Besser aktiv leben

Ausgabe 245

(iz). Vor Kurzem hatte ich das große Glück, auf einer muslimischen Hochzeit Gast zu dürfen. Ein solch glückliches Ereignis ist in sich eine Freude und stellt die harmonische Verbindung zweier Familien dar. Das ist ein Moment, in dem die Gemeinschaft zusammenkommt. Goethe schrieb seinerseits über diese Verbindung: „Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur. Unauflöslich muss sie sein, denn sie bringt so viel Glück, dass alles einzelne Unglück dagegen gar nicht zu rechnen ist.“
Auch bieten solche geglückten Momente eine (zu) seltene Erfahrung, wenn nicht gar Erkenntnis. Eben nämliche, dass es eine Welt neben dem Problem, dem „Diskurs“ und der „Diskussion“ gibt. Eine Welt, in der das Negative nicht den Augenblick und das muslimische Selbstverständnis dominiert, sondern eine, in der das muslimische Leben selbst gefeiert wird. Und als solches Anknüpfungspunkte zu allen anderen bildet, ohne durch eine Phalanx der Missverständnisse gebrochen zu werden.
In dieser Ausgabe denken wir in mindestens zwei Beiträgen (so über die jüngste Nour­Energy-Tagung in Darmstadt sowie einer Meditation über das „gute Leben“) darüber nach, wie eigentlich ein gutes Leben aussehen kann. Und das Beispiel NourEnergy (wie viele andere auch) dokumentiert, dass deutsche Muslime auch in der Lage sind, positive Angebote zu formulieren. Und es bestätigt die Hypothese unseres Mediums, dass es für uns Muslime nicht ausreicht zu sagen, was man nicht sein will. Wir müssen uns – und allen anderen – auch mitteilen, was wir tun wollen. Und es dann manifestieren.
Erfahrungen des Alltags, aber auch Umfragen, machen deutlich, dass Begegnungen mit anderen Segmenten der Gesellschaft dann am leichtesten fallen, wenn gemeinsame Interessen berührt sind. Aber auch, wenn wir die Erfahrung machen, dass auch andere von vergleichbaren Grund- oder Alltagsfragen berührt sind. Als wir kürzlich mit den Eltern eines Kindes bei uns auf dem Sofa saßen, dass einen halben Tag lang mit einer unserer Töchter spielte, wurde deutlich, dass wir alle an den gleichen Mängeln der Schulen leiden, auf die unsere Kinder gehen. Anstatt, dass da nun die vermeintlichen Widersprüche – „Deutsche“ und „Muslime“ – sich irgendwie gehemmt auf dem Diwan gegenübersaßen, wurde schnell deutlich, dass wir bei vielen Dingen „im gleichen Boot“ sind.
Aus diesem Grund machen wir es uns auch nicht oft leicht, ausschließlich „kritisch“ zu sein. Es ist durchaus richtig, auch beim Kritiker nachzufragen, was denn er oder sie selbst zu tun gedenkt. Selbst ein oberflächlicher Blick auf die elektronischen Selbstäußerungen und offiziösen Verlautbarungen von Muslimen hierzulande zeigt, dass oft die Kritik und ihr Objekt in den Mittelpunkt unseres Diskurses gerückt sind. Und der Verdacht sei erlaubt, dass ein solcher Diskurs auch Rückschlüsse über unsere Innenwelt zulässt.
Alleine schon für die eigene, spirituelle Gesundheit ist es wichtig, sich gelegentlich von der Rolle des Kritikers und Richters freizumachen. Nicht nur, weil Allah der eigentliche Richter ist. Es ist darüber hinaus auch wichtig, um die eigentliche Absicht des Schöpfers zu verstehen, der sich selbst als den Barmherzigen offenbart, dass unser Din kein Bestand an hypermoralischen „Theorien“ ist, sondern (wenn wir in die Etymologie gehen) eine Lebensweise.
Und ohne ein erfüllendes Leben kann das Ganze nicht wirklich stimmig sein beziehungsweise es bleibt dann seltsam leer. Vor langer Zeit saß ich in einer unerwartet bemerkenswerten Freitagspredigt. In ihr meinte der Imam, dass man nicht glauben dürfe, sein Leben sei auf Allah ausgerichtet, wenn man nicht gleichzeitig zufrieden sei. Ein guter Hinweis. Man müsse, so der Hodscha ganz praktisch, mindestens einmal am Tag einen glücklichen Augenblick haben. Recht hat er.