Ebru: Die Kunst, auf Wasser zu malen

Ausgabe 244

Gülhan Efkar ist eine Ebru-Künstlerin aus Adana mit Wohnsitz im Saarland. Sie hat unsere Fragen zum Thema ihrer Kunst beantwortet. Weitere Infos über Frau Efkar finden Sie hier: www.efkar.de

Islamische Zeitung: Welche Bedeutung hat Ebru als künstlerischer Ausdruck im Islam und warum?

Gülhan Efkar: Seit Mitte des 16. Jahrhunderts wird dem „Marmorpapier“ in Persien und in der Türkei eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Als Buchumschlag und Seitenhintergrund dient Ebru in seiner ornamentalen Ausgestaltung als Träger des im Islam über alles stehenden Wortes des Qur’an. Diese einmalige Form- und Farbgebung, welche die islamische Kunst hervorgebracht hat, ist unter dem Begriff Ebru am geläufigsten. Der Betrachter wird durch einen unvergleichlichen Nuancenreichtum an Farben in seinen Bann gezogen.

Mit dieser Kunst versehen, erhalten Bücher einen ästhetischen Anblick und eine höhere Würde. In der Vergangenheit waren Marmoriertätigkeiten nur Männern vorbehalten. Dies hat sich in der jüngsten Vergangenheit völlig zu Recht verändert, denn es gibt keine religiösen Ansatzpunkte für den Ausschluss der Frau aus der islamischen Kunst. Heute erlebt die Ebru-Kunst in der Türkei eine wahre Renaissance. Es werden immer mehr neue Künstler hervorgebracht, die von den berühmten Künstlern mit Geduld und Respekt lernen.

Islamische Zeitung: Welche sind die wichtigsten Aspekte, die Sie unseren Leserinnen und Lesern über Ebru mitteilen möchten?

Gülhan Efkar: Die Ebrumalerei wird persönlich und in einer zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler weitergegeben. Der Funke der Begeisterung schlägt bereits bei der ersten praktischen Anwendung auf die Lernenden über. Bilder entstehen nicht – wie sonst üblich – durch Pinsel auf Papier. Gemalt wird auf dem Wasser!

Auf einem Schleimhintergrund aus aufgekochtem und abgefiltertem Carragheenmoos (Meeresalgen) werden verdünnte und mit Ochsengalle versetzte Farben aufgetropft. Die Farben schwimmen auf der Oberfläche der Flüssigkeit und treiben, wegen des genau dosierten Anteils an Ochsengalle, auseinander, ohne sich zu vermischen. Dann wird mit Kämmen und Nadeln das gewünschte Muster in den Schleimgrund „marmoriert“. Ein angefeuchtetes Blatt Papier wird vorsichtig auf die Oberfläche gelegt und ebenso wieder abgenommen. Es trägt nun das vorher auf dem Schleimgrund geschwommene Bild. Dann wird das Papier abgespült, getrocknet und anschließend geglättet.

Hierin liegt der kreative Prozess mit leuchtenden Farben in ihrer atemberaubenden Schönheit. Die Grundtechniken zur Verwirklichung marmorierter Strukturen kann jeder erlernen. Sobald die Neuankömmlinge die Technik beherrschen, beobachte ich seit vielen Jahren die selbe Wirkung: Die meisten Lernenden streben fortgeschrittene Techniken an, mit denen sie raffiniertere Farbstrukturen über dem Wasser und auf dem Papier herstellen können. Wer Ebru einmal erlernt, wird nie wieder davon loskommen.

Islamische Zeitung: Welche Themen bearbeiten Sie vor allem in Ihren ­Werken?

Gülhan Efkar: Als Ebru-Meisterin musste ich durch die Schulen der traditionellen Marmoriertechniken hindurch, wie ich sie oben beschrieben habe. Nachdem ich den Meistergrad darin erworben hatte, entwickelten sich meine Techniken an der hier in Deutschland vorherrschenden Lebensweise. Um es einfacher auszu­drücken: Mein Lernprozess in Deutschland bestand darin, Ebru-Kunst so zu vermitteln, dass sich die Lernenden ihre Werke auch in ihren Wohnzimmern, Büros und Arztpraxen aufhängen können. Hierin liegt meiner Meinung nach auch die interkulturelle und interreligiöse Komponente der Ebru-Kunst.

Daneben hat das Erlernen dieser Kunst in einer Gruppe (max. 8 Personen) einen unglaublichen Vorteil: In solchen Gruppen treffen Deutsche, Türken, Franzosen, Araber aufeinander. Sie alle verbindet das gleiche Ziel. Wollten Sie solch einen Effekt auf anderem Wege in einem Integrationsprojekt darstellen, würde es kaum gelingen. Hier ist es Wirklichkeit! Denn Kunst baut Brücken zwischen Kulturen und Religionen.

Daneben treffen in diesen Lerngruppen auch alle Altersgruppen aufeinander. Es liegt an der Begeisterung für die Formen und Farben im kreativen Prozess. Als generationsübergreifende Aktivität wurde Ebru primär gewiss nicht erfunden. Dennoch ist dieser willkommene Effekt Wirklichkeit.

Islamische Zeitung: Welche moralischen Tugenden kann man durch die Kunst erlernen?

Gülhan Efkar: In der heutigen Zeit wird den Menschen eine Vielzahl an therapeutischen Entspannungsmöglichkeiten angeboten. Da ist von Yoga bis hin zu Autogenem Training alles dabei. Wussten Sie, dass Sie mit dem Erlernen dieser Marmorierkunst das selbe Ziel erreichen können? Das Spiel mit den Farben, deren Verläufe und das Beobachten dieser Prozesse verschaffen Ihnen eine Tiefe an Konzentration und Ruhe, wie Sie es kaum für möglich halten. Darum haben bereits einige Kliniken Ebru als flankierendes Element und als Baustein für therapeutische Arbeit entdeckt.

Islamische Zeitung: Wie wichtig ist die Weitergabe dieser Kunst?

Gülhan Efkar: Die Weitergabe dieser Kunst ist mein Anliegen. Nicht alle Ebru-Meister sehen die Offenheit, die ich damit an den Tag lege, wohlwollend. Viele sind hinsichtlich ihrer materiellen Existenz von ihren Ebru-Werken abhängig. Darum ist das Interesse, Ebru-Kunst weiterzugeben, oft ein kompliziertes Thema.

Ich persönlich stehe in Brot und Arbeit als Lehrerin für den heimatsprachlichen Unterricht bei der Stadt Mönchengladbach und bin – Gottseidank – nicht finanziell auf Ebru angewiesen. Deswegen begleite ich konsequent Lernende, vom Anfänger bis zum Meister.

Islamische Zeitung: Welche Ratschläge würden Sie den Anfängern geben, die sich an Ebru herantrauen?

Gülhan Efkar: Da ich die Kunst des „Malens auf dem Wasser“ von Kindheit an lebe, möchte ich die Interessierten dazu ermutigen, es sich anzusehen. Ich weiß jetzt schon, dass es nicht nur beim Anschauen bleibt. Wenn Sie an Ihrem Wohnort über keinen Ebru-Lehrer verfügen, rufen Sie mich einfach an. Ich helfe Ihnen gerne dabei. Marmorierkunst ist zudem noch sehr preiswert!

Islamische Zeitung: Vielen Dank für das Gespräch.