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Die Widersprüche der China-Politik

Foto: avigatorphotographer | Freepik

Berlin/Peking (GFP.com). Plädoyers aus Unternehmerkreisen für mehr Unterstützung für die Industriekooperation mit China und Plädoyers aus transatlantischen Milieus für eine harte Konfrontation begleiten den heutigen Aufbruch von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Beijing. Deutsche Unternehmen sorgen sich um ihr China-Geschäft – zum einen wegen des eskalierenden US-Wirtschaftskriegs gegen die Volksrepublik, zum anderen, weil die chinesische Regierung in Kürze ein neues Kontrollsystem für sämtliche im Land tätigen Firmen einführen wird, das die Einhaltung chinesischer Vorschriften mit Mitteln der IT streng kontrolliert und bei Nichtbefolgung empfindliche Sanktionen androht. Damit sollen etwa Umweltschutznormen durchgesetzt und die Korruption bekämpft werden. Deutsche Unternehmer fürchten Nachteile.

Zugleich heißt es unter anderem bei Bündnis 90/Die Grünen und bei der FDP, Merkel müsse sich ganz offen in Chinas innere Angelegenheiten einmischen und sich auf die Seite der Proteste in Hongkong stellen. Selbst eine Absage der Reise dürfe nicht ausgeschlossen werden.

Wirtschaftspotenziale
Einen zentralen Stellenwert wird bei den Gesprächen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Beijing der Wirtschaftskrieg der Vereinigten Staaten gegen China einnehmen. Er verursacht schon jetzt ernste Schäden für die deutsche Industrie, deren größter Handelspartner und drittwichtigster Investitionsstandort die Volksrepublik ist, während die USA unter den Investitionsstandorten deutscher Unternehmen auf Platz eins rangieren, unter den Handelspartnern auf Rang drei. Chinas ökonomisches Potenzial für die deutsche Wirtschaft gilt unverändert als immens, so zum Beispiel für die Kfz-Industrie; die Volksrepublik ist der mit erheblichem Abstand größte Auto-Absatzmarkt der Welt und Vorreiterin bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge, die einen einschneidenden Umbruch in der Entwicklung der Branche mit sich bringt. Allerdings geht unter dem Druck der Trump’schen Strafzölle zur Zeit der Absatz nicht zuletzt auch von Autos in China deutlich zurück; deutsche Kfz-Hersteller und -Zulieferer verzeichnen inzwischen Gewinn- und Umsatzverluste. Weitere Einbrüche drohen, falls die Trump-Administration – und das erscheint derzeit als wahrscheinlich – ihren Wirtschaftskrieg fortsetzt.

Ein neues Kontrollsystem
Zusätzliche Sorgen bereitet der deutschen Industrie gegenwärtig ein neues Kontrollsystem für in China tätige Unternehmen, das in einer ersten Testphase schon in Kürze eingeführt werden soll. Hintergrund ist, dass die Volksrepublik ihre Wirtschaft immer weiter für auswärtige Unternehmen öffnet; so werden etwa bisherige Beschränkungen für Investitionen aus dem Ausland zunehmend gelockert. Deshalb arbeitet Beijing nun an einem „Corporate Social Credit System“ („Corporate SCS“), das die Aktivitäten aller im Land tätigen Firmen – einheimischer wie auswärtiger – penibel überwachen und die erhobenen Angaben elektronisch zusammenführen soll.

Dabei geht es darum, ob die Unternehmen korrekt Zölle und Steuern zahlen, Umweltschutzvorschriften einhalten, sich korrupter Praktiken enthalten, eine angemessene Qualität ihrer Waren sicherstellen und einiges mehr. Neu ist insbesondere, dass die Einhaltung gesetzlicher Normen durch Privatunternehmen wirklich umfassend kontrolliert und in Zukunft auch mit Mitteln Künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet wird. Firmen, die die staatlichen Regeln einhalten, werden belohnt; andere, die gegen sie verstoßen, müssen mit Sanktionen rechnen, die etwa den Entzug von Subventionen oder von Lizenzen umfassen können. Neu ist auch, dass bei Verstößen in Zukunft die verantwortlichen Manager persönlich zur Rechenschaft gezogen werden sollen.

„Smarter Ansatz“ mit „Fallstricken“
Deutsche Wirtschaftsvertreter beobachten das neue Kontrollsystem, dem sie – nicht anders als chinesische Firmen – unterworfen werden sollen, mit Argwohn, wenngleich zumindest einige von ihnen Verständnis für seine Einführung äußern. „Sie wollen das benutzen, um ihre Wirtschaft in Ordnung zu bringen“, äußert etwa Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China: „Das ist ein Versuch, den Markt – also uns und unsere Unterlieferanten – dazu zu bringen, sich an die Gesetze zu halten. Im Grunde ein ganz smarter Ansatz“.

Allerdings beklagt Wuttke auch „viele Fallstricke“. So sollen Unternehmen künftig auch darauf achten, dass sie bei gesetzeskonform agierenden Zulieferern einkaufen. Zudem heißt es, das neue Kontrollsystem könne als Instrument im Wirtschaftskrieg mit den Vereinigten Staaten genutzt werden. In der Tat hat Beijing kürzlich gedroht, etwa die US-Firma FedEx auf eine Liste „unzuverlässiger“ Unternehmen zu setzen, nachdem FedEx eine Reihe an Huawei-Filialen in China adressierter Paketsendungen – eventuell mehr als 100 – eigenmächtig in die USA umgeleitet hatte.

Eine solche Klassifizierung könnte, so heißt es, ähnliche Folgen haben wie ein Eintrag auf einer US-Sanktionsliste. Denkbar wäre, dass gehäuftes Fehlverhalten unter dem neuen Corporate SCS zu einer solchen Listung führen kann. Deutsche Unternehmen erhoffen sich diesbezüglich politische Rückendeckung aus Berlin.

Richtungsstreit
Widersprüchliche Imperative prägen die deutsche Chinapolitik schon lange. Ursache ist, dass einerseits die deutsche Industrie auf den riesigen chinesischen Markt und die sich äußerst rasant entwickelnde chinesische Technologie angewiesen ist, will sie ihre führende Rolle in der globalen Wirtschaft nicht verlieren; dass andererseits aber die Volksrepublik, nicht zuletzt übrigens dank ihrer engen Kooperation mit der westlichen Industrie, ebenso rasant erstarkt und sich zu einer Macht entwickelt, die dem Westen die bisherige Vorherrschaft streitig macht. Bislang sucht Berlin beides zu verbinden, unterstützt die Expansionsbemühungen der Wirtschaft und stärkt zugleich chinesischen Oppositionellen in gewissem Umfang den Rücken.

Mit Blick auf die eskalierende US-Aggression gegen die Volksrepublik stellt sich allerdings die Frage, wie lange dieser Kurs zu halten ist und ob Berlin sich nicht offen auf Washingtons Seite schlagen wird. Als Argument für Letzteres wird zunehmend angeführt, dass chinesische Unternehmen zusehends erstarken und ihre deutsche Konkurrenz immer öfter in die Defensive drängen, was die Profitchancen einer engeren Kooperation untergräbt.

Die Auseinandersetzung darum ist freilich noch nicht entschieden. Aktuell wird berichtet, nach der Veröffentlichung eines BDI-Strategiepapiers mit scharfen Tönen gegen China im Januar [10] stünden die Zeichen im Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft seit der Übernahme des Vorsitzes durch Siemens-Chef Joe Kaeser „wieder mehr auf Kooperation“.

Ob diese Linie sich durchsetzen kann, ist freilich noch nicht entschieden.