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„IZ-Begegnung“ mit Gabriele Boos-Niazy vom Aktionsbündnis Muslimischer Frauen (AmF)

Ausgabe 264

Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. ist ein Verein, der sich um die Belange, insbesondere die Rechte, muslimischer Frauen im öffentlichen Leben kümmert. Die engagierten Mitarbeiterinnen legen besonderen Wert auf Antidiskriminierungsarbeit auf beruflicher Ebene, um Musliminnen vor Benachteiligung zu schützen. Wir sprachen mit Gabriele Boos-Niazy über den Verein und die aktuelle Lage muslimischer Frauen in Deutschland.
Islamische Zeitung: Liebe Frau Boos-Niazy, es mag für manche schon ein leidiges Thema sein: die Kopftuchdebatte. Wie sind Ihre aktuellen Erfahrungen zu dem Thema?
Gabriele Boos-Niazy: Das Thema beschäftigt uns in der Tat schon seit mindestens 20 Jahren. 1997 erschien in der August-Ausgabe des Focus unter der Rubrik „Grundrechte“ ein Artikel mit dem Titel: „Angst vor dem Kopftuch“. Inhaltlich ging es darum, dass die damalige baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan aufgrund des staatlichen Ausbildungsmonopols Fereshta Ludin erlaubte, das Referendariat mit Kopftuch abzuleisten. Eine Ablehnung hätte dazu geführt, dass Frau Ludin ihre Ausbildung nicht hätte abschließen können, wäre also einem Berufsverbot gleichgekommen; das war rechtlich nicht zulässig. Frau Schavan wurde damals mit der Aussage zitiert: „Für mich ist nicht die Kopfbedeckung entscheidend, sondern das, was unter dem Kopftuch gedacht wird (…).“
Das pauschale Verbot des Kopftuches sowie die Privilegierung anderer Religionen wurden im Bereich des Schuldienstes 2015 und im Bereich der Kindertagespflege 2016 vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Das elf beziehungsweise 12 Jahre währende Verbot hat die Lebensplanungen vieler gut ausgebildeter muslimischer Frauen stark beeinträchtigt, um nicht zu sagen, zerstört. Denn all diejenigen, die schon ein Lehramtsstudium oder eine Erzieherinnenausbildung begonnen oder gar abgeschlossen hatten, diejenigen, die im Referendariat waren oder schon mit Kopftuch unterrichteten (und das waren allein in NRW ca. 30 Frauen), standen von einem Tag auf den anderen vor dem beruflichen Nichts.
Die Parlamentsdebatten – die Protokolle lassen sich im Internet nachlesen – in den acht Bundesländern, in denen Kopftuchverbote eingeführt wurden, lassen klar erkennen, dass es sich um rein politisch motivierte Gesetze handelte, nicht etwa um eine Reaktion auf Verfehlungen kopftuchtragender Lehrerinnen. Im Gegenteil: Die Schulen, an denen solche Frauen beschäftigt waren, zeigten sich durchgehend sehr zufrieden, denn sie waren Brückenbauerinnen und hatten Zugang zu Eltern, die sonst nur schwer zu erreichen waren. Diese Funktion können sie jetzt wieder wahrnehmen und entgegen den Unkenrufen einzelner PolitikerInnen, Lehrervertretungen und Schulleitungen ist der Schulfrieden heute durch kopftuchtragende Lehrerinnen ebenso wenig gefährdet oder gestört, wie es in den vielen Jahren vor 2004 der Fall war.
Ob die Zahl der kopftuchbezogenen Diskriminierungsfälle in den vergangenen Monaten zugenommen hat, lässt sich schwer sagen, dazu ist der Zeitraum zu kurz. Das Grundsatzproblem ist, dass Diskriminierte – das gilt nicht nur für muslimische Frauen – häufig dazu tendieren, sich nicht (mehr) zu wehren, weil sie entweder eine Diskriminierung nicht erkennen oder die erlittene Diskriminierung für alltäglich und damit für „normal“ halten oder sie sich damit nicht beschäftigen wollen, sondern die Situation einfach nur vergessen wollen oder sie nicht wissen, wo sie sich beschweren sollen oder sie die Hoffnung aufgegeben haben, dass eine Beschwerde etwas nützt und eine gesellschaftliche Änderung bewirkt.
