Kommentar: Bitterer bosnischer Frühling

Ausgabe 225

(iz). Immense Schäden waren das Resultat der größten Proteste in Bosnien nach Kriegsende. In mehreren Städten brannten Regierungsgebäude. Die Proteste entzündeten sich, weil vier privatisierte Staatsunternehmen pleite gingen. Monatelang bekamen die Arbeiter keinen Lohn. Die Protestwelle, die in Tuzla ausbrach, weitete sich schnell auf das ganze Land aus. Die Proteste in Sarajevo zeigten abermals, wie unfähig die führenden Politiker sind, der Lage Herr zu werden. Der politischen Kaste geht es (noch) gut, da Bosnien mit IWF-Krediten am Leben gehalten wird. Viele Geldspritzen werden nicht für Entwicklungsprojekte verwendet, sondern landen als Gehälter bei Beamten. Somit wurde der soziale Frieden mit IWF-Geldern gekauft. Doch auch das wird bald ein Ende haben, wenn es an die Rückzahlung der Kredite geht.

Bei Angriffen auf das brennende Präsidiumsgebäude zeigte sich auch politische Unfähigkeit. Die SIPA, die von ihren Aufgaben her dem BKA entspricht und zuständig ist für den Schutz von Regierungsgebäuden, war nicht präsent. Das bosniakische Präsidiumsmitglied Bakir Izetbegovic rief die Spezialeinheit der Föderationspolizei, um die Ordnung wieder herzustellen. Bei der SIPA, die von einem bosnischen Serben geleitet wird, konnte er nicht auf schnelle Hilfe hoffen. Politisches Kapital aus den Protesten schlagen primär nationalistische Gruppierungen, die dem Gesamtstaat nicht wohlgesonnen sind und ihrem Traum der Abspaltung beziehungsweise Loslösung nun einen Schritt näher gekommen sind. Angefangen vom Präsidenten der bosnischen Serbenrepublik Dodik, der schnurstracks nach Belgrad flog. Der kroatische Ministerpräsident Milovanovic flog nach Mostar, um dort die hiesigen kroatischen politischen Führer zu sehen. Gründe gibt es zuhauf, die das System Dayton immer wieder produziert. Die serbische Republik wurde durch Dayton zementiert. Zement, der von Tötungen, Vertreibungen und Massengräbern im ganzen Land getränkt ist. Das Massengrab von Prijedor, in dem 430 Bosniaken gefunden wurden, dürfte nicht das letzte sein.

Zu erwarten ist, dass sich die Proteste, die vom nordbosnischen Tuzla ausgingen, wiederholen. Zu groß ist der Unmut der Bevölkerung, die sich mit Arbeitslosigkeit, sozialer Ungerechtigkeit und Armut auseinandersetzen muss. Der Nachteil der Protestbewegung ist, dass sie nicht koordiniert und von keiner Bürgerbewegung gesteuert wird. Sie passiert im bosnischen Affekt. Die Opposition ist nicht fähig, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Zu tief sind die politischen Gräben, die durch Dayton geschaffen wurden.

Man hat es sich im bosnischen Chaos eingerichtet und beobachtet den leisen Untergang des Landes. Die Amerikaner schweigen, überlassen den Europäern das Feld. Europa tut, was es am besten kann. „Deutschland würde mit solch einer Verfassung den Laden nach vier Jahren dicht machen“, kommentierte ein deutscher Politiker das Dayton-Konstrukt. Bosnien hat bald die Marke von 20 Jahren geknackt. Da in Sotschi die olympischen Winterspiele stattfinden, ist diese bosnische Ausdauer goldmedaillenverdächtig. Fragt sich nur wie lange.