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Eine Chance für Rückzug

Ausgabe 299

Foto: jahmeica, Adobe Stock

Bei einem üblichen Spaziergang durch das Stadtzentrum von Cambridge bin ich über den Unterschied ziemlich erstaunt, den die zwei Wochen bewirkt haben. Die kleinen Straßen erinnern an die Sonntage von früher: sie sind fast menschenleer. Doch wird sich dieser besondere Ruhetag wohl über Wochen und Monate hinziehen, und es ist wahrscheinlich, dass zumindest einige dieser Geschäfte und Restaurants nie wieder Handel betreiben werden. Ich laufe vorbei an liegenden und kauernden Obdachlosen, die immer noch in ihren Säcken schlafen. Dieser trostlose Anblick scheint der einzige zu sein, der unverändert geblieben ist. In der Apotheke schützt ein Plexiglas-Schild den Apotheker nicht nur vor ansteckendem Husten und Niesen, sondern auch vor Beleidigungen. Eine im Supermarkt zum Mindestlohn arbeitende Muslima erzählt mir, dass einige Kunden ihre Münzen nach ihr werfen oder in eine befremdliche und panikähnliche Wut geraten. Die traurige, nervöse Schlange versucht, sich „sozial zu distanzieren“, indem sie sich an einer gelb geklebten Linie entlang bewegt, und zwar nicht nur aus Gehorsam; niemand will Azrail, dem Engel des Todes, zu nahe kommen.

Der Konsumkarneval, der Faschingszug unserer produktsüchtigen Zeit, ist vorbei. Dies fühlt sich an wie der Morgen danach, ein Hangover. Wir pflegten fröhlich nach den Waren in den Läden zu greifen, die vor unseren verzückten und kindlichen Augen glitzerten und funkelten. Jetzt zögern wir und berühren sie zaghaft, widerwillig, so als ob wir die Haut einer Leiche berührten. Ich drücke die Tasten des Geldautomaten und frage mich, ob meine Hände, die ich in den vergangenen Jahren so unbedacht benutzt habe, nun Träger meines eigenen Untergangs sind. Ein Zwanzig-Pfund-Schein – die neueste Banknote, die plastifiziert wurde – könnte ein schmutziger Mammon sein, der uns umbringen kann. Wir wollen ihn desinfizieren: der Nervenkitzel des Reichtums ist vorbei.

Die Welt fastet, in gewisser Weise ist dies ein Imsak des Kapitalismus, dessen Belsazar-Fest abrupt aufgelöst wurde. Für die Tagesbesucher eines betäubten Stadtzentrums ist vieles tabu. Wie uns ein Hadith des Ramadans sagt, sind die Teufel angekettet. Die misstrauischen Käufer sind nicht an schönen Dingen, sondern am Überleben interessiert. Alte Gewohnheiten des geistesabwesenden Stöberns erscheinen absurd. Unser Premierminister hat, seine hedonistische Seele entblößend, die Buchhandlungen geschlossen, aber die Spirituosenläden offen gelassen. Aber auch diese scheinen nicht viel zu tun zu haben. Viele Menschen sind höflich und fürsorglich, doch alle sind gezügelt, gedämpft, nüchtern und wachsam.

Natürlich trifft dieser plötzliche Crash die Leute unterschiedlich. Den Alten könnte mein gedankenloses Niesen einen qualvollen Tod bringen. Für die jungen Männer, die lachend zusammenstehen und auf ihren Bus warten, erscheint das Risiko belanglos. Und welcher junge Spieler, der etwas auf sich hält, scheut das Risiko: Dieses Spiel des Russischen Roulette, das sie jeden Tag spielen, ist neu und aufregend, und sie fühlen sich unsterblich, auf unbekümmerte Art zuversichtlich, dass sie nächstes Jahr zumindest auf denselben Bus warten werden.

