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Eine „wirklich große Erzählerin“

Foto: Heinrich-Böll-Stiftung | Lizenz: CC BY-SA 2.0

Die Frankfurter Buchmesse war zuletzt politischer als in den Vorjahren. Das zeigte sich auch am Sonntag, als der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Carolin Emcke verliehen wurde.
Frankfurt (KNA). Immer wieder Szenenapplaus, am Ende stehende Ovationen: Die Friedenspreisrede von Carolin Emcke stieß auf lebhafte Zustimmung in der Frankfurter Paulskirche. Mit der ihr eigenen Mischung aus Persönlichem und Politischem, aus Reportage, Reflexion und Literatur zeigte sich die Geehrte einmal mehr als „wirklich große Erzählerin“ – so hatte die Laudatorin Seyla Benhabib sie zuvor gewürdigt.
Wie zuletzt auf der Frankfurter Buchmesse und in zahllosen Interviews, wie seit Jahren in ihren Büchern und Artikeln betonte Emcke den hohen Wert einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. „Pseudoreligiöse und nationalistische Dogmatiker“ wollten alle einschüchtern, „die sich einsetzen für die Freiheit des einzigartigen, abweichenden Individuellen“, sagte die 49-Jährige. Davon seien alle betroffen – also sollten sich auch alle angesprochen fühlen.
Die Verleihung des mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreises ist traditionell der Höhepunkt der Buchmesse. Den Preis vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 1950 als einen Beitrag zur Völkerverständigung. In einem Grußwort erinnerte der Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller, an die subversive Kraft von Sprache und Literatur – und daran, dass Künstler derzeit etwa in der Türkei oder in Russland „als erste weggesperrt“ würden, „nicht aus Angst vor ihren Waffen, sondern vor der Macht ihrer Worte“.
Preisträgerin Emcke reiste für den „Spiegel“ und die „Zeit“ an Orte, an denen Leid und Not herrschen, die viele unbeschreiblich nennen würden: nach Afghanistan oder in den Kosovo, nach Kolumbien oder in den Nahen Osten. Aber das vermeintlich Unbeschreibliche ist nach Überzeugung Emckes eben doch sagbar. Jeder Einzelne könne „sprechend und handelnd“ eingreifen in „diese sich zunehmend verrohende Welt“, betonte sie nun in Anlehnung an die von ihr verehrte Philosophin Hannah Arendt. Das sollten „alte Menschen und junge“ tun, „die mit Arbeit und die ohne, die mit mehr und die mit weniger Bildung, Dragqueens und Pastoren, Unternehmerinnen und Offiziere“.
Emcke sprach in Frankfurt auch persönliche Themen an, ihre Homosexualität und religiöse Fragen. Es sei eine „merkwürdige Erfahrung“, dass etwas so Persönliches wie die Liebe „für andere so wichtig sein soll, dass sie für sich beanspruchen, in unsere Leben einzugreifen und uns Rechte oder Würde absprechen wollen“, sagte sie – und stellte die sehr konkrete und zugleich sehr allgemeingültige Frage in den Raum: „Wir dürfen Reden halten in der Paulskirche, aber heiraten oder Kinder adoptieren dürfen wir nicht?“
Ähnlich bigott erscheine ihr die „Beschäftigung der Islamfeinde mit dem Kopftuch“, fügte Emcke hinzu – „als bedeutete ihnen das Kopftuch mehr als denen, die es tatsächlich selbstbestimmt und selbstverständlich tragen“. Applaus in der Kirche.
Auch grundsätzliche Fragen zu Religion, die Emcke aufwarf, bleiben über den Anlass hinaus bedenkenswert: „Ist Religiosität etwas, das mir gehört? Oder ist Glaube etwas, das sich im und durch das Hadern bestärkt?“ Und wieder verknüpft mit dem eigenen Lebensweg: „Hatten mich die Passionen und Kantaten von Bach nicht schon durchdrungen und von innen heraus geformt, bevor ich von einem Glaubensbekenntnis auch nur wusste?“
Zudem erinnerte die Publizistin an die Friedenspreisrede 1998, als die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen des Holocaust „zu einer bloßen ‘Moralkeule’ verstümmelt“ worden sei. Der damalige Preisträger Martin Walser hatte davor gewarnt, dass Auschwitz zur einer „Moralkeule“ verkomme und die tatsächliche Bedeutung verloren gehe. Diese Aussage wurde heftig kritisiert, unter anderen von Ignatz Bubis, dem damaligen Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland. Sie könne „hier nicht stehen, ohne an diesen nicht nur für Ignatz Bubis furchtbaren Moment zu erinnern“, sagte Emcke.
Es sei schwierig und mühsam, sich für Freiheit und Demokratie einzusetzen, räumte die Friedenspreisträgerin ein, und es werde immer wieder Konflikte um verschiedene Praktiken und Überzeugungen geben. „Aber warum sollte es auch einfach zugehen?“