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Eine Rückbesinnung auf die Zakat

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Foto: IZ Medien

(iz). Obwohl die Zakat die dritte Säule der islamischen Lebenspraxis ist und von den Qur’ankommentatoren auf die gleiche Stufe des Gebets gestellt wird, nimmt sie nur eine vergleichsweise geringe Rolle in der Debatte von Muslimen im Westen ein. Eine steigende Zahl von MuslimInnen möchte das ändern.

Dazu gehört die Schweizer Zakatstiftung. Sie will nicht nur weg vom Bild einer verpflichtenden Mildtätigkeit. Die überwiegend jungen MacherInnen setzen auf eine lokale Verteilung. Hierzu sprachen wir mit Naveed Khan.

Islamische Zeitung: Lieber Naveed Khan, das Team der Schweizer Zakatstiftung ist relativ jung. Was hat Sie bewogen, sich mit dem Thema zu beschäftigen? Es ist ja, wenn wir ehrlich sein sollen, nicht nur bei uns Muslimen in Deutschland, sondern auch in Westeuropa ein relativ vernachlässigtes Thema. Warum beschäftigen sich junge, erfolgreiche Muslime damit?

Naveed Khan: Das ist eine Diskussion, die bei uns schon seit Jahren läuft. Wir haben ein relativ großes Team. Die Angehörigen unseres Stiftungsrates sind nur ein kleiner Teil. Wir haben wirklich Dutzende von Freiwilligen, die hier mitarbeiten; auch sie sind mehrheitlich jünger. Das Projekt entstand im Rahmen verschiedener Diskussionen durch die letzten Jahre.

Wir haben gesehen, dass uns als Schweizer Muslimen, aber auch darüber hinaus in Westeuropa, eine gewisse finanzielle Sicherheit fehlt. Wir sind stark abhängig von Mitgliedsbeiträgen, sowie von Spenden, die mal kommen und mal nicht. Das heißt, wir leben ein Stück weit von der Hand in den Mund. In vielen Diskussionen wurde uns klar, dass dies nicht sehr nachhaltig ist. Wir haben uns mit entsprechenden Lösungsansätzen im Islam beschäftigt.

Und da ist die Zakat ganz klar ein sehr wichtiges Thema. Unser Stiftungspräsident, Saâd Dhif, absolvierte einen Studienaufenthalt in Kanada, und hat dort von verschiedenen Projekten gehört. Im angelsächsischen Bereich arbeitet man hierzu deutlich länger. Da gibt es bereits Zakatstiftungen, die lokal verteilen. Das war mitunter ebenfalls eine Inspiration, wie wir etwas Ähnliches in der Schweiz machen können.

Islamische Zeitung: Gibt es bei Ihnen auch eine Neubeschäftigung mit den Quellen? Leitet sich der Ansatz der Schweizer Zakatstiftung mehr aus einer Analyse der Jetztsituation ab oder auch von einer neuen Lesung des Materials? Heute dominiert bei vielen MuslimInnen ja die Vorstellung, Zakat sei eine Form verpflichtender Wohltätigkeit…

Naveed Khan: Faktisch ist es weniger eine Neubeschäftigung, sondern mehr eine Rückbesinnung darauf, wie die Zakat klassischerweise durch die islamische Geschichte hinweg eingesetzt wurde. Ich denke, dass die Art und Weise, wie die Zakat momentan zum Einsatz kommt, eben nicht klassisch ist.

Wir haben auch oft in unseren Gesprächen gemerkt, dass die Einstellung vorherrscht: „Zakat = Armutssteuer“. Und dass sie wirklich nur zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden solle. Ebenso findet auch eine Vermischung der Begriffe Zakat und Sadaqat statt. Diese Worte werden auch teilweise als synonym benutzt. Ich denke, dass es in dieser Hinsicht um eine Beschäftigung mit den Quellen geht.