Der Himmel hat uns also ein Leben in interessanten Zeiten beschert. Wir stehen vor der schwersten globalen Krise seit vielen Jahrzehnten und es ist richtig, dass die Muslime nachdenken und diese neuen langen und ruhigen Tage nutzen. Doch bevor wir das tun, sollten wir uns vor den panischen und sensationellen Medien abschotten, sollten wir uns weg klicken und unsere Ohren vor den zweitklassigen,  unbeholfenen Politikern verschließen. Wir sollten aus unseren Fenstern auf die unheimliche Leere der Straßen schauen und überlegen, was Gott wohl damit meinen könnte.

Sogar der atheistische Verstand versteht unsere Zeit als eine der Hybris: Wir verwüsten und verletzen wahllos die Natur und gehen auf dem Mond spazieren. Jede andere Spezies schreckt vor uns zurück, weil Ökosysteme sterben. Unser riskantes Finanzsystem ist zunehmend ein Parasit gegenüber den Armen. Aus unserer menschlichen Perspektive ist COVID-19 eine Infektion, die unsere Welt in Unordnung bringt, aber aus der Perspektive der Welt gesehen ist die Menschheit selbst im vergangenen Zeitalter zu einer noch tödlicheren Krankheit geworden: Wie ein Pilz oder ein Hakenwurm saugen wir das Blut des Wirts ein und vermehren uns wie verrückt, bis das Ökosystem selbst – der Planet, den wir vampirisieren – krank wird und stirbt. Banū Adam, befreit von den natürlichen Beschränkungen, die von der Religion auferlegt wurden, ist selbst zu einer Krankheit geworden, in seiner Planung und seiner Weisheit kaum intelligenter als eine Mikrobe. Wir sind zu einem Qarun-Virus geworden.

Und jetzt revanchiert sich Gottes Welt mit diesem unsichtbaren Miasma, das uns Angst macht, auch nur einzuatmen. Putin und Trump, die Herren der Atomwaffenarsenale, schwanken von deren Einfluss zurück und haben vielleicht die Naqshbandi-Regel für sich entdeckt: Achtsamkeit bei jedem Atemzug. So winzig klein ein Feind, der unsere Welt gestürzt hat: zu winzig, um sie zu sehen, die Corona buchstäblich eine Krone: dieses mikroskopisch kleine Protein, dieses beinahe Nichts, ist jetzt König der Welt.

In dieser göttlichen Ironie erinnern wir uns an alte Fabeln aus dem Maus- und Elefanten-Genre. Der Heilige Prophet, dessen ganze Botschaft eine Herausforderung an die Liebe zur Dunja und die Angst vor dem Tod ist, wurde im Jahr des Elefanten geboren. Wie oft wiederholen wir diese Sure, als wäre sie ein Kinderreim: aber Abraha, der Tyrann, bleibt ein immerwährendes Symbol für die Arroganz, die die Dinge Gottes verdrängen will: Die Sira-Autoren berichten uns, dass die Vögel, die Lehmkugeln auf ihn und seine Armee niederregnen ließen, auch eine Krankheit mit sich brachten, so dass ihr Fleisch an ihren Knochen zu faulen begann, noch während sie lebten. Es war eine Art schrecklicher Ebola, die sie bei lebendigem Leibe fraß.

So gehören also auch die Mikroben, die Teil der Symphonie des ausgewogenen Ökosystems der Welt sind, zur Armee Gottes. Mitunter sind sie uns durch die göttlichen Namen Ar-Razzaq  (der Versorger), Al-Latif (der Gütige) dienlich: In unseren Mägen und Eingeweiden wimmelt es von ihnen, und ohne sie könnten wir unsere Mahlzeiten nicht verdauen. Auf dem Land zersetzen sie dann abgestorbene Materie und führen sie dem Boden wieder zu. Sie begrenzen die Populationen auf natürliche Weise, indem sie das Gleichgewicht, Mizan, der Schöpfung aufrechterhalten, in der jede Art das Recht auf ihren Lebensraum hat. Aber zu anderen Zeiten, die für das Gleichgewicht nicht minder notwendig sind, dienen sie den göttlichen Namen Al-Qahhar und Al-Muntaqim, dem Bezwinger, dem Vergelter, und so nutzte Allah sie, um den Oligarchen Abraha und seine Elefanten, seine Truppen und seine Seestreitkräfte niederzustrecken.