Diese Sprachlosigkeit versuchen wir zu durchbrechen, indem wir immer wieder appellieren, Diskriminierungen zu melden. Dazu reichen in der Regel ein paar Zeilen per Mail zum Beispiel an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder auch an uns. Viele Betroffene denken, dass man nur dann eine Diskriminierung melden sollte, wenn man auch rechtliche Konsequenzen ziehen will. Das ist zu kurz gedacht. Es geht darum, dass erfolgte Diskriminierungen registriert werden müssen, damit man eine belastbare Statistik erhält, auf deren Basis sich dann Gegenmaßnahmen entwickeln lassen.
Islamische Zeitung: Wie sieht die Art der Diskriminierung aus? Beklagen die Betroffenen systematische Benachteiligung oder ist es eher gesellschaftliches Ressentiment, das ihnen entgegengebracht wird?
Gabriele Boos-Niazy: Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit der Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt, insbesondere mit dem Zugang zum Staatsdienst und im Bereich der Schule.
Hinsichtlich des Arbeitsmarktes haben wir die Erfahrung gemacht, dass es personelle Faktoren und das Betriebsklima sind, die die Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung beeinflussen. Eine autoritäre Schulleitung, die diskriminierende Einstellungen hat, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Bewerberinnen und SchülerInnen Diskriminierung erfahren.
Nach wie vor spielt es eine große Rolle, wer innerhalb der Hierarchie wie denkt: Ist klar, dass das Kultusministerium die Beschlüsse des BVerfG zur Aufhebung des Kopftuchverbots umsetzen will, dann gibt es weniger Diskriminierung, als wenn ein Kultusministerium oder – wie im Falle der Ministerpräsidentin des Saarlandes – eine hierarchisch noch höher angesiedelte Stelle verlauten lässt, am Kopftuchverbot werde festgehalten.
Leider lassen sich dann die Verhältnisse nur durch mutige Frauen ändern, die sich bewerben und bei einer ungerechtfertigten Absage den Klageweg einschlagen. Wir halten die Wahrscheinlichkeit allerdings für sehr groß, dass es in einem solchen Fall erst gar nicht zu einer Klage käme, denn die Rechtslage ist klar und man kann davon ausgehen, dass diejenigen, die sich mit verfassungswidrigen Verboten brüsten, kein Interesse daran haben, öffentlich von einem Gericht eines besseren belehrt zu werden.
Islamische Zeitung: Sie sind ein Verein von Frauen für Frauen. Empfinden Sie es als Bereicherung, „unter sich“ zu sein?
Gabriele Boos-Niazy: Ehrlich gesagt, verblüfft die Frage mich etwas. Das war weder die Motivation zur Gründung eines reinen Frauenvereins, noch haben wir je in dieser Art und Weise – uns männlichen Einflüssen zu entziehen – darüber nachgedacht. Die Gründung des AmF war ein längerer Prozess, in dem klar wurde, dass wir eine Lobbyorganisation sein wollten, die gesellschaftspolitisch agiert, und zwar ausschließlich auf wissenschaftlicher und vor allem auf rechtlicher Basis. Wir haben gesehen, dass es eine solche Vertretung bisher nicht gibt.
Religiöse Argumentationen gehören bewusst nicht zu unserem Repertoire. Zum einen deshalb, weil unsere Mitglieder in ihrer religiösen Praxis sehr divers sind und zum anderen, weil nach unserem Dafürhalten theologische Diskussionen in den Kompetenzbereich von Fachleuten fallen, die dafür ausgebildet sind, das heißt, die Mitarbeiter der islamischen theologischen Fakultäten und der Theologen der Verbände und Organisationen, die zur Bedarfsdeckung der religiösen Belange der Muslime Moscheen betreiben.
Um sicherzustellen, dass wir als eine weitere und unabhängige Stimme im Spektrum der Muslime wahrgenommen werden und nicht als Anhängsel eines anderen Vereines oder eines Verbandes, haben wir Leitlinien verabschiedet, die unsere Unabhängigkeit garantieren und auch nach außen hin signalisieren. So kann das AmF nicht durch eine Frau repräsentiert werden, die in einer anderen, namhaften muslimischen Organisation eine repräsentative Position innehat.
