Eine Verteidigung der Mogul

Ausgabe 296

Foto: Royal Victoria and Albert Museum

Der Riesenstaat Indien befindet sich derzeit in einer schwierigen Phase. Nach der Blockade Kaschmirs und der Abschaffung seiner begrenzten Autonomierechte provozierte die jüngste Gesetzesreform der hindunationalistischen BJP unter Premier Modi landesweite Proteste. Opposition und Muslime sehen darin einen weiteren Schritt zur Entrechtung muslimischer Bürger. In diesen Zusammenhang ­gehören seit Jahren auch die Versuche hinduistischer Propagandisten, die ­eigene Geschichte einer radikalen ­Revision zu unterziehen. Das Ziel: das muslimische Erbe Indiens entweder zu leugnen oder zu leugnen.

(iz). Indien erlangte 1947 nach langem Freiheitskampf gegen den britischen Imperialismus seine Unabhängigkeit. Deswegen und wegen eines Mangels an historischem Wissen nehmen wir jede Eroberung als Koloni­sierung wahr. Sie wird von Professor Harbans Mukhia wie folgt beschrieben: „Regierung eines Landes und seiner Menschen, jetzt im Namen und in erster Linie zum wirtschaftlichen Nutzen einer Gemeinschaft von Menschen, die in ­einem fernen Land leben.“

Die Mogul kamen nach Indien als ­Eroberer, aber wurden zu Indern und blieben keine Kolonisatoren. Sie verschmolzen ihre individuelle sowie wie ihre soziale Identität mit Indien und wurden, so Mukhia, zu einem seiner ­untrennbaren Bestandteile. Eine Folge war der Aufstieg einer bleibenden Kultur und Geschichte. Prof. Mukhia geht weiter und ist der Ansicht, dass die Frage der Mogul als Fremde bis vor Kurzem kein Thema war. So sehr hatten sie sich in das Land integriert, dass sie sich zu eigen gemacht hat.

Dafür gab es auch keinen Anlass, denn nach Akbar wurden alle in Indien geboren. Viele ihrer Mütter kamen von den Radschputen und ihr „Indisch-Sein“ war gelungen. Babur marschierte in Indien auf Bitten von Daulat Khan Lodi ein. Er gewann das Königreich von Delhi, indem er 1526 die Armee von Ibrahim Khan Lodi bei Panipat besiegte. Damit wurde der Grundstein für das Mogulreich gelegt. Die meisten Mogul schlossen Heiratsbündnisse mit indischen Fürsten, insbesondere den Radschputen. Sie gaben ihnen hohe Ämter und üblicherweise hatte der Kakhhawa-Radschput von Amber den höchsten militä­rischen Posten in der Armee inne.

Es war dieses Gefühl der Verbundenheit mit den Mogul, das die Sepoys antrieb, die 1857 im ersten Krieg für Indiens Unabhängigkeit kämpften. Sie wandten sich dem alternden und machtlosen Kaiser, Bahadur Schah, zu und krönten ihn als Herrscher von Hindustan und kämpften unter seinem Banner.

Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert war das Mogulreich das reichste und mächtigste Gebiet der Welt. Der französische Reisende François Bernier, der im 17. Jahrhundert nach Indien kam, schrieb: „Gold und Silber kommen aus jedem Viertel der Welt nach Hindustan.“ Das ist kaum überraschend, da die Mogul durch den Ausbau von Straßen, Binnenschifffahrt, Meeresrouten, Häfen und die Abschaffung vieler Zölle und Steuern die Wirtschaft ihres Herschaftsgebietes ankurbelten. Es gab einen blühenden Handel mit Fertigwaren wie Baumwollstoffen, Gewürzen, Farbstoffen, Woll- und Seidenkleidung, Salz etc. Die indischen Händler agierten im eigenen Auftrag und nahmen nur Edelmetall als Zahlungsmittel an. Sir Thomas Roe kommentierte das mit den Worten: „Europa blutet, um Asien zu bereichern.“

Dieser Handel befand sich traditionell in den Händen der hinduistischen Händlerklasse, die ihn kontrollierte. Bernier schrieb, dass den Hindus „beinahe ausschließlich der Handel und Wohlstand im Land“ gehörte. Die Muslime besetzten im wesentlichen hohe Verwaltungs- und Armeeposten. Ein von Akbar eingerichtetes effizientes Verwaltungssystem ermöglichte ein gesundes Klima für Handel und Gewerbe.

Dies war es, was die East India Company veranlasste, Handelszugeständnisse vom Mogulreich zu erbitten, es schließlich zu kontrollieren und dann zu ­zerstören. Das Ereignis des berühmten Abflusses von Wohlstand aus Indien begann mit der Ostindienkompanie und nicht mit dem Sultanat von Delhi oder den Mogul. Edmund Burke war der erste, der das in den 1780ern beschrieb. Indien sei, so der bekannte konservative Abgeordnete und Autor sei „radikal und unrettbar ruiniert“ worden durch den „anhaltenden Abfluss“ von Wohlstand durch die Kompanie.