Allah sagt, dass Er mit den Armen und Gebrochenen ist. Der Qur’an lässt uns unbehaglich werden mit all seinen kompromisslosen prophetischen Argumenten gegen Status, Stolz und das Horten von Reichtum. Die Scharia mit ihrer Zakat und ihren Erbschaftsgesetzen zielt darauf ab, Vermögen mit dem Hammer göttlicher Gerechtigkeit zu zerschlagen. Im Gegensatz dazu haben die parasitären modernen Systeme des homo oeconomicus zu einer historisch beispiellosen Anhäufung von Reichtum durch ein Prozent der Weltbevölkerung geführt.

Und so erzählen uns die großen qur’anischen Geschichten über die Konfrontation der Wahrheit mit der Macht immer wieder, dass der Pharao nicht von einer anderen Supermacht gestürzt wird, sondern von einem einfachen in Lumpen gekleideten Propheten, einem Angehörigen einer verachteten Sklavenrasse aus importierten Arbeitern und Immigranten, ein Mann, der sogar seine Fähigkeit, sich deutlich auszudrücken, anzweifelte. Barfuß steht er vor dem Thron von Memphis und widersetzt sich den Magiern des autoritären Staates, dessen Reichtum in wahnwitziger Weise auf die Errichtung von Mausoleen aus Marmor für die verrottenden Toten ausgerichtet ist. Der Alleinherrscher wendet sich verächtlich ab und die Plagen Ägyptens fallen über sein Land. Welche Macht kann sein Verteidigungsminister gegen die Frösche, das Blut und die Seuchen ausüben, die ihn und sein Volk mit eiternden Geschwüren überziehen? Auch hier werden die kleinsten Wesen des Naturreichs von der Vorsehung eingesetzt, um gegen eine zerstörerische und ungerechte Mega-Struktur der Unterdrückung und des Stolzes vorzugehen.

Und erinnern wir uns erneut an die heroische Haltung Abrahams am Hofe von Nimrod. Dies kommt in der Sure Al-Baqara zum Ausdruck: Hast du nicht von dem gehört, der mit Abraham über seinen Herrn stritt, weil Allah ihm das Königreich verliehen hatte? Als Abraham sagte: „Mein Herr ist es, der lebendig macht und sterben lässt“, sagte er: „Ich mache lebendig und lasse sterben.“

Die Kommentatoren halten fest, dass Nimrod an diesem Punkt seine Macht demonstriert hat, indem er stolz und hartherzig einen Gefangenen begnadigte und einen anderen hinrichten ließ: die göttliche Macht der Amnestie eines Herrschers.

Da sagte Abraham: „Gott lässt die Sonne im Osten aufgehen, so lasse du sie im Westen aufgehen!“ Der Ungläubige war sprachlos. Und Gott weist den Ungerechten nicht den Weg.

Die Autoren des Tafsir erwähnen, dass die Bevölkerung am Hofe Nimrods zu kommen pflegte, um ihn als ihren Herrn, Rabb, zu bestätigen – er würde ihnen dann zu essen geben.

Und dann erscheint Abraham, und als man ihm die gleiche Frage stellt, sagt er: „Mein Herr ist derjenige, der Leben und Tod gibt.“

Nachdem er von der Gegenwart des Tyrannen hinausgeworfen wird und zu seiner Familie zurückkehrt, füllt Abraham seine Futtersäcke mit Sand, damit sie zumindest für eine Weile glauben, er hätte ihnen etwas mitgebracht und so vertröstet werden. Er schläft ein; und als Sara, seine Frau, die Säcke öffnet, findet sie diese auf wundersame Weise mit feinstem Getreide gefüllt.

Was Nimrod betrifft, so erzählen die Chroniken, dass, während er diese Art von Gerechtigkeit verteilte, ein Moskito oder eine Stechmücke in sein Nasenloch flog. Es biss ihn, und das verursachte ihm so entsetzliche Qualen, dass er anfing, mit dem Kopf gegen die Mauern seines Palastes einzuschlagen, bis er nach Jahren des Schmerzes starb.

