Eine Analyse der Denkfabrik German-Foreign-Policy.com über das Phänomen Pegida und seine Hintergründe

Berlin (GFP.com). Die Debatte über die rassistische Pegida-Mobilisierung in der Bundesrepublik hält an. Nach der jüngsten Dresdner Großdemonstration „gegen Islamisierung“, an der sich rund 15.000 Personen beteiligten, empfehlen Teile des deutschen Polit-Establishments, die Demonstranten „ernst zu nehmen“ und ihre Forderungen zumindest teilweise zu erfüllen.

Konkrete Folgen der Agitation bekommen inzwischen deutsche Muslime zu spüren, die zunehmend verbal angegriffen werden. Bereits seit Monaten werden verstärkt auch physische Attacken verübt, etwa Brandanschläge auf Moscheen. Muslime stehen in Deutschland unter massivem Druck, seit parallel zum „Anti-Terror-Krieg“ nach dem 11. September 2001 die Inlandspropaganda gegen sie deutlich verschärft wurde, staatliche Maßnahmen wie die wahllose Rasterfahndung gegen Menschen islamischen Glaubens inklusive.

Dies hat nicht nur dazu geführt, dass Organisationen der extremen Rechten ihre rassistischen Positionen oft modisch-antiislamisch kleiden, sondern auch dazu, dass antiislamische Haltungen in der deutschen Bevölkerung tief verankert sind. Wie es in einer aktuellen Untersuchung heißt, die solche Haltungen analysiert, verbinden sich diese in jüngster Zeit mit einer stärkeren „Handlungsbereitschaft“.

Sehnsucht nach „Führung“
Die Debatte über die rassistische Pegida-Mobilisierung in der Bundesrepublik hält an. Während Teile des Berliner Polit-Establishments die Demonstrationen scharf attackieren und sich dagegen verwahren, dass „Vorurteile auf dem Rücken von Flüchtlingen ausgelebt werden“.

Was es konkret bedeuten soll, Ressentiments gegen Anhänger eines bestimmten Glaubens „ernst zu nehmen“, ist noch unklar. Diskutiert wird vor allem über eine Verschärfung der Migrationsgesetze. „Wirklich ‘ernst nehmen’“ müsse heißen, „eine Einwanderungspolitik zu verfolgen, deren Regeln … sich strikt an den Interessen des eigenen Landes orientieren“, heißt es etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dies liefe darauf hinaus, die Forderungen der Kampagne zumindest teilweise zu erfüllen. Alternativ heißt es in dem Blatt, in den Protesten drücke sich eine „Sehnsucht nach politischer Führung“ aus, der man nachzukommen habe. Was mit „Führung“ genau gemeint ist, bleibt allerdings unklar.

Eingeschüchtert und verängstigt
Konkrete Folgen der rassistischen Kampagne bekommen inzwischen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch deutsche Muslime zu spüren. „Viele Muslime sind eingeschüchtert und verängstigt“, berichtet beispielsweise Bülent Ucar, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück, „vor allem diejenigen, denen man ihr Muslimsein ansieht: Frauen mit Kopftuch oder Männer mit einem ausgeprägten Bart“.

Nach wie vor stünden Muslime wegen des Terrors, den einige salafistische Organisationen verübten, „im Westen unter Generalverdacht“; dazu trügen auch die Massenmedien bei, die „dunkelste Szenarien einer islamischen Bedrohung“ an die Wand malten. In letzter Zeit sei „Islamfeindlichkeit … zu einem Surrogat für Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit im Allgemeinen geworden“. Das trifft nicht nur auf Straßenproteste zu. „Muslimische Mitarbeiter an unserer Universität sind in den vergangenen Wochen angepöbelt worden“, berichtete Ucar: „Wir bekommen auch beleidigende E-Mails und Drohungen.“

Bereits zuvor hatte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, geurteilt, besonders erschreckend sei es, „dass Teile des Bürgertums zumindest eine gewisse Sympathie“ für antiislamisch-rassistische Agitation zeigten. Dies bezieht sich auch darauf, dass mit Pegida erstmals nicht nur Aktivisten der extremen Rechten, sondern breite, politisch bislang nicht organisierte Kreise an antiislamischen Straßenprotesten teilnehmen.

Brandanschläge auf Moscheen
Zu den Sorgen deutscher Muslime tragen nicht zuletzt Gewalttaten bei, die in den letzten Monaten gegen Moscheen verübt wurden. Kam es offiziellen Angaben zufolge von 2001 bis 2011 im Jahresdurchschnitt zu rund 22 Übergriffen auf Moscheen, so stieg diese Zahl 2012 auf 35 und 2013 auf 36. Allein von August bis Mitte Oktober 2014 wurden neun Attacken gezählt, darunter mehrere Brandanschläge: einer in Berlin und zwei in Bielefeld im August, einer in Oldenburg im September und einer in Oldenburg im Oktober.

