Eigenliebe und Selbsthass

Ausgabe 300

Foto: Rawpixel, Freepik.com

„Wir lieben uns bis zum Punkt des Götzendienstes; aber wir lehnen uns auch intensiv ab.“

(Hikaayat.com). So schrieb Aldous Huxley, der am 22. November 1963 starb. Sein Tod wurde von der Kennedy-Ermordung am gleichen Tag überschattet. Er braucht keine Einführung. Er wurde als „ein Genie mit unvergleichlichen ­Talenten, ein Künstler, spirituell Be­geisterter und scharfäugiger Beobachter der menschlichen Lage“ beschrieben. So scharfsichtig war Huxley in seinem ­Verständnis von Welt, die schnell ihre Freiheit durch das Streben nach impulsgetriebenen Wünschen verlor, dass sein Werke bis heute von großer Bedeutung sind und widerhallen.

Das Eingangszitat findet sich in seiner Gesamtheit in „Mokscha: Aldous Huxley’s Classic Writings on Psychedelics and the Visionary Experience“. Darin findet sich:

„Wir lieben uns bis zum Punkt des Götzendienstes; aber wir lehnen uns auch intensiv ab. – Und wir halten uns für unausstehlich langweilig. In Zusammenhang mit der Abneigung für das götzendienerisch Angebetete selbst findet sich in uns allen das Verlangen – manchmal latent, manchmal bewusst und leidenschaftlich ausgedrückt – aus dem Gefängnis unserer Individualität zu fliehen; ein Drang zur Selbst-Transzendenz. Diesem Drang verdanken wir mystische Theologie, spirituelle Übungen und Yoga. Ebenfalls verdanken wir ihm Alkoholismus und Drogenabhängigkeit.“

Der Narzissmus wird von einem ­Dopamin-Hoch angeheizt, das wir jedes Mal bekommen, wenn jemand mit unseren online-Inhalten interagiert oder durch die Leichtigkeit, mit der schockierend hohe Maße von individualistischem Verhalten als die Norm anerkannt werden. Er ist nur Teil dessen, was von Huxley beschrieben wurde. Oder ein anderes Beispiel: In allen Universitäten fordern Studierende recht lautstark und eher erfolgreich, dass die Lehrpläne etwas reflektieren, in dem sie sich wiederfinden. Das Projekt der Bildung, um uns in eine größere Welt einzuführen und uns aus uns selbst herauszuholen, wurde durch weitere Selbstbeweihräucherung ersetzt – wenn auch unter dem Deckmantel von Notwendigkeit der Repräsentation und Bestätigung. Das Ergebnis einer Gesellschaft, die auf Selbstanbetung beruht, ist nicht Bestätigung, sondern zunehmende Stufen von Ablehnung und Unzufriedenheit. D.H. Lawrence drückte das mit einer ähnlichen Aussage aus: „Unsere ganze wunderbare Bildung und Lernen bringen eine großartige Gesamtsumme der Langeweile hervor. Moderne Menschen sind im Inneren gründlich gelangweilt.“

Aldous Huxley war eindeutig in seiner Einschätzung, dass die Wurzel dieses Widerspruchs auf einer inneren Sehnsucht beruht, über sich selbst hinauszugehen. Er nannte das „einen Drang zur Selbst-Transzendenz“. Die jungsche Psychologie würde dies den Prozess der Individuation nennen. Ihr Ziel ist die Transformation des Bewusstseins vom „Ego“ hin zur Verwirklichung des „Selbst“.

R.D. Laing folgt Gustav Jung in dieser Unterscheidung. Sein Buch „The Politics of Experience“ beschreibt die Ego-Identität als eine „biologische Überlebens-Identität. Ein Modus des Bewusstseins beschränkt auf Zeit und Raum, konditioniert durch Kultur und abhängig von den inneren und äußeren Umständen ihrer Erhaltung“.

Gregory Stephenson merkte an, dass das Ego für Laing selbstbestätigend ist, aber nur „eine sehr partielle und ­begrenzte Art des Bewusstseins ist. Es bietet uns ein Gefühl der ontologischen Sicherheit, aber diese Sicherheit ist eine Illusion“. Laing selbst schrieb, dass ­Ego-Bewusstsein in Wirklichkeit „ein Zustand des Schlafes, des Todes, des sozial anerkannten Wahnsinns, ein Zustand der Gebärmutter, in dem man sterben muss, aus dem man geboren werden muss“ darstellt.

Mit anderen Worten, auf was Jung, Laing und Huxley hinwiesen, ist die Art und Weise, auf der wir panisch versuchen, das Ego zu kultivieren. Diese Kraft in uns wird genutzt, um über die äußere Welt nachzudenken und sich anzupassen … auf Kosten des Inneren. Laing dachte, dass „Gesellschaft ohne es zu kennen, nach dem Inneren hungert“, denn unsere Erfahrung der äußeren Welt ist „getrennt von jeglicher Beleuchtung des Inneren … ein Zustand der Düsternis“.