Es geht natürlich auch hier wieder darum, dass die kleinsten Geschöpfe die stolzeste menschliche Hybris zu Fall bringen können. Und in unserer Zeit ist es der Virus, der die Krone trägt, und die Mächtigen, die hilflos und gedemütigt sind.

Schauen Sie sich jene Politiker in Europa an, die die ehrenwerten Traditionen des Islam verfolgt haben: Sie sind es jetzt, die gezwungen sind, den Niqab zu tragen.

Seuche und Plagen sind für den Islam nichts Neues oder Ungewöhnliches. Wenn wir in unseren Texten nachschlagen, stellen wir fest, dass Waba‘ als Epidemie und I’da als Ansteckung definiert wird, und der mittelalterliche Islam genau wusste, dass das Ergebnis ein Massaker sein konnte.

Ibn Battuta, der den Schwarzen Tod in Kairo beschreibt, berichtet, dass täglich zwanzigtausend Menschen starben, und die Imame schrieen auf: Schahada, Schahada! Der Verweis bezog sich zweifellos auf den Hadith von Bukhari, der besagt, dass diejenigen, die in einem von Seuchen heimgesuchten Land verbleiben und darauf vertrauen, dass ihnen außer dem Urteil Allahs nichts zustoßen kann, eine Belohnung erhalten, die jener der Märtyrer entspricht.

Aber weil Muslime die Medizin schätzen und ihr Gründer selbst Heilmittel verordnete, gab es eine Gesundheitsversorgung, die großzügig durch Auqaf ausgestattet wurden. Mir gefällt folgende Beschreibung eines mittelalterlichen ägyptischen Krankenhauses, verfasst von dem Historiker Lane-Poole: „Die Kabinen für die Patienten waren um zwei Höfe herum angeordnet, und an den Seiten eines weiteren Innenhofs befanden sich Krankenstationen, Hörsäle, Bibliothek, Bäder, Apotheke und alle notwendigen Geräte der chirurgischen Wissenschaft jener Tage. Es gab sogar Musik, um die Leidenden aufzumuntern, während Qur’anleser den Trost des Glaubens spendeten. Reiche und Arme wurden gleich und kostenlos behandelt, und sechzig Waisenkinder wurden unterstützt und in der benachbarten Schule unterrichtet.“

Es gibt dazu einen schönen Bericht im Aramco World Magazine mit dem Titel „The Islamic Roots of the Modern Hospital“, der online leicht zu finden ist, und den meiner Meinung nach alle Fachleute der Medizin lesen sollten. Der Artikel beginnt mit einem Zitat des Waqf vom Krankenhaus von Sultan Qalauwun: „Das Krankenhaus muss alle Patienten, Männer und Frauen, bis zu ihrer vollständigen Genesung aufbewahren. Alle Kosten sind vom Krankenhaus zu tragen, unabhängig davon, ob die Personen aus der Ferne oder der Nähe kommen, ob sie Einwohner oder Ausländer sind, ob sie stark oder schwach sind, niedrig oder hoch, reich oder arm, erwerbstätig oder arbeitslos, blind oder sehbehindert, körperlich oder geistig krank, erlernt oder Analphabet.

Es gibt keine Bedingungen für Gegenleistung und Zahlung, keine wird beanstandet oder auch nur indirekt wegen Nichtzahlung angedeutet. Der gesamte Dienst geschieht durch die Herrlichkeit Gottes, des Großzügigen.“

Das Krankenhaus also, Dar al-Shifa’ oder Bimaristan, ist eine der Gaben des Islam an den Westen, hervorgegangen aus einer Kultur in der Mitgefühl, aber auch medizinische Professionalität hoch geschätzt wurden. So viele Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zwischen den Influencern und den Beeinflussten! Und doch unterschied sich diese Kultur in einem wesentlichen Punkt von unserer eigenen.