Ökonomische Forschungen machen deutlich, dass die Mogul Indien kein Geld wegnahmen. Wir sollten auch darü­ber reden, in was sie investierten. Sie schufen mit ihren großen Bauten eine Infrastruktur, die auch heute noch unzählige Rupien in die lokale Wirtschaft durch den Tourismus bringen.

Zahlen von Kultusministerien der indischen Bundesstaaten machen deutlich, dass die bekannten Monumente hunderte Millionen Rupien durch den Verkauf von Eintrittskarten einbringen. Dazu gehören das Taj Mahal (210 Mio. Rupien im letzten Jahr), der Qutub-Komplex (100 Mio.) sowie die rote Forte und das Humayuns Grab (beide jeweils 60 Mio.). Der neue Baustil, die indo-­islamische Architektur, übernahm das beste aus beiden Welten.

Sie investierten in das lokale Kunsthandwerk und förderten alte und schufen neue Fähigkeiten in Indien. Swapna Liddle, Direktor vom Indian National Trust for Art and Cultural Heritage ­(INTACH) in Delhi, sagte: „Meiner Meinung nach bestand der größte Beitrag der Mogul für Indien in der Förde­rung der Künste. Ob es sich um Bauten, Kunsthandwerk wie Weben und Metallarbeiten oder bildende Künste wie ­Malen handelte – sie setzten Maßstäbe in Bezug auf Geschmack und Perfektion, die für andere zum Vorbild wurden, und brachten Indien die weltweite Anerkennung für hochwertige handgefertigte Waren, die es immer noch genießt.“

Malereien, Juwelen, Künste und Kunsthandwerke der Mogul sind entscheidende Ausstellungsstücke von westlichen Museen und Galerien. Die meisten ­davon wurden 1857 oder danach von den Briten geplündert. Einige sind auch in Indiens Museen zu sehen.

Die Künste und Literatur blühten. Während neue Werke in der lokalen und der Hofsprache hervorgebracht wurden, gab es auch Übersetzungen aus dem Sanskrit und Persien. Akbar ermutigte die Übertragung des „Ramayana“ und der „Mahabharata“, um Unwissenheit aus dem Weg zu räumen, die zu kommunalem Hass führen könnte.

Dara Shukohs persische Übersetzung der „Upanischaden“, die als „Sirr-e-Akbar“ veröffentlicht wurde, brachte Bernier nach Frankreich. Dort erreichte sie Anquetil Deperron, der sie ins Fran­zösische und ins Lateinische übersetzte. Die lateinische Version wurde vom deutschen Philosophen Schopenhauer gelesen, der durch sie beeinflusst wurde. Er nannte sie „den Trost seines Lebens“. Dieser Wissenstransfer erwecke unter europäischen Orientalisten ein Interesse an post-vedischer Sanskrit-Literatur.

Nicht nur die Mogul-Sultane waren große Bauherren, sondern auch hinduistische Mansabdars und Händler errichteten in vielen Städten Tempel und Dharmshalas; insbesondere in Banaras. Madhuri Desai schreibt in einem enorm gut recherchierten Buch über Bauten in dieser Stadt: „Die Ghats des Flussufers ähneln in erstaunlicher Weise den Festungspalästen der Mogul, die entlang des Jamuma in Agra und Delhi liegen.“

Es ist gefährlich, Geschichte zu ­verallgemeinern – besonders auf lokaler Linien. Während wirtschaftliche Entbehrungen für den einfachen Menschen existierten, wie sie es in jeder Gesellschaft taten und tun, meint Frances W. Pritchett, emeritierter Professor an der ­Columbia University: „Der Eindruck, den man durch die Betrachtung der ­sozialen Bedingungen in der Mogulzeit gewinnt, ist der einer Gesellschaft, die sich auf die Integration seiner vielfältigen politischen Regionen, sozialen Systeme und kulturellen Erbe bewegte.

Die Größe der Mogul bestand zu­mindest teilweise darin, dass der Einfluss ihres Hofes und ihrer Regierung die ­Gesellschaft durchdrang und ihr ein neues Maß an Harmonie verlieh.“

Daher ist es die Behauptung, die ­Mogul hätten Indien geplündert, eine Verfälschung von Tatsachen.

Es ist am besten, Geschichte in ihren Büchern zu lesen, in denen man Fakten erhält, die WhatsApp nicht weiterleitet und in denen Menschen häufig falsche Daten und Informationen gemäß ihrer eigenen Neigungen austauschen.