Die Tiefen einer dunklen Isolation ist der Preis, den wir dafür zu bezahlen haben. Und es hat den Anschein, dass wir moderne Männer und Frauen unter eine Kategorie fallen, in welcher der Drang zur Selbst-Transzendenz verborgen bleibt. Aber was verborgen ist, ist trotzdem nicht nicht-existent. Darauf verwiesen Mystiker, Philosophen und Psychoanalytiker gleichermaßen. Huxley, der sich immer an der Schnittstelle dieser Lernwiesen befand, spielte auf diesen Bewusstseinszustand an, den er das „Nicht-Ich“ nannte. Das sei ein Zustand mit „einer größeren Kraft und einem umfassenderen Wissen“ als die Ego-Identität.

Aldous Huxley schrieb an anderer Stelle, dass Menschen „sich danach sehnen, aus sich herauszukommen, über die Grenzen dieses winzigen Inseluniversums hinauszugehen, in dem sich jeder Einzelne befindet“. Diese Inhaftierung oder „Gefängnis unserer Individualität“ ist der Grund für unsere Gefühle des Selbstmitleids, für unseren Sinn der Klaustrophobie innerhalb des monoto­nen Zyklus der Ego-Identität sowie die schrankenlosen Sehnsüchte nach dem, was uns am Ende nicht erfüllt.

Huxley betont jedoch schnell, dass ein Ausbruch aus diesem Gefängnis mit seinem Wahrnehmungsfilter nicht immer zu einem höheren Bewusstseinszustand führen kann. Es besteht die Möglichkeit, dass zu einem Surrogat für die Selbst-Transzendenz nach oben gegriffen wird. Zu den Ersatzstoffen gehören Alkohol, Betäubungsmittel und Sex – die zu „Flucht in untermenschliche oder nur menschliche Substitute“ führen, die „im besten Fall unbefriedigend und im schlimmsten Fall katastrophal sind… In jedem Fall ist das, was ein Gott zu sein scheint, tatsächlich ein Teufel. Was dann Befreiung scheint, ist tatsächlich Versklavung“. Huxley verband dieses Delirium mit der Ebnung des Weges für Kontrolle durch die Herrschenden sowie mit Ausbrüchen von Massenhysterie. Ein Punkt, den er in „The Devils of Loudon“ macht.

Dies ist nicht das Ende der Geschichte, da Huxley die Möglichkeit eines Abstiegs anerkennt, der sich in eine Erfahrung der Transzendenz verwandelt. Laing vertrat eine ähnliche Ansicht und stellte fest, dass „Wahnsinn… nicht alles zusammenbrechen muss. Es kann ein Durchbruch sein“, wenn er im Kontext unserer säkularen, materialistischen Kultur verstanden wird.

Huxley hält daran fest, dass der Punkt, an dem „das Selbst frei ist, die Tatsache seiner eigenen Ewigkeit zu erkennen“, der als „Befreiung (und) Erleuchtung“ bezeichnet wird, nur jenen Mystikern und Kontemplativen zur Verfügung steht, die sich von ihren „vielen Selbst“ befreien wollen. Er war sicherlich nicht der erste, der dies vorschlägt. Das Wort Moksha ist ein Sanskrit-Wort und bedeutet „befreien“ oder „loslassen“ – von Unwissenheit und Ego.

Des Weiteren wurde Huxleys Klage über weitverbreitetes Klagen und „kosmische Kleinheit“ vom Theologen und Sufi des 13. Jahrhunderts, Dschalal Ad-Din Rumi, angesprochen. Er schrieb: „Hört auf, so klein zu handeln. Ihr seid das Universum in ekstatischer Bewegung.“ Vielleicht kann die Warnung des Briten für eine absteigende Transzendenz sogar als Bedürfnis verstanden werden, ein Gleichgewicht zwischen dem Dionysischen (dem rauschhaften Prinzip) und Apollonischen (dem Prinzip der Ordnung) aufrechtzuerhalten.

Aber solche Diskussionen neigen dazu, unseren scheinbar endlosen Zynismus weiter auszudehnen und offen für eine leichte Ablehnung zu werden. Auch wenn Huxley falsch, zu elitär, zu abstrakt oder zu romantisch im Temperament war, bleibt ihm dennoch das letzte Wort.

Mit erschütternder Genauigkeit beschrieb Aldous Huxley einen Zustand, der nur allzu bekannt ist. Heute wird er häufig im Kontext der Täuschung, Fantasie und Verherrlichung in den sozialen Medien diskutiert. Das ist eine Bedingung, die dem Ideal der Rücknahme des authentischen Seins für die Menschheit diametral entgegengesetzt ist.

Der britische Autor beschrieb diese Lage als die Flucht in „einen Zustand, in dem es keine Lasten, keine schuldbeladene Vergangenheit oder erschreckende Zukunft gibt, sondern nur das gegenwärtige, gesegnete Bewusstsein, jemand anderes zu sein“. Es ist kein Wunder, dass uns missfällt, was wir sehen.