Vormoderne muslimische Mediziner und Ulama, die über Infektionen nachdachten, gingen von einer sozialen Welt aus, in der menschliche Erwartungen an das Leben und der Dunya bescheiden waren. Das Grauen vor dem Tod und die Liebe zum Überfluss sind eher die Sunna von Nimrod und Pharao; sie sind der Weg von Abu Dschahl, nicht der des Siegels der Propheten. Wie die Dichter sagen, spiegeln sie den Materialismus des Esels wider, nicht den von Jesus, der ihn reitet. Unsere moderne Einstellung zum Tod ist sehr unrealistisch, ausweichend und belastend: Der atheistische Glaube, der sich dank der unreinen Materie, die sich in unseren Herzen angesammelt hat, selbst wie ein Virus verbreitet hat, überzeugt viele davon, dass der klinische Tod unser Ende ist. Wie der Qur’an solche Menschen beschreibt: „Und sie sagen: Es gibt nichts als unser Leben in dieser Welt, wir sterben und wir leben, und es vernichtet uns nur die verlaufende Zeit.“

Solche Menschen haben eine tragische Angst vor dem Tod. In der Tat stellt dies den größten Terrorismus dar, der die Menschheit in unserer Zeit erschüttert: Die bösartige Bedrohung durch ein bedeutungsloses und ewiges Nichts. Im alten Arabien hatten die Araber der Dschahilija kein Vertrauen in das Leben nach dem Tod, aber dem Lobenswerten wurde in seinem traurigsten Moment der Konfrontation mit ihnen gesagt: „Das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits.“ Und in Sure al-A‘la: „Doch ihr zieht das irdische Leben vor, wo doch das Jenseits besser und dauerhafter ist.“

Der Tod ist ein normaler und natürlicher Teil unserer fragilen menschlichen Realität, und sein Erlass geht von einem unerbittlichen göttlichen Namen aus: Al-Mumit, der Tötende. Die Menschheit der Vormoderne sah ihn an jeder Ecke und wusste damit umzugehen; Rituale halfen viel, aber noch mehr Heilung brachte das Bewusstsein von göttlicher Weisheit und Barmherzigkeit. So sagte der Lobenswerte bemerkenswerterweise: „das kostbare Geschenk an den Gläubigen ist der Tod“. Denn er oder sie geht von dieser enttäuschenden Welt in die Welt der reinen Barmherzigkeit und Bedeutung über. Freilich sagt uns der Heilige Prophet, dass wir nicht den Tod ersehnen sollen, „keiner von euch soll sich den Tod erhoffen“, denn unser Ende erfolgt durch Seinen Beschluss, nicht durch unsere Vorliebe. Wir akzeptieren es einfach gelassen als einen vollständigen Ausdruck der göttlichen Weisheit.

Dies ist zweifellos ein Grund dafür, dass Gläubige sich einer besseren psychischen Gesundheit erfreuen als Atheisten. Ein Artikel des „Daily Telegraph“ aus dem Jahr 2013, der auf die wesentliche Bedeutung des religiösen Glaubens für den Menschen hinwies, schlug vor, dass der Atheismus selbst als psychische Krankheit eingestuft werden sollte. Es handelt sich jedoch um eine weit verbreitete Infektion mit hässlichen psychologischen Symptomen, und im modernen Großbritannien zeigt sich dies. Die ungeheure Grausamkeit des atheistischen Glaubens offenbart sich nie schärfer als durch das Leiden von Angehörigen, wenn sie die Nachricht erhalten, dass ein geliebter Mensch auf einer Intensivstation verstorben ist. Eine Leere ersetzt eine Seele. Es gibt keine zeitlosen Rituale. Es gibt keinen Hoffnungsschimmer.

Daher das moderne Klagen der Welt, das wir überall um uns herum hören, einschließlich des Klagens der Amalekiter dieser Zeit, wie Donald Trump, der offensichtlich Angst hat, dass ihm eine Mücke durch die Nase fliegen könnte. Das ist kein Chor, in den wir einstimmen können. Stattdessen sagen wir instinktiv: „Allah genügt uns und Er ist der beste Beschützer“; oder wir sagen: „Wir gehören Gott und zu Ihm kehren wir zurück.“

