Der Hodscha wird es nicht richten

Ausgabe 225

(iz). Es gibt einen Menschenschlag (der durchaus nicht immer dem erwarteten Phänotyp des reli­giösen Eiferers entspricht), der einen mehr oder weniger subtil von oben herab anzuschauen vermag, selbst wenn er kleiner ist als man selbst. Das mag daran liegen, weil er den Aufzug seines Objektes der Kritik nicht gutheißt oder auch, weil ihm dessen ganze Linie nicht passt. Während des Gebetes hat man den Blick dieser Menschen im Nacken, der jede Bewegung unter die Lupe nimmt. Wer anders ist, hat bei ihnen in der Regel schon verloren, weil sie nie über ihren eigenen Horizont gegangen sind.
In schwachen Momenten wünsche ich mir, ich könnte meine übliche Zurückhaltung aufgeben, ganz nah a là „Full Metall Jacket“ heranzutreten und zu fragen: „Und, was ist Dein Problem? Dich stört mein Aufzug? Gut, wie sieht es eigent­lich mit dem Desaster aus, das sich jeden Tag ein paar Meter vor Deiner Moschee abspielt, was tust Du denn dagegen?“ Ich mache das natürlich nicht, sondern halte meinen Mund und verlasse die Moschee nach dem Gebet.
Diese Art Mensch – ob „konservativ“ oder „liberal“ – ist übrigens gar nicht ausschließlich selbst für diese Lage verantwortlich. In so manchen muslimischen Gemeinschaften überträgt der Rest gerne seine Religiosität auf solche vermeintlichen Autoritätspersonen, damit er einer­seits seinen Geschäften nachgehen und andererseits immer noch das wohlige Gefühl behalten kann, ein „guter Muslim“ zu sein.
So wird der Hoca, Molla oder Imam zum Ersatz für das eigene, das man selbst immer weniger hat. Und unser lebendiger Din wandelt sich unausweichlich zu einer „Religion“, die durch einige, seltsam anmutende Bekleidungs- und Speisevorschriften gekennzeichnet ist. Ich wage zu bezweifeln, ob das „theologische“ Projekt zur Ausbildung von Imamen an deutschen Universitäten übrigens daran etwas grundlegend zu ändern vermag.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir brauchen dringend Fuqaha und Experten der islamischen Wissenschaften, die das nötige Wissen haben, wenn wir es nicht besitzen. Und die auch in der Lage sind, das überlieferte Wissen und seine Denkregeln auf die heutige Zeit anzuwenden. Und ja, es gibt definitiv eine existenzielle Autorität, die aus echtem Wissen kommt. Sie ist allerdings eine stille, die sich nicht behaupten muss.
Das hat rein gar nichts mit Quasi-Puritanertum oder „Imamat“ zu tun. Was unsere Gemeinschaft dringend benötigt, sind keine Eiferer, sondern „lachende Löwen“?