Ein Debattenbeitrag von Morad Bouras

(iz). Ich erinnere mich an die Schulzeit. Der frühe Schwimmunterricht klärte uns sozusagen über offensichtliche Unterschiede auf. Damals gab es die Jungs die aus gesundheitlichen Gründen beschnitten wurden, und andere, die sich aus religiösen Gründen von der Vorhaut verabschiedeten. Dazwischen waren die Unbeschnittenen. Diese Zustände waren nun mal so. Sie waren auch keiner weiteren Rede wert. Das jüdische und muslimische Jungen beschnitten werden, haben alle gewusst.

Über gewisse Erkennungsmerkmale
In der sechsten oder siebten Klasse thematisierten wir die Zeit des Nationalsozialismus und schauten einen Spielfilm darüber. Der Film hieß „Hitlerjunge Salomon“. Gleich zu Beginn des Filmes wird man gewissermaßen Zeuge einer jüdischen Beschneidung. Salomons Beschneidung. Kein Kind unserer Klasse war entsetzt. Wusste man doch, dass es so im jüdischen Glauben verrichtet wird. Ein beschnittener Junge war eben Jude oder Muslim, und die Ausnahmen kannte man auch.
Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit und erzählt die Geschichte von Salomon, der in seinem Überlebenskampf im nationalsozialistischen Deutschland gleich mehrere Rollen spielen muss. Es grenzt somit fast einer Anmaßung von einem Stilmittel zu sprechen, wenn man festhalten kann, dass erst durch die Beschneidung des Jungen ein großes Spannungsfeld erzeugt wird. Stets läuft er Gefahr enttarnt zu werden. Salomon muss sich Wege suchen sich und seine wahre Identität zu schützen. Seine Beziehung zu der arischen Leni wird dadurch ein Wechselbad der Gefühle.
Ich erinnere mich, dass sich die folgende Szene, die sich im Klassenzimmer abspielt, in mir eingebrannt hat. Thema der Unterrichtsstunde: Wie erkennt man einen Juden. Josef Peters, alias Salomon Perel, muss nach einem kurzen hetzerischen Lehrervortrag nach vorne treten. Er wird von ihm vermessen. Anschließend bekommt er attestiert, dass er, trotz augenscheinlicher Vermischung seiner Vorfahren mit anderen Rassen, ein Arier sei. Wie klar uns allen doch war, dass er gerade einen Juden vermessen hat. Jedem leuchtete ein, wie falsch und entsetzlich doch diese ganze nationalsozialistische Ideologie war.

Die Jungenbeschneidung kennt doch jeder
Was uns Kindern Anfang der 1990er Jahre klar war, wussten die Erwachsenen allemal. Sie erklärten uns wieso beschnitten wurde und auch, dass es durchaus gesundheitliche Vorteile gäbe. Jeder weiß das Juden und Muslime aus religiösen Gründen beschnitten werden. Die Beschneidung ist seit tausenden von Jahren nichts Neues. Wieso springen erst jetzt „Menschenrechtler“ aufs Podest und schwingen die großen Reden? Wieso dieses geheuchelte Entsetzen seit dem Kölner Beschneidungsurteil? Warum wird es jetzt kriminalisiert? Gab es wegen dem Holocaust eine Art Schonfrist?

„Was unterschied mich von ihnen? Das kleine Stückchen Vorhaut?“
In einem Monolog, stellt sich Salomon diese rhetorische Frage. Ist diese Frage für uns im 21. Jahrhundert auch noch von Bedeutung?
 Klar ist, dass der Film die NS-Zeit thematisiert und nicht die Beschneidung. Was aber klar sein sollte, ist, dass Salomon trotz seines Geschicks, stets in Gefahr war, wegen seinem jüdischen Glauben hingerichtet zu werden. Das einzige äußere Erkennungsmerkmal war sein beschnittenes Goldstück. Am Ende des Filmes kommentiert Salomon, dass er nur für einen kurzen Augenblick gezögert hätte seine Söhne beschneiden zu lassen. Denn er beschloss von nun an seine Identität zu wahren und Jude zu sein.

Religiöse Identität
In der Debatte um die Beschneidung von Unmündigen kristallisiert sich die Meinung heraus, dass erst der mündige junge Mann selbstständig entscheiden sollte, welcher Religion er angehören will. Somit wird gefordert, dass jeder selbst entscheiden darf, ob und wann er beschnitten werden soll.
Die neu formierte Antibeschneidungsriege tritt paternalistisch auf. Für die meisten von ihnen ist Religion per se Opium fürs Volk. Sie scheinen nur das Beste für die Zöglinge anzustreben und wollen sie von ihren religionsindoktrinierenden Eltern beschützen.
Sollten Eltern nicht ihrer Überzeugung nach erziehen dürfen? Vermutlich wird diese Frage in weiten Teilen bejaht, doch die Beschneidung als Kindswohlgefährdung abgelehnt. Dass aber dieser Ritus zur religiösen Identität gehört, wird außer Acht gelassen. Die durch die Eltern vermittelte religiöse Identität beginnt ganz selbstverständlich in der frühsten Kindheit. Es ist ein Grundrecht der Eltern, das sie selbst bestimmen nach welcher Vorstellung sie ihre Kinder erziehen.

Zynisch könnte man sagen; wenn Salomon nicht beschnitten gewesen wäre, hätte er nicht so viele Probleme in seinem Überlebenskampf gehabt und könnte sich „frei“ bewegen. Er liebte die überzeugte Nationalsozialistin Leni und hätte mit ihr glücklich werden können. Doch für welchen Preis? Wen hätte er zufriedengestellt?