Vor vielen Jahren pflegte ich in Sammeltaxis zu fahren, die zwischen den Städten Dschidda und Medina besorgniserregend schnell fuhren. Meist handelte es sich dabei um klapprige Transportmittel, die mit jemenitischen Arbeitern vollgestopft waren; und bei einer Reihe von Gelegenheiten entkamen wir dem Todesengel nur knapp. Eines Nachts, mit einem Fahrer der 150 Stundenkilometer schnell fuhr, rannte eine Herde Kamele vor uns über die Autobahn – mit einer Überlebenschance von vielleicht zehn Prozent reagierte der Fahrer sofort und lenkte uns durch eine schmale Lücke zwischen den stampfenden Tieren; und wir überlebten. „O Allah“, sagten alle Passagiere, als der Tod plötzlich auf uns zuraste, und dann Subhan-Allah. Anschließend schien das Ereignis kaum noch von Bedeutung zu sein.

Kurz darauf, als wir an einer saudischen Autobahnraststätte anhielten, sah ich einen alten Mann auf dem Beton sitzen, der eingerahmte Qur’an-Kalligraphien verkaufte. Er hatte nur einen Text: „Jede Seele wird den Tod kosten.“ Er würde bei einer willkommenen Pause auf der M15 keine guten Geschäfte machen. Aber für Muslime ist der Tod einfach ein weiterer Aspekt der menschlichen Erfahrung, ein Beschluss Seiner Weisheit, dessen Art und Zeit von dem Besten aller Richter bestimmt wird.

Die derzeitige Khauf und Huzn, Angst und Sorge, die unsere angeblich so gleichgültige und hochentwickelte Welt lähmen, betreffen nicht nur den Tod, sondern auch die Zerbrechlichkeit der Dunja. Der FTSE 100 Index ist in den Keller gefallen: fünfunddreißig Prozent in den roten Zahlen, Tendenz weiter fallend. Die Arbeitslosigkeit wächst zehnmal so schnell wie zuvor nach der Finanzkrise von 2008. Unternehmen brechen zusammen und sterben. Die Armen und Hilflosen, mit Null-Stunden-Verträgen und

Kurzzeitjobs, sind schon jetzt vom Hunger betroffen. Das wird unsere Gemeinde schwer treffen: Tandoori-Restaurants und Taxiunternehmen sind besonders gefährdet. Abgelehnten Asylbewerbern und Visumslosen kann sogar die Gesundheitsversorgung verweigert werden. Wie üblich leiden die Schwächsten und Ärmsten am meisten, aber das ist Ismaels Schicksal: Wir leben auf der falschen Seite der Gaza-Mauer. Auch hier denken wir daran, dass Gott in einer Zeit wachsender Ungleichheiten und gigantischer Arroganz stets mit den leidenden Schwachen, den Hungernden und den Verschmähten ist. Der Heilige Prophet selbst hat dafür gebetet, unter den Mittellosen wiedererweckt zu werden.

Wir brauchen unsere Grundbedürfnisse von der Dunja, wir haben das Recht auf unser Qut, unser täglich Brot. Doch die verrückte Liebe zum Konsum, die zur tödlichen Sucht des modernen Menschen geworden ist, ist dem Himmel verhasst. Der Qur’an sagt: „Wisset, das diesseitige Leben ist nur Spiel und Zerstreuung, Zierde und gegenseitige Prahlerei … Und das diesseitige Leben ist nur trügerischer Genuss.“

Unsere Produktabhängigkeit vernichtet Mutter Erde. Daher unsere Auffassung, die Menschheit selbst sei eine Krankheit, die ihren planetarischen Wirt tötet: Wir alle sind der Qarun-Virus. Aber sie tötet auch unsere Seelen und unsere Gesellschaften. Dem Gläubigen ist das Shopping nicht besonders wichtig, obwohl es ihm oder ihr Freude macht, seine Gäste zu verwöhnen. Das Haus des Heiligen Propheten war so bescheiden, dass seine Tür nicht aus Holz, sondern aus einem einfachen Sacktuch bestand. „Sei in diesem Leben, als wärst du ein Fremder oder ein Durchreisender“, sagte er.

