Wo wir stehen

Ausgabe 204

(iz). Manchmal sind Debatten in den (vermeintlichen) sozialen Netzwerken doch zu etwas zu gebrauchen. Sie vermitteln uns stellenweise eine Vorstellung davon, worüber die vernetzten Teile der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland gerade nachdenken oder miteinander diskutieren.
Neben den gewalttätigen Ausbrüchen einer sehr kleinen, aber sehr lautstarken Minderheit in den letzten Wochen bleiben die langfristigen Themen, die viele Muslime hier beschäftigen. Immer noch beziehungsweise gerade jetzt – nach der kriminellen Randale in Solingen, Bonn und Berlin – sieht sich eine vergleichsweise große Zahl praktizierender Muslime vor allem als Opfer von, wie auch immer gearteten Vorurteilen. Ob es sich dabei um genuin anti-muslimische handelt, oder um die Rückkehr des alt bekannten ­Rassismus, wurde nie zur Gänze geklärt. Die Grenzen dürften hier fließend sein.
Irritierend an der – berechtigten – Klage ist die Fokussierung auf den Anderen beziehungs­weise das Äußere, was uns ironischerweise mit der Mehrheitsgesellschaft verbindet. Im Ideal­fall sollte man von einer ausreichend reifen Person (sprich: einem Erwachsenen) ­erwarten, dass sie, wenn sie mit Ablehnung konfrontiert wird, zuerst ihr eigenes Verhalten befragt und gegebenenfalls korrigiert.
An mehreren Stellen erinnert Allah uns ­daran, dass unsere Lage mit unserem Verhalten in dieser Welt korreliert. Die großen Weisheitslehrer des Islam wussten, dass die Herzen der Muminun ein Spiegel füreinander sind. Nach Rumi gilt aber auch das Gegenteil: Die Welt ist ein ­Spiegel.
Bisher ist es uns Muslimen als Kollektiv – von wenigen, namentlich lobenswerten Ausnahmen abgesehen – nicht auf breiter Basis gelungen, diese fundamentale Wahrheit auf unsere aktuelle Situation anzuwenden. Die Trennung zwischen Innen und Außen, zwischen „wir“ und „sie“ bleibt bestehen. Und der eigene Zustand kann, angesichts des „Gegner“ von „außen“, derart unverändert bleiben. Auch das zeigt, wie gut wir im Grunde „integriert“ sind.
„Warum ist das so?“, möchte man fragen. Sicherlich zum Teil, weil es natürlich ist, sich als Opfer (hier soll keinerlei reale Diskriminierung geleugnet werden) zu begreifen. Und wohl auch, weil jede Veränderung des ­eigenen Zustands Anstrengung, eine hohe Absicht und jede Menge persönlicher und gemeinschaftlicher Energie bedarf.
Immer noch fühlen sich viele Muslime machtlos. Wieso eigentlich, wo sie doch wissen sollten, dass alle Macht bei Allah ist?