Ein Neubau in Norderstedt setzt auf alternative Energiequellen und -konzepte. Interview: Eren Güvercin

Ausgabe 228

(iz). Für die Moscheegemeinde in Norderstedt entsteht ein Begegnungszentrum, deren Architektur wegweisend ist. In den Minaretten drehen sich Windkraftanlagen, das Energiekonzept der Moschee setzt auf alternative Energiequellen. 3,5 Millionen Euro soll das Projekt kosten.

Islamische Zeitung: Herr Ünyilmaz, Sie haben für Norderstedt einen Entwurf für eine Moschee mit einem innovativen Energiekonzept erstellt. Wie kam es zu diesem Projekt? War es Ihre Idee oder kam die Gemeinde mit diesem Wunsch auf Sie zu?

Selcuk Ünyilmaz: Ich bin über einen Bekannten empfohlen wurden, mit dem Hinweis, in Norderstedt will die muslimische Gemeinde eine neue Moschee bauen. Sie hatten bereits einige Entwürfe von anderen Architekten, ich sollte mir diese ansehen und die Gemeinde beraten. Ich habe sie mir angeschaut und festgestellt, dass diese der klassischen Architektursprache der Sakralbauten, die man in der Türkei sieht, entsprachen.

Eine Kuppel, die im Innenraum nicht als solche sichtbar war. Ein Minarett, das nicht die Funktion eines Minaretts übernahm, sondern nur symbolisch aufgenommen wurde. Und alle drei Entwürfe gingen in dieselbe Richtung. Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass wir – wenn wir heute im 21. Jahrhundert wieder über das Thema Sakralbauten nachdenken – uns vielleicht in den Grundzügen oder in Nutzungskonzepten an traditionellen Werten oder Konzepten orientieren können, aber nicht in der Architektur. Man muss sich damit auseinandersetzen, welche bautechnischen Möglichkeiten die muslimischen Architekten vor 500 Jahren hatten und welche wir heute haben. Wenn entschieden wird, eine Moschee zu bauen, so bekommen wir es, sowohl in islamischen Ländern als auch in Europa, oft mit – ich sage es provokant – billigen Kopien zu tun. Wir als Architekten müssen dieses Thema neu angehen und darüber reflektieren, wie eine Moschee heute aussehen kann.

Islamische Zeitung: Was ist das Besondere an Ihrem Energiekonzept?

Selcuk Ünyilmaz: Wir haben etwa an den Minaretten Windkraftanlagen eingesetzt, das ist ein kleiner Teil unseres innovativen Gesamtenergiekonzeptes. Einerseits hat das Minarett früher die Funktion gehabt, dass der Muezzin zum Gebet rufen konnte. Und es diente andererseits auch als Erkennungszeichen, so dass die Gläubigen von Weitem erkennen konnten, wo sich die nächste Moschee befindet. Wir haben uns mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir heute mit dem Element Minarett umgehen können.

Wir wollten grundsätzlich im Konzept Windkraftanlagen einsetzen, um Strom zu generieren. Nach langen intensiven Auseinandersetzungen haben wir dort an dieser Stelle mit vertikal stehenden Rotorblättern aus Glas die Kanzel im Minarett optisch hervorgehoben und gleichzeitig dem auch eine Funktion gegeben, dass nämlich an dieser Stelle aus der Kraft der Natur Energie erzeugt werden kann. Wir haben also das Minarett als traditionelles Erkennungsmerkmal einer Moschee bewahrt, aber andererseits ihm eine sinnvolle Funktion gegeben.

Die Windkraftanlagen an den Minaretten sind aber ein relativ kleiner Teil des gesamten Energiekonzeptes. Ein weiteres Element, welches wir primär für die Energiegewinnung nutzen werden, kommt aus der Kristallisationsenergie. Ca. 80 bis 100 m3 Wasser werden dabei ständig aus der flüssigen Form zu Eis und von der festen Form zu Flüssigkeit umgewandelt. Die dabei freigesetzte Energie wird im Sommer für die Bauteilkühlung und im Winter für den Warmwasserbedarf und die Heizung genutzt. Wir können im Prinzip auch sagen, dass wir mit Eis „Wärme“ erzeugen werden. Durch die offene Einbindung der technischen Bauteile in die Architektur, die sonst in der Regel versteckt werden, und durch das Gesamtenergiekonzept ist dies weltweit der erste Sakralbau seiner Art und gilt daher bereits bei vielen Gremien als Pilotprojekt.

Islamische Zeitung: Sie befassen sich unabhängig von diesem Moschee-Bauprojekt schon seit Ihrem Studium mit ökologischem Bauen. Gibt es einen Bezug zwischen Ihrem Engagement für das ökologische, umweltschonende Bauen und dem Islam?