So ist der Gläubige in der Isolation weiter von Dunya entfernt. Es entsteht eine Loslösung und er belebt einige der entscheidenden Vorteile von Khalwa oder ‘Uzla, indem er sich die Möglichkeit in Erinnerung ruft, Klarheit zu erfahren, wenn Ablenkungen und weltliche Vergnügungen auf Distanz sind: Die Heilige Jungfrau sah den Engel, als sie allein in der Wüste war und derselbe Engel kam zum Besten der Geschöpfe, als er allein in der Höhle von Hira war.

Unser Moment ist also eine Gelegenheit, die ehrenvollen und reich belohnenden islamischen Bräuche von Khalwa und I‘tikaf zu reaktivieren. Vielleicht, falls sich die Vorhersagen von Mr. Hancock über eine Aufhebung der Sperre für Ende April bewahrheiten, wird es eine vierzigtägige Einkehr. Buchstäblich eine echte Quarantäne, ein Arba’in, eine Chilla. Während dieser Zeit wird die atheistisch-materialistische Welt unter Langeweile, Angst und finanzieller Unruhe leiden: Ihr Dilemma ist klar: entweder die Menschen zu Hause lassen oder die Wirtschaft wieder ankurbeln: die Angst vor dem Tod und die Angst vor Armut sind zwei aufgewühlte Giganten, die miteinander in ihren Herzen kollidieren.

In dem Maße, in dem wir unseren Islam verinnerlicht haben, werden wir nicht viel unter solchen Zusammenstößen oder Ängsten leiden. Die Zukunft gehört Gott, nicht dem Menschen. Alles gehört Ihm und wir reisen in diese Zukunft, wie Er es bestimmt.

In der Zwischenzeit durchleben wir diese Quarantäne von der Dunja. Nehmen Sie das Buch der deutsch-muslimischen Autorin Michaela Özelsel, Vierzig Tage, das Tagebuch einer vierzigtägigen Einkehr: Sie hält fest, wie jeder Tag zunehmende Selbsterkenntnis, Dankbarkeit und Staunen über die Nähe des allmächtigen Gottes und einen Sinn für das Leben und die Schöpfung als reines, unverdientes und erstaunliches Geschenk mit sich bringt. Mir gefällt es, wie ihr spiritueller Führer Gebete rezitiert, als sie die Wohnung betritt, in der sie diese Chilla durchführen soll, und bevor sie die Tür schließt, mit dem traditionellen Satz endet: Möge es sanft und leicht vorübergehen.

Für viele Menschen ist die Enge belastend und die Reinheit der spirituellen Konzentration erscheint wie eine unrealistische Hoffnung: Kinder streiten und brauchen Bewegung, wir vermissen unsere Freunde, und, dies ist der größte Schmerz, im Ramadan werden wir wahrscheinlich die zeitlose Erhabenheit unserer Tarawih-Gebete vermissen. Unsere Herzen vermissen die Moscheen und in dieser Ferne lernen wir, wie sehr wir die schönen und heilenden Formen unserer Praktiken brauchen, und wir erkennen mit Trauer, wie verarmt das Leben der Gottlosen sein muss.

Doch der Islam hat kein Priestertum und keine geweihten Kirchen. Der Auserwählte sagt uns, dass eines der Khasa’is, die Besonderheit seiner Umma, darin besteht, dass „die ganze Erde  zu einer Moschee für mich gemacht worden ist.“ In fast jedem Haus gibt es jemanden, der das Gebet leiten kann, und sei es auch nur auf grundlegende Weise. Das Fasten kann in einer völlig schariakonformen Weise erfolgen. Unsere Zakat al-fitr kann weiterhin gezahlt werden: Der Islam ist in unserer Abgeschiedenheit durchaus machbar.

Lernen wir also die Traditionen der Abgeschiedenheit, ‘Uzla, neu kennen. Und vergeuden wir keine Zeit, sondern nutzen die Gelegenheit. Wir können mehr Bücher lesen als je zuvor: „Welch guter Freund ein Buch ist, wenn Freunde unerreichbar sind.“

Während wir unsere Tage in friedlicher Abgrenzung verbringen und unsere Herzen sich beruhigen, können wir auf unheimliche Weise ein Gefühl der Verbundenheit mit den Seelen der Gelehrten vergangener Zeitalter herstellen, indem wir uns ehrfurchtsvoll mit ihren Werken beschäftigen. Wir können in gewisser, geheimnisvoller Weise zu ihren Schülern werden, wir können ihre Gesellschaft genießen.