Es geht aber auch um eine Rückbesinnung auf die Praxis der Zakat in der Vergangenheit. Und da gibt es Aspekte, zu denen fast keine Meinungsunterschiede bestehen, weil sie im Qur’an erwähnt werden. Die Zakat kann an acht Kategorien abgegeben werden. Darunter sind natürlich die Armen (arab. fuqara) und die Mittellosen (arab. miskin) eine wichtige Kategorie, aber es gibt auch andere. Eines unserer Ziele ist die Stärkung des Bewusstseins dafür, dass Muslime auch wieder mehr an diese Aspekte denken.

Islamische Zeitung: Um konkreter zu fragen, wo setzen Sie an? An welchem Punkt beginnt die Arbeit Ihrer Stiftung?

Naveed Khan: Es gibt verschiedene Gebiete, auf denen wir hierzu arbeiten müssen. Eine ganz wichtige Aufgabe ist die Diskussion des Verständnisses von Zakat innerhalb der Community. Vielen ist bewusst, dass hier etwas geschehen muss. Vor allem beim Aspekt der lokalen Verteilung, die uns ausmacht. Es gibt viele Institutionen und Organisationen, welche die Zakat weltweit verteilen, die beispielsweise in der Schweiz eingezogen wurde. Was uns wirklich abhebt, ist, dass wir sie weitergeben wollen. Hier liegt sicherlich ein wichtiges Tätigkeitsfeld für uns. Wir möchten die Leute diesbezüglich ausbilden. Es ist uns wichtig, hierzu konkret mit unseren Gelehrten und Imamen in der Schweiz zusammenzuarbeiten, Workshops organisieren etc. Das ist die Hauptaufgabe. Denn wenn das nötige Bewusstsein einmal steht, warum wir die Zakat lokal verteilen wollen, ergeben sich viele Dinge daraus, die danach konkret werden.

Islamische Zeitung: Bei einem Besuch Ihrer Webseite fällt auf, dass Sie sich in Form beziehungsweise Ästhetik sowie Inhalt von den meisten Spendenprojekten wie jenen in Deutschland abheben. Man findet weder die häufigen Elendsbilder noch die Übergabe von Spendenpaketen. Gibt es dafür einen gezielten Hintergrund?

Naveed Khan: Einerseits ist uns wichtig, dass die Spender insbesondere von Zakat Anonymität genießen. Die Schweiz ist ein relativ kleines Land, in dem jeder jeden kennt. Außerdem möchten wir niemanden durch das Spiel mit Fotos in eine unangenehme Lage bringen. Es ist mir klar, dass mit solchen Bildern eine gewisse Emotion hervorgerufen werden soll. Wir haben uns dagegen entschieden, Armut auf diese Art und Weise zu präsentieren.

Was wir zukünftig machen und was auch wegen der Transparenz wichtig ist: Wir möchten zeigen, welche Art von Fällen es in der Schweiz gibt. Einerseits ist die Schweiz eines der reichsten Länder der Welt. Andererseits ist vielen nicht bewusst, wie viele auch einmal durch die sozialen Netze fallen und Unterstützung benötigen. Ich denke, dass wir solche Fälle auch dokumentieren werden, aber eben nicht auf die typische Art und Weise.

Außerdem verstehen wir uns als Organisation, die Hilfe zur Selbsthilfe bieten will. Das ist auch ein Konzept, dass wir aus der Zeit der Prophetengefährten geborgen haben. Es gibt verschiedene Beispiele dafür, wie die Zakat damals gehandhabt wurde. Eines stammt vom Gefährten (arab. sahabi) Mu’adh ibn Dschabal, der nach Jemen gesandt wurde, um die dortige Zakat einzuziehen. Anfang wurde er dafür gerügt, nicht genügend Zakat nach Medina zu schicken. Seine einfache Begründung lautete, es gäbe genug Empfänger im Jemen, welche die Zakat benötigten. Daher habe er sie lokal eingesammelt und verteilt. Das ging einige Jahre so und man erkannte, dass jedes Jahr mehr Zakat nach Medina gesandt werden konnte. Bis Mu’adh ibn Dschabal irgendwann sagte, es gebe keine legitimen Empfänger mehr im Jemen.

