Eine Konsequenz der Intervention in Somalia? Kenia soll nicht Nigeria werden. Bericht von James Reinl

In der kenianischen Kleinstadt Garissa wollen Muslime Kirchen bewachen. 17 ihrer christlichen Landsleute waren vor einer Woche bei Attentaten umgekommen. Die Freiwilligen wollen weitere Bluttaten verhindern. Kenia dürfe nicht Somalia oder Nigeria werden, sagen sie.

Nairobi (dpa). Muslime, die Kirchen bewachen? In Kenia wollen Vertreter der muslimischen und christlichen Gemeinden so das Blutvergießen zwischen den Religionsgemeinschaften beenden. «Wir sind hier in Kenia. Das ist nicht Nigeria, Somalia oder Afghanistan», sagt Adan Wachu, der Generalsekretär des Obersten Rates der Muslime Kenias. «Wir werden in diesem Land keine religiösen Auseinandersetzungen zulassen.»

Am Sonntag vor einer Woche hatten maskierte Männer zwei Kirchen in Garissa im Osten Kenias überfallen und das Feuer auf die Gläubigen eröffnet. Dabei starben 17 Menschen, 45 wurden verletzt. Junge Muslime wollen in Zukunft die etwa 30 Kirchen in Garissa bewachen. In religiös sehr gespaltenen Regionen werden Christen und Muslime gemeinsam Gebetsstätten schützen, so Wachu. Es sei nur eine kleine Gruppe Unzufriedener, die religiös motivierte Gewalt heraufbeschwören wolle.

Kenia entsandte im Vorjahr Soldaten ins benachbarte Somalia um die dortige Regierung im Kampf gegen die radikalislamischen Al-Schabaab-Milizen zu unterstützen. Seitdem nimmt die Gewalt zu. Die Attentate in Garissa waren der blutigste Anschlag seit einem Selbstmordattentat auf ein Hotel in der Küstenstadt Mombasa im Jahr 2002. Damals kamen 18 Menschen ums Leben.

Viele Kenianer fürchten eine Situation wie in Nigeria, wo die militante Sekte Boko Haram immer wieder Christen angreift. Am Wochenende kamen zudem im Nordwesten Nigerias bei einem Überfall von als Militärs verkleideten Nomaden auf mehrere von Christen bewohnte Dörfer Dutzende von Menschen ums Leben. «Wer auch immer hinter diesen Angriffen steckt, versucht absichtlich, Zerwürfnisse zwischen den Religionen zu säen», sagt der Anwalt Hassan Omar, ein ehemaliges Mitglied der kenianischen Kommission für Menschenrechte. «Wir sind uns der Schwere dieser Angriffe bewusst, aber wir wollen nicht, dass unser Land in religiös motivierte Gewalt abgleitet.»

Premierminister Raila Odinga hat die Al-Schabaab für die Anschläge in Kenia verantwortlich gemacht. Der Gruppe werden Verbindungen mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida nachgesagt. In Garissa hat die Polizei etwa 30 Verdächtige – Somalier und kenianische Muslime – vernommen. Die Verdächtigen seien Sympathisanten der Al-Schabaab, sagt der stellvertretende Polizeichef Philip Ndolo. In Teilen Ostkenias ist die Mehrheit muslimisch, landesweit machen Muslime etwa 10 Prozent der 43 Millionen Einwohner aus.

Die Angriffe auf Kirchen könnten eine neue Taktik der Al-Schabaab sein, sagt Terrorexpertin Tina Soria vom Londoner Think Tank «Royal United Services Institute». Soria befürchtet auch Angriffe auf Einkaufszentren, die auch von Ausländern besucht werden, und verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Al-Schabaab, Boko Haram und anderen militanten afrikanischen Organisationen. «Es gibt Beweise, dass diese Gruppen Planungs- und Bombenbauwissen ausgetauscht haben und auch gegenseitig Kämpfer ausgebildet haben.»

Menschenrechtsanwalt Omar glaubt, dass die Angreifer in Garissa frustrierte, arbeitslose junge Männer waren. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Der allgemeine Frust junger Menschen in Afrika schlage sich auf verschiedene Arten nieder, meint er. Gewalt sei eine davon, zum Beispiel in Form von kriminellen Gangs oder bei den Zusammenstößen nach der Präsidentenwahl in Kenia 2008. «Nun eignen sich manche auch eine abwegige Ideologie an, die diese Gewaltakte unterstützt.»