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"Wir Migranten sind nicht weniger rassistisch"

Ausgabe 243

(iz). Ich lebe seit über 20 Jahren in Deutschland – ich könnte wahrlich ein ganzes Buch über Rassismus in der BRD schreiben. Ein Beispiel: Ich hatte als Kind aufgrund meiner Hautfarbe viele Namen: „Paki“, „Brownie“, „Rosenverkäufer“ und so weiter.
Das hat mich wirklich sehr belastet – sogar so sehr, dass ich mit neun Jahren in eine Apotheke ging und den Mann an der Theke nach Bleichcreme fragte. Ich wollte meine Haut unbedingt aufhellen und endlich zu den Weißen gehören. Was ich unbedingt wollte, habe ich natürlich nicht bekommen.
Dafür aber Vitamin-Lutschtabletten.
Und auch heute noch werde ich oft mit Rassismus konfrontiert: Wenn ich als dunkelhäutiger, volltätowierter Iraner einen Club betrete, komme ich mir manchmal vor wie Tony Montana aus Scarface, weil mich die anderen Gäste so oft nach Drogen fragen. Klar ist es manchmal ziemlich ärgerlich, aber man gewöhnt sich irgendwann daran und lernt, damit umzugehen. Heute weiß ich, dass Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt und, was viele nicht wissen, auch unter uns Migranten weit verbreitet ist.
Rassismus ist oft ein ­automatisierter Vorgang, der im Kopf stattfindet
Das Problem beim Thema Rassismus ist häufig, dass es einem manchmal nicht einmal bewusst ist. Es ist wie ein automatisierter Vorgang, der im Kopf stattfindet. Wenn beispielsweise eine dunkelhäutige Person in der Bahn neben einer weißen Person Platz nimmt und diese dann reflexartig ihre Tasche weiter zu sich heranzieht; wenn eine weiße Frau mit einem Schwarzafrikaner spazieren geht und einige Menschen genauer hinsehen; wenn eine der deutschen Sprache mächtige Person gebrochenes Deutsch mit einer augenscheinlich „ausländischen“ Person spricht, nur weil man dieser nicht zutraut, Deutsch zu können.
Auch wenn es von den meisten nicht böse gemeint ist und unbewusst passiert, muss man sich dennoch darüber im Klaren sein, dass dies auch eine Form von Rassismus darstellt und für die jeweilige Person, die so behandelt wird, extrem herabwürdigend und diskriminierend ist – denn keiner möchte als Mensch zweiter Klasse behandelt werden.
Bei uns Migranten ist es leider nicht besser
Doch wer wirklich meint, dass Rassismus in Deutschland ausschließlich von Bio-Deutschen ausgeht, der irrt sich gewaltig – denn bei uns Migranten ist es leider nicht besser. Bei uns kommen noch Faktoren hinzu wie zum Beispiel Kriege in Ursprungsländern, die Religion oder einfache Klischees gegenüber anderen Kulturen, die tief im Kopf verankert sind: Türken gegen Kurden. Griechen gegen Türken. Araber gegen Juden. Serben gegen Kosovo-Albaner. Kosovo-Albaner gegen Roma. Das Problem bei uns „Kanacken” ist, dass Rassismus anders wahrgenommen wird.
Es wird wohl nicht so streng gesehen, weil nur sehr wenige etwas dagegen unternehmen. Für die Mehrheit ist es eine Kultur- oder Religionsfrage, die häufig als Entschuldigung dient. Konfrontiert man diese Menschen damit, dass sie sich rassistisch äußern, kommt meist nur ein müdes Lächeln, nach dem Motto: „Alter, solange ich keine Schwarzen totgeschlagen und Asylantenheime niedergebrannt habe, brauchst du mich nicht als Rassist zu bezeichnen.” Es ist leider vielen Migranten nicht bewusst, dass sie die anderen so behandeln, wie sie es selbst bei ihren deutschen Mitbürgern kritisieren.
In meinem Freundeskreis finden sich so gut wie alle Nationen, die in Deutschland vertreten sind. Mein libanesischer Freund verliebte sich mal in eine eritreische Frau – sie war wunderschön. Er musste aber die zweijährige Beziehung beenden, da es dann doch zu ernst ­wurde.
Für ihn wäre es an der Zeit gewesen, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Doch das kam für ihn als Libanese „mit einer schwarzen Frau“ überhaupt nicht in Frage. „Wie würden dann die Kinder aussehen?“ Was bei ihm in der Familie los wäre? „Sie ist schwarz und meine Familie würde das niemals akzeptieren.“
Warum gerade er – als jemand, der in einer multikulturellen Gesellschaft aufgewachsen ist – nicht zu seiner Liebe hielt, habe ich nie verstanden. Wir als Freunde mussten es akzeptieren – es war schließlich seine Entscheidung! Es machte mich aber, um ehrlich zu sein, sehr traurig, dass junge Menschen ihre Liebe aufgeben mussten und müssen, nur weil man nicht die gleiche Hautfarbe hat, oder an einen anderen Gott glaubt.
