Grau ist alle Theorie

Ausgabe 247

(iz). Kritik ist oft billig, Debatten zumeist überhitzt und alle Theorie bekanntermaßen grau. Jenseits der ideologischen Einöde des Pingpongs der Argumente spielt sich das pralle Leben ab. Nicht strukturiert, gelegentlich chaotisch, aber immer bunt und organisch.
Unsere Spiritualität ist nicht für die Debatte gedacht. Sie kann sich überhaupt nur in einem Feld ereignen, dass durch Gemeinschaft einerseits und durch Handlung andererseits geprägt ist. Riet uns doch der große Prophetennachfolger ‘Abdullah ibn ‘Umar, der eine entscheidende Rolle in der Vermittlung des medinensischen Vorbilds spielte: „Sei aufrecht in deinem Din und lass die anderen reden.“ Worte mögen wirksam sein, sie sind aber nicht von einer Realität der Handlungen zu trennen.
Das Gerede scheint – im Gegensatz zu früher – zum konstituierenden Element der muslimischen Wirklichkeit geworden zu sein. Es wird viel geredet, manchmal auch nur mit sich selbst: über die richtige Form der muslimischen Selbstorganisation, über den ersten Platz beim Vertretungsanspruch, über freie Bahn zu den staatlichen Fleischtöpfen und über die Deutungshoheit.
Vor allem aber reden wir gerne über Personalien. Wir fragen uns, wen wir für „korrekt“ halten (hier sind die individuellen Präferenzen so unübersichtlich wie die Community selbst), wen wir „neidisch“ glauben und überhaupt, wen wir „gut“ oder „schlecht“ finden. Es ist nicht einmal so, dass diese „Kritik“ (welche ja legitim wäre) von Angesicht zu Angesicht geäußert wird. Nicht selten hört man über drei Ecken, dieser oder jener hätte auf irgendeinem Event schlecht über einen gesprochen.
Vielleicht hilft ein nüchterner und ehrlicher Rückblick auf das letzte Jahr zu erkennen, dass die vielen Debatten für uns wenig Greifbares und Erfreuliches brachten. So murren unzählige Muslime seit Jahren über die „Verbände“ oder „Räte“. Änderungen brachte die Kritik bisher kaum hervor, außer einem untergründigen Gefühl der Unzufriedenheit.
Jede Kritik, die ausschließlich in einer Theorie oder einer Moral beheimatet ist, ist gefährdet, sich gegen einen selbst zu wenden. Ist derjenige, der sie äußert, am Ende in der Pflicht, etwas Besseres vorlegen zu können? Ich weiß es nicht. Offenkundig ist, dass wir allesamt auf Visionen und Konzepte zu ihrer Realisierung angewiesen sind. Wer diese zum Nutzen von Community und Gesellschaft realisiert, hat allen einen wirklichen Dienst erwiesen.