Das Ganze lässt sich aber auch positiv formulieren: Wenn muslimische Frauen die Erfahrung machen, dass sie nach ihrer Qualifikation und nicht nach ihrem Aussehen beurteilt werden, dann hat auch das Einfluss auf ihr Umfeld und erhöht entsprechend über das Individuum hinaus die Loyalität einer ganzen Gruppe zu einer Gesellschaft, in der Religionszugehörigkeit kein Diskriminierungskriterium ist.
Islamische Zeitung: Im Zuge der Dokumentation “Un-Mosqued“ kommen Musliminnen im Westen vermehrt zu dem Schluss, sogenannte Frauenmoscheen ins Leben zu rufen. Gibt es eine inhaltliche Diskussion unter Frauen zum Thema?
Gabriele Boos-Niazy: Da sich das Aktionsbündnis nicht mit theologischen Themen befasst, haben wir inhaltlich darüber nicht diskutiert. Das wäre eine Frage, die die MitarbeiterInnen der theologischen Fakultäten oder auch die Frauenbeauftragten der Verbände sicherlich besser beantworten können als wir.
Islamische Zeitung: Wie würden Sie die Zusammenarbeit der Frauen beschreiben, die in Ihrer Organisation tätig sind?
Gabriele Boos-Niazy: Die Zusammenarbeit seit unserer Gründung Ende 2009 erfolgt zum Teil über persönliche Kontakte, aber auch über einen internen Verteiler, über den alle 452 Mitglieder Informationen austauschen können. Der Umgangston ist freundlich, sachlich und zielgerichtet. Das mag auch daran liegen, dass wir uns vor allem gegen Diskriminierung und für die Verbesserung der Chancengleichheit muslimischer Frauen einsetzen; da ziehen wir alle an einem Strang.
Da unsere Stellungnahmen und Artikel vorwiegend auf rein rechtlichen Argumentationen beruhen und darüber hinaus allenfalls politische oder geisteswissenschaftliche Argumente mit einbeziehen, gibt es wenig Raum für individuelle Befindlichkeiten. Es geht dabei ja nicht um religiöse Wahrheiten, über die man unterschiedliche Quellen heranziehen und unterschiedlicher Ansicht sein kann. Diskussionen gibt es allenfalls einmal ­darüber, ob man wirklich jede Anfrage beantworten sollte und welches Thema es wirklich wert ist, sich dazu öffentlich zu äußern.
Islamische Zeitung: Welche Projekte streben Sie in Zukunft an?
Gabriele Boos-Niazy: Bisher wird die Arbeit des Aktionsbündnisses ausschließlich ehrenamtlich geleistet. Alles, was an Kosten anfällt, wird über Spenden finanziert. Wir erheben keine Mitgliedsbeiträge, weil wir wissen, dass das für viele eine Hürde zum Beitritt sein könnte und wir möchten möglichst vielen Frauen eine Stimme verleihen. Das soll sich auch in den Mitgliederzahlen zeigen. Zudem würde die damit zusammenhängende Verwaltung auch Zeit binden, die wir für wichtigere Dinge benötigen.
Auf der einen Seite freut es uns natürlich, dass wir mittlerweile als Expertinnen sehr gefragt sind, auf der anderen Seite stoßen wir dadurch aber auch an unsere Grenzen. Daher müssen wir in näherer Zukunft die Expertise unserer Mitglieder effektiver nutzen und dazu erarbeiten wir gerade eine Strategie.
Zudem wollen wir bessere und kontinuierliche Kontakte zu anderen Frauenorganisationen aufbauen, die thematisch mit uns an einem Strang ziehen und die muslimische Frau nicht als Objekt ansehen, das befreit werden muss, sondern mit gelebter religiöser Vielfalt kein Problem haben. Zudem haben wir bisher nicht wirklich viel Wert auf eine ausgefeilte Internetpräsenz gelegt. Es würde uns freuen, wenn weitere engagierte und kompetente muslimische Frauen uns darin durch eine Mitgliedschaft und die Mitarbeit unterstützen.
Islamische Zeitung: Liebe Frau Boos-Niazy, Danke für das Gespräch.
Kontakt: www.muslimische-frauen.de.