Auf die gleiche Art müssen wir das Gebet fest in unseren Häusern verankern und an das prophetische Gebot denken, dass unsere Häuser nicht zu Gräbern werden dürfen, sondern durch Gebet (arab. Salat) zum Leben erweckt werden müssen.

Der Adhan sollte laut und rechtzeitig vorgetragen werden. Wir sollten uns in die Live-Rezitation des Qur’an einloggen, statt uns einfach nur Aufnahmen anzuhören. Wir können islamischen Online-Unterricht nehmen und systematisch Dinge lernen, die wir schon längst hätten wissen sollen, insbesondere die grundlegenden Verpflichtungen, Fard al-‘ayn. Dies kann eine einmalige Gelegenheit sein, den ‘Ilm zu erweitern, das nachzuholen, was wir zuvor hätten tun sollen, und die einzigartigen Segnungen eines vermehrten ‘Amal zu kosten.

In Zeiten der Fitna, insbesondere inmitten der Aufruhr und Sorgen der Endzeit, lautet die prophetische Weisung: Zerbrecht zuerst eure Schwerter und werdet zu einem Möbelstück in Eurem Haus. Die Absicht sollte sein, die Ablenkungen der stürmischen Außenwelt zu vermeiden: in vielen Ländern zum Beispiel die Versuchungen des verstohlenen Blicks in den unterbekleideten Sommermonaten, die Risiken von unangebrachten Gesprächen, Geläster und Verleumdungen oder sinnlose Shoppingtouren und extravagante Restaurantgerichte. Aber unsere Imame, darunter auch Imam Al-Ghazali, betonen, dass die Absicht in erster Linie darin bestehen muss, andere vor unseren eigenen Übeln zu schützen, nicht darin, vor deren sicher zu sein. Indem wir uns selbst isolieren, vermeiden wir es, andere Menschen mit unseren schlechten Gewohnheiten und unserem dürftigen Adab anzustecken. Wir fügen nun der Welt weniger Schaden zu.

So bitten wir Allah, vielleicht in der Nacht mitten in Scha’ban selbst, dass diese Gelegenheit zum Rückzug für uns eine gesegnete Zeit werde, von Sabr und von Schukr, von Tawakkul und Taslim, und dass Er einen gesegneten Ausgang verfügt. Wir alle rannten zu schnell hinter der Dunja her, und wir müssen anhalten, um für eine Weile tief Luft zu holen. Mögen wir daher in den Ramadan eintreten, in einem ruhigen und gut vorbereiteten Zustand des Gebets und der Achtsamkeit gegenüber unsere Pflichten und der Gegenwart des allmächtigen Gottes. Möge es der beste Ramadan unseres Lebens sein, frei von Faulheit und erfüllt von aufrichtiger Familienliebe, Vergebung, Gebet und Erkenntnisgewinn. Möge diese Selbstisolierung enden, wie der Ramadan stets endet, nicht mit einem Gefühl der Befreiung, sondern mit dem Gefühl, dass eine spirituelle und besondere Zeit erlebt wurde und verpasst werden wird.

Und wir werden auch um Kraft für das medizinische Personal beten, um Gnade für unsere Toten und um mehr Taqwa in unseren Herzen. Und wir werden beten, dass die Mächtigen gedemütigt werden, dass die tote Hand des Materialismus gehoben wird von den hektischen, gierigen und belasteten Banu Adam, und dass dies eine Zeit der Tauba und des Nachdenkens werde und die Rückkehr zum Haqq, nicht nur für die Umma, sondern für die ganze Menschheit, die zu lange unter ihren eigenen Sünden gelitten hat und sich nach der barmherzig geführten Erneuerung ihres Herzens sehnt, durch die Gnade des Himmels.

Aus dem Englischen von Tarik Cviko.