, um die Menschen mit seinem Getrommel zum Frühstück zu wecken…

Im Ramadan sind die Minarette der Moscheen mit Extralichtern beleuchtet, was im Dunkeln natürlich besonders schön aussieht, vor allem, wenn man am Bosporus-Ufer auf der asiatischen mit Blick auf die großen Moscheen auf der europäischen Seite Istanbuls mit dem Auto entlangfährt. Moscheen von innen habe ich natürlich auch schon viele gesehen: Ayasofia, Sultan Ahmet, Süleymaniye, Yeni Cami, Eyüp … Ich wusste vorher, dass ich vom Inneren vor allem der großen überwältigt sein würde, aber es dann vor Ort tatsächlich zu sein, ist natürlich nochmal was ganz anderes. Die Kuppeln scheinen zu schweben und am liebsten möchte man sich direkt drunterlegen und ein bisschen länger dort ­verweilen.

Die diversen Mosaiken und Fayencen mit stilisierten Pflanzen, vor allem das blaue Dekor der Sultan Ahmet Camii (Blaue Moschee) sind ebenso beeindruckend und ich habe mich des Öfteren gefragt, wie Menschenhände imstande sind, soetwas zu fertigen. Ich schicke in einer nächsten E-Mail ein Album mit Fotos, die eine gewisse Vorstellung von der Schönheit der Moscheen vermitteln sollen.

Auf der europäischen Seite Istanbuls kann man in den historischen, von Touristen bevölkerten Stadtteilen einer gewissen „Macho kültür“ leider nicht ausweichen. Es kann u.U. sein, dass man von der Ayasofia bis zur blauen Moschee von mit Flyer wedelnden, rufenden Touri-Guides verfolgt wird, um bitte bloß an einer Bosporus-Schiffstour oder einem Bustrip teilzunehmen: „Lady, where do you come from?“, „Guten Morgen“, „Ich komme aus Bremen“, „I love Hamburg“, „Special price for you today“, „Here, take this“, „Only today“, „Why not?“ etc. pp.

Wenn mann dann mit Werbebroschü­ren plakatiert die Sultan Ahmet erreicht hat, darf man sich glücklich schätzen, auf den „personal cultural master“ Abdullah zu treffen, der dir den schönsten Tag deines Lebens bereiten will. „Hayir, tesekkür ederim! – Nein, danke, ich hab schon!“:)

Ansonsten habe ich hier aber bereits sehr viele hilfsbereite, nette, herzliche Menschen kennengelernt. Ich wohne in Findikli/Maltepe auf der asiatischen Seite, etwas außerhalb, zusammen mit 2 Frauen, die sehr humorvoll sind und wir hatten sofort einen Draht zueinander. Sie sind sehr tolerant und wundern sich über meine derzeitige Vorliebe für Cig Köfte, die mir mit ihrer Würze bei der Wärme hier sehr gut schmecken… Allerdings musste ich ein wenig mit Vourteilen gegenüber Deutschen aufräu­men, die die beiden über’s Hörensagen(!) aufgeschnappt und doch tatsächlich geglaubt haben, also wirklich! So kann ich mit meinem Hiersein auch ein wenig zur Völkerverständigung beitragen und ein wenig auf Deutschland neugierig machen (wenn ich meine Bekanntschaf­ten weiterhin nach D. einlade, werde ich bald Probleme bekommen…;) Das Transportsystem und der Verkehr hier sind wirklich besonderer Art. Diejenigen, die schon mal in Istanbul waren, wissen, wovon ich rede.

Das Sardinenbüchsen-Feeling im Bus ist ein ganz spezielles Muss. Man glaubt kaum, wie viele Leute noch in einen Bus passen, der eigentlich schon voll ist. Zur Not werden eben die Türen aufgelassen. Überfahren wurde ich schon gefühlte 30x.

Kleiner Tipp: Vor dem Überqueren einer Straße (ohne Ampel) ein ­Stoßgebet sprechen und schnell sein, aber nicht einfach nur rennen, sondern auch schnell abstoppen können. Das trainiert sicher auch die Beinmuskulatur. Manchmal frage ich mich, wo die Fahrbahnen sind und ich glaube die Fahrer sich auch, aber mit ein wenig Gehupe, Geschrei und Rangiererei geht alles gut, inschallah. Naja, und dass Zebrastreifen hier keine Zebrastreifen im dt. Sinne sind, weiß ja jedes Kind, gell?

Es gibt noch sehr viel mehr zu erzählen und natürlich zu entdecken, in kulinarischer, kultureller, zwischenmenschlicher etc. Hinsicht. Der Tag müsste 48 Stunden haben. Morgen beginnt mein Sprachkurs. Mal gucken, wie ich mich anstelle. Und morgen machen wir Iftar vor der blauen Moschee mit Mehter Marsi und Ramadan Konzert.
Vor der Süleymaniye würde ich gerne mal übernachten…
Soweit! Meine Finger werden wund;)
Alles Gute nach Deutschland und weiterhin einen gesegneten Ramadan!!!

Anna Klie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interkulturelle Islamstudien der Universität Osnabrück.