Unter Generalverdacht
Zum „Surrogat für Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit“, wie Bülent Ucar formuliert, ist der Islam im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Krieges geworden, an dem sich die Bundesrepublik nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 beteiligt hat. Während die westlichen Staaten große Teile der islamischen Welt mit Krieg (Afghanistan, Irak) oder mit Kriegsdrohungen (Iran, Syrien) überzogen, weitere Teile zu Loyalitätsbezeugungen zwangen (Pakistan, Libyen, Libanon) und den gesamten Nahen und Mittleren Osten auf eine prowestliche Politik festzulegen suchten, gerieten in Deutschland und in weiteren Ländern des Westens Muslime unter Generalverdacht, antiwestliche Kräfte zu stützen. Polizeiliche Rasterfahndungen erfassten Studierende aus der islamischen Welt ohne jeglichen konkreten Verdacht; Verdächtige aus der islamischen Welt wurden in Geheimgefängnisse und Folterhaft verschleppt.

Kirchliche Organisationen sahen sich veranlasst, gegen eine „Welle antiislamisch gefärbter Berichte und Äußerungen“ in den Medien zu protestieren, und klagten bitter über einen „Verfall der Objektivität und Diskussionskultur, auch bei Politikern“. In diesem Klima schossen antiislamische Internet-Blogs mit zehntausenden Lesern täglich aus dem Boden; beinahe modisch wurde es, den Islam ganz allgemein für „vergleichbar mit dem Faschismus“ zu erklären.

Rassismus à la mode
Die kriegsbegleitende Inlandspropaganda ist damals von Organisationen der extremen Rechten mit Befriedigung aufgegriffen worden: Sie begannen erfolgreich, den alten Rassismus in ein modisch-antiislamisches Gewand zu kleiden. In Europa haben zunächst der nordbelgische Vlaams Belang und die FPÖ, bald aber auch deutsche Parteien begonnen, ihre Agitation auf den Islam zu fokussieren und gegen den Bau von Moscheen oder Minaretten zu mobilisieren. Prominentester Exponent der modisch-antiislamisch operierenden extremen Rechten ist der Niederländer Geert Wilders geworden, der den Islam eine „kranke Ideologie“ und den Koran ein „faschistisches Buch“ nannte. Wilders' “Partij voor de Frijheid” wurde bei den niederländischen Parlamentswahlen am 9. Juni 2010 mit 15,4 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft und gewann über die Duldung eines konservativ-rechtsliberalen Minderheitskabinetts sogar Einfluss auf die Den Haager Regierungspolitik. In Deutschland blieben vergleichbare Erfolge der extremen Rechten jenseits einzelner regionaler Experimente (Pro Köln bzw. Pro NRW) zunächst noch aus.

Handlungsbereit
Allerdings hat die Inlandspropaganda, die den so genannten Anti-Terror-Krieg auch in der Bundesrepublik begleitete, tiefe Spuren in der öffentlichen Meinung hinterlassen. Wie es in einer aktuellen Analyse des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Berliner Humboldt-Universität heißt, erklärten bei einer repräsentativen Umfrage 27 Prozent der Befragten, sie hielten Muslime für „aggressiver … als sie selber“. 30 Prozent hielten Menschen islamischen Glaubens zudem für weniger „bildungsorientiert“. Viele betrachteten „islamisch“ und „deutsch“ als „Gegenkategorien“ und definierten Muslime „aus dem ‘deutschen Wir’ heraus“. 42 Prozent wollten „den Bau von Moscheen einschränken“, 48 Prozent Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs verbieten.

Naika Foroutan, die Leiterin der Forschungsgruppe, die die Analyse erstellt hat, warnt, „die islamfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung“ stiegen zwar gegenwärtig wohl nicht mehr an; doch nehme „die Handlungsbereitschaft“ in den antiislamischen Milieus zu, „wie Moschee-Anschläge und die Hass-Attacken auf muslimische Einzelpersonen und Entscheidungsträger verdeutlichen“. Foroutan urteilt: „Die Qualität der Abwertungen, die auch aus der Mitte der Bevölkerung kommen, verschärft sich.“

Pegida
Dies drückt sich nun in den aktuellen Pegidaprotesten aus, in denen erstmals breite, politisch bislang nicht organisierte Teile der Bevölkerung in großem Maßstab gemeinsam mit organisierten Neonazis auf die Straße gehen. Die kriegsbegleitende Propaganda aus den Zeiten des Anti-Terror-Krieges wirkt.