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„Einen Teil noch nicht gelernt“

Ausgabe 253

Screenshot: IIT Osnabrück | Youtube

(KNA). Für Europa und gegen den Extremismus – diese Schwerpunkte haben das Werk von Wolfgang Benz geprägt. Gerade wurde der international renommierte Historiker 75 Jahre alt. Im Interview mit der ­Katholischen Nachrichten-Agentur spricht er über aktuelle Fremdenfeindlichkeit sowie historische Parallelen.
Frage: Herr Benz, wie extremistisch ist Deutschland heute?
Wolfgang Benz: Deutschland ist nicht extremistisch. Man darf es sich nicht leicht machen: Die übergroße Mehrheit tut so, als ob das Böse nur in der Extremistenecke vorkommt. Doch es gäbe kaum Extremismus, wenn die Mitte diesem Gedankengut nicht zustimmen würde.
KNA: Was meinen Sie damit?
Wolfgang Benz: Demagogen brauchen ein Publikum. Wenn sich in Dresden jeden Montag 5.000 Menschen versammeln, sind das keine Extremisten. Aber es sind Menschen, die einschlägiges Gedankengut aus Ängsten heraus zustimmend zur Kenntnis nehmen. Das ist das eigentliche Problem: dass die Mitte nach rechts rückt.
Frage: Warum bietet gerade Fremdenfeindlichkeit einen Nährboden?
Wolfgang Benz: Die Mehrheit braucht immer Feinde, nämlich Minderheiten, und die sind beliebig austauschbar. Ende des 19. Jahrhunderts wurde Antisemitismus gesellschaftsfähig und erst nach der Katastrophe des Holocaust geächtet. Heute darf man Muslime mit ähnlichen Methoden diskriminieren, ausgrenzen, beleidigen, die gegenüber Juden als hochanstößig empfunden werden. Da spreche ich als resignierter Historiker: Wir haben einen Teil der Lektion noch nicht gelernt.
Frage: Als Sie erstmals Parallelen in den Mechanismen von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit beschrieben haben, gab es massive Kritik. Was entgegnen Sie?
Wolfgang Benz: Ich habe beides nie gleichgesetzt. Doch man darf nicht ein Phänomen betrachten und die Augen vor einem ähnlichen Phänomen verschließen. Ich war Gegenstand von Schmähkampagnen, als ich dies erstmals feststellte – inzwischen bekomme ich Beifall für dieselbe Erkenntnis. Wichtig ist: Man vergleicht nicht die Opfer, wenn man bestimmte Reaktionen auf Minderheiten beschreibt und versucht, daraus generalisierende Schlüsse zu ziehen.
KNA: Wie funktioniert denn die derzeitige Islamfeindlichkeit?
Wolfgang Benz: Jeder, der Ali heißt, gilt als frommer, praktizierender, wenn nicht gar fanatischer Muslim. Dass diese Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis kommen, aber zu einem erheblichen Teil ebenso laizistisch sind wie unsere Katholiken und Protestanten – das wird geflissentlich übersehen. Es passt nicht ins Feindbild der Gruppierungen, die derzeit am meisten Aufsehen erregen: Pegida ist die Gassen-Version, die AfD ist die Salon-Ausgabe von Unzufriedenheit und Unverständnis über unser demokratisches System, von Unbehagen gegen als bedrohlich empfundene Zustände. Ihr gemeinsamer Nenner ist das Feindbild der Muslime. Die Islamfeindlichkeit fungiert als Aushängeschild, als Bindeglied für Ängste, reaktionäre Wünsche, Europafeindlichkeit und abgestandenen Nationalismus.