Selcuk Ünyilmaz: Zum Ende meines Studiums habe ich mich damit auseinandergesetzt, warum ich oft der einzige Student bin, der immer wieder in seinen Entwürfen Energie-Konzepte und umweltschonende Maßnahmen einarbeitete, bis ich merkte, dass ich bereits in meiner Kindheit von meinen Eltern beigebracht bekam, nicht verschwenderisch, etwa mit Wasser, zu sein. Das war Teil meiner ­Erziehung.

Auch in der Moschee hörten wir dann vom Imam: Auch wenn ihr am Fluss eure rituelle Reinigung macht, seid bitte sparsam mit dem Wasser. Das war schon prägend für mich. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass dieses Umweltbewusstsein, dieses Sparsame, dieser bewusste Umgang und eben die Energiekonzepte letztlich auch, nicht nur, aber auch, auf meine Religion zurückzuführen sind.

Islamische Zeitung: Wie hat die Gemeinde auf Ihren Entwurf reagiert? Mussten Sie Überzeugungsarbeit leisten?

Selcuk Ünyilmaz: Als ich mich in unserem ersten Gespräch gegen eine Kopie entschieden habe und die ersten vorliegenden Entwürfe sozusagen zerschmettert habe, hat die Gemeinde mich natürlich gefragt, ob ich denn einen Vorschlag machen könne.

Nach ein paar Wochen habe ich meine Entwürfe vorgestellt, und wie erwartet kam es zu spannenden Diskussionen über die moderne Architektursprache und dem besonderen Energiekonzept. Als Argumente für mein Konzept konnte ich etwa die laufenden Betriebskosten anführen: Ich habe ihnen vorgerechnet, dass sich die Kosten um etwa 80 Prozent reduzieren werden, und die Investitionen, die wir jetzt machen, werden sich spätestens in 10 Jahren amortisieren. Für eine Gemeinde wie Norderstedt ist es ungemein wichtig, die laufenden Kosten in den Griff zu bekommen.

Die erste Generation der Gastarbeiter hat aufopferungsvoll durch ehrenamtliche Mitarbeit und großzügige Spenden die Moscheen errichtet und unterhalten. Die zweite Generation hat davon noch etwas mitbekommen, so dass auch sie diese Arbeit stemmen konnten. Aber spätestens seit der dritten Generation nimmt diese Spendenfreudigkeit von Tag zu Tag ab. Deshalb müssen die Gemeinden jetzt schon an die Zukunft denken und Wege finden, die laufenden Kosten durch sparsame Energiekonzepte niedrig zu halten.

Meine Erläuterung des Energiekonzeptes, bei dem wir Wärme aus der Natur holen, die Energie umwandeln und gleichzeitig damit die Umwelt schonen, habe ich damit in Verbindung gebracht, was der Islam uns lehrt, nämlich sparsamen und schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen. Das hat die Gemeinde überzeugt, so dass sie sogar bereit war, Mehrkosten auf sich zu nehmen.

Nicht nur bei Kleidung oder Alltagsgegenständen ist Sparsamkeit und Verschwendung ein Thema, sondern auch in der Architektur. Mit dem Entwurf der Moschee haben Mitglieder der Gemeinde in Norderstedt einen Punkt erreicht, an dem sich viele zum ersten Mal Gedanken darüber gemacht haben, dass man auch in der Architektur mit neuen Energiekonzepten das Thema neu anstoßen kann.

Islamische Zeitung: Was hat Sie zu Ihren Entwürfen, die Neues mit Tradition verbinden, angeregt?

Selcuk Ünyilmaz: Die Osmanen haben vorgelebt, dass man sich bei der Errichtung neuer Bauwerke am städtebaulichen Umfeld orientieren muss. Was finde ich vor und wie kann ich mich anpassen? Wenn man immer nur „Alleinstellungsmerkmale“ berücksichtigen würde, wäre es sozusagen kontra-islamische Architektur. Die städtebauliche Orientierung war bei den Muslimen in der Vergangenheit immer gewollt. Abgesehen von der islamischen Herleitung bin ich jedoch der Meinung, dass man das sakrale Thema gesondert behandeln muss.

Ein Sakralbau ist etwas Besonders, weil es nicht um Wohnungsbau geht, der jeden Tag entwickelt wird. Er stellt städtebaulich besondere Aufgaben: Welche möglichen Spannungsfelder kann ich gegenüber der Nachbarschaft von vorn herein ausgrenzen und wie kann ich darauf einwirken, dass man die Nachbarschaft in die Konzepte einbindet und dies früh wie möglich…und sie eben nicht überrumpelt durch eine Moschee, die sich städtebaulich nicht einfügt.

Islamische Zeitung: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview erschien zum ersten online am 30.04.2014 im online-Medium telepolis.