Das ist auch unsere Vision mit der Zakat: Leute aus der Armut herauszuholen, sodass sie inscha’Allah selbst einmal Zakat geben werden. Das ist eine andere Sicht als Hilfe für die Armen, „weil sie es nicht anders können“. Die meisten wissen ja, was sie brauchen: eine Ausbildung, vielleicht ein Auto und Dinge in dieser Richtung.

Was wir uns auch als noch relativ junge Stiftung zum Ziel gesetzt haben, ist eben nicht nur Armutsbekämpfung. Wir wollen eben auch alle Kategorien abdecken. Da kommen natürlich noch andere hinzu, bei denen typische Armut nicht unbedingt eine Rolle spielt. So lässt sich diskutieren, ob man mit ihr Gelehrte unterstützt oder solche, die den Din lernen wollen. Da passt dann nicht die Corporate Identity einer typischen Hilfsorganisation dazu.

Islamische Zeitung: In unseren Breiten zumindest ist die lokale Verteilung von Zakat eher eine Seltenheit. Sie hat sich zu einer Form wohltätiger Entwicklungshilfe gewandelt – entweder als Nothilfe oder für längerfristige Projekte. Es gibt in Deutschland kaum Ansätze zur lokalen Nahme und Verteilung. Warum sind Sie zu anderen Ergebnissen gekommen als die bisherige Mehrheit?

Naveed Khan: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist das Verständnis, ob die Zakat nur Armutssteuer ist oder doch mehr. Wenn es nur um bloße Armut ginge, ließe sich diskutieren, das Geld dahin zu schicken, wo es am dringendsten benötigt wird. Natürlich haben wir als Muslime im Westen eine Verantwortung, an unsere Geschwister in aller Welt zu denken.

Hier müssen wir zwischen den Begriffen Zakat und Sadaqa unterscheiden. Ich sage nicht, man solle die Menschen in Syrien, dem Jemen oder anderswo nicht unterstützen. Man soll vielmehr das Beste von seinem Vermögen geben, was die Sadaqa ist. Die Zakat ist mehr als eine Abgabe für die Armen. Sie besteht aus zwei Hauptkomponenten: einerseits aus einer Stärkung der Muslime und auch eine Stärkung des Islam als Institution.

Das ist eine klassische Betrachtungsweise, die schon von frühen Gelehrten formuliert wurde. Schon früh wurden auch Gelehrte mit der Zakat unterstützt. Hier in Westeuropa haben wir praktisch kaum eigene Institutionen und Stimmen, oder zumindest keine starken Stimmen, die finanziell unabhängig wären. Das ist wichtig, es ließe sich mithilfe der Zakat aufbauen und würde viele Probleme lösen.

Es gibt noch eine weitere Komponente, wenn wir von Hartz-IV-Empfängern in Deutschland oder Sozialhilfeempfänger in der Schweiz sprechen. Ein wichtiger Teil der Hilfe ist auch, dass die Zakat grundsätzlich für Allah ist, die dann einer der Empfangsberechtigten erhält. Dieser hat ein Anrecht auf die Zakat. Es ist nicht so, als hätte ich als Gebender jetzt etwas Tolles geleistet. Diese Person hat Anspruch auf diesen Anteil meines Besitzes, denn dieser kommt schlussendlich auch von unserem Schöpfer. Aus diesem Grund haben verschiedene Kategorien von Mitgliedern unserer Gemeinschaft Anspruch. Wir verweigern ihnen diesen, wenn wir ihn nicht geben.

Ein letzter Aspekt noch: Indem wir jemandem mit der Zakat zur Selbsthilfe ermöglichen, schaffen wir weitere Effekte. Sollte diese Person wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen und wird zakatpflichtig, ist sie ihrerseits in der Lage anderen, auch Menschen in der dritten Welt, zu helfen.

Islamische Zeitung: Lieber Naveed Khan, wir bedanken uns für das Interview.