Oft habe ich mir die Frage gestellt, wie laut der Aufschrei wäre, wenn er sich in eine deutsche Frau verliebt hätte und er derjenige gewesen wäre, der von den Eltern seiner Frau nicht akzeptiert worden wäre.
Ein türkischer Freund hat sich vor acht Jahren in eine Griechin verliebt. Seine Eltern wollten das nie akzeptieren. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er sich immer darüber beschwerte, dass seine ­Eltern ihn vor ein Ultimatum stellten. Doch im Gegensatz zu unserem libanesischen Freund stand er zu ihr! Heute sind sie verheiratet und haben zwei ­wundervolle Kinder, die ihre türkischen Großeltern bis heute nicht kennengelernt haben. Denn die Mutter ist eine Griechin und Griechen sind nicht gut genug für einen Türken, so die Meinung seiner ­Eltern. Ein jamaikanischer Freund sagte einmal, dass weiße, deutsche Frauen nur fürs Vergnügen gut seien. Aber zum Heiraten müsse es eine „Schwester“ sein. Dies sei nun mal so, denn „Schwarze müssen untereinander bleiben“, sagte er.
Meine italienischen Freunde verwenden das Wort „Türke” tatsächlich als Beleidigung
Hat jemand schlechte Tischmanieren, so benimmt er sich wie ein Türke. Sollte einer schlecht angezogen sein, sieht er aus wie ein Türke. Ich fand das immer sehr herabwürdigend, hatten wir doch auch viele türkische Freunde im Bekanntenkreis. Als ich einen meiner italienischen Freunde danach fragte, wie diese Beleidigung entstanden ist, sagte er ganz trocken: „Keiner weiß warum, hat sich wohl irgendwann bei uns Itakern eingeschlichen.“ Nach einer kurzen Pause ergänzte er: „Schau doch mal, wie sie aussehen und sich benehmen!“ Toll! Meine Frage wurde nun mit einer weiteren rassistischen Aussage beantwortet.
Meine iranischen Freunde schließlich bezeichnen schwarze Menschen auf Persisch als „Zalu“, was übersetzt Blutegel bedeutet! Wenn ein Deutscher es wagt, bei einer schwarzen Person das N-Wort zu benutzen, ist er fällig. Wenn aber innerhalb unseres Freundeskreises unser schwarzer Freund mit dem N-Wort begrüßt wird, ist es wohl leider völlig OK, da wir Freunde und gemeinsam aufgewachsen sind und die Meinung herrscht, wir „Ausländer“ säßen alle im selben Boot und wenn wir solche „Scherze“ machten, dann sei das schon in Ordnung.
Rassismus ist Rassismus! Egal von wem und wo man herkommt
Das ist natürlich totaler Blödsinn – Rassismus ist Rassismus! Egal von wem und wo man herkommt. Selbstverständlich leben die meisten Deutschen und Migranten in unserem Land friedlich miteinander. ABER: Es wird eine Weile dauern, bis unsere Gesellschaft es lernt, mit sich selbst umzugehen.
Sehe ich mir die aktuelle Flüchtlingsdebatte in Deutschland an, die Headlines der Medien und die immer lauter werdenden Parolen, dann muss ich schon sagen, dass ich sehr glücklich bin, dass meine Familie und ich zu einer Zeit nach Deutschland geflohen sind, in der uns die Menschen hier friedlich und herzlich aufgenommen haben. Wir hatten nicht das Pech, von Demonstranten angepöbelt zu werden oder aus einem brennenden Asylantenheim flüchten zu müssen.
Ich kann nur hoffen, dass dies nicht DAS Deutschland ist, in dem meine Kinder später aufwachsen sollen. Ich wünsche mir, dass sie ein Deutschland erleben, in dem sowohl alle Kulturen als auch Nationen friedlich miteinander leben. Es wäre schön, wenn Sie in einem Land aufwachsen würden, in dem das Wort „Empathie“ nicht erst im Duden nachgeschlagen werden muss.
Manche Dinge im Leben brauchen einfach etwas mehr Zeit, um von den Menschen verstanden zu werden – denn über eines müssen wir uns im Klaren sein: Es gibt keinen Weg, einem Kind beizubringen, dass es nicht willkommen ist, nur weil es eine andere Hautfarbe oder Kultur hat. Es kann keinen Weg geben, Rassismus zu verteidigen.
Der Autor ist Stand-up-Comedian. Dieser Beitrag erschien zuerst auf VICE | vice.com.