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Empowerment oder eine Krücke?

Ausgabe 269

Foto: Stewart Murchison

(iz). Am 29. September veröffentlichte die Pressestelle des Bundestags die Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von grünen Abgeordneten und ihrer Fraktion. Volker Beck, Dr. Tobias Lindner und andere wollten von der Regierung Auskünfte über den „Einfluss ausländischer Staaten, Parteien und Stiftungen auf Islamische Gemeinschaften in Deutschland und offene Fragen aus der Deutschen Islamkonferenz (DIK)“. Das Dokument stellt in sich eine interessante Lektüre dar, weil es etwas über die Einstellung der Fragesteller gegenüber den Mainstreammuslimen des Landes verrät.
In den Anhängen zu ihrer Antwort veröffentlichte die Bundesregierung eine Aufstellung von Fördermitteln des Bundes aus den Jahren 2014 bis 2017 sowie vorgesehene Zahlungen für 2018. Neben migrantisch orientierten Empfängern wie der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD) wurden hier muslimische Verbände, Projekte und NGOs aufgezählt. Inklusive kleinerer, lokaler oder themenbezogener Empfänger vergab die Bundesregierung in diesen vier Jahren etwas mehr als 14 Millionen Euro an diese Empfänger. Ungeachtet einer kritischen Bewertung des Themas widerspricht diese Vergabepraxis der grob vereinfachenden Vorstellung einer fundamentalen Gegnerschaft zwischen der bundesdeutschen Politik und muslimischen Organisationen im Lande.
Die Bundesregierung vergab Projektförderungen, aber auch Hilfe beim Strukturaufbau für kleinere unabhängige Projekte wie das Bildungszentrum MINA, den Frankfurter Frauen- und Mädchenverein RAHMA, den Bund Muslimischer Pfadfinder in Deutschland sowie einige lokale, verbandsungebundene Moscheen.
Zu den institutionellen beziehungsweise einflussreicheren Empfängern gehörten (in absteigender Ordnung) die Bundeszentrale der DITIB (inkl. Unterstrukturen und Mitgliedsgemeinden), das Kölner Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V. (BFmF), der Zentralrat der Muslime in Deutschland, Organisationen und Einrichtungen aus dem Umfeld der IGMG, das Standup-Projekt i,Slam, der Rat Muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) sowie der Berliner Verein Inssan e.V. Hinzu kommen Zahlungen im Rahmen der Nothilfe für und Betreuung von Flüchtlingen, die 2016 an folgende Teilnehmer der Islamkonferenz geflossen sind: DITIB, die Ahmadiya Muslim Jamaat (AMJ), der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ), der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZRMD) sowie die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD).
Für das kommende Jahr wurden bereits Mittel zugesagt beziehungsweise in Einsicht gestellt. Nach Angaben des Dokuments beläuft sich die Summe für 2018 auf etwas mehr als eine Million Euro. Die geringere Menge im Vergleich zu den Vorjahren ist ein Kollateralschaden der deutsch-türkischen Streitigkeiten. Obwohl die Bundesregierung immer Projekte der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. ­(DITIB) fördert, seien die Zusagen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 80 Prozent gekürzt worden. 2018 soll die DITIB insgesamt „nur“ noch 297.500 Euro erhalten. Das wäre ein Fünftel der Summe, die 2017 ausgezahlt wurde.
Der scheidende religionspolitische Sprecher der Grünen-Bundestags­fraktion, Volker Beck, verlangte in diesem Zusammenhang, die Kooperation mit muslimischen Verbänden wie der ­DITIB, dem Zentralrat der Muslime oder Milli Görüs, die allerdings von 2014 bis 2018 keine Empfänger von direkten Projektförderungen waren, generell auf den Prüfstand zu stellen. Diese würden „aus dem Ausland gesteuert“, sagte er dem „Kölner Stadtanzeiger“. Der Grünen-Politiker monierte auch eine fehlende Strategie für den Umgang mit diesen Verbänden. Er verlangte einen Neuanfang, auch mit Blick auf die Deutsche Islamkonferenz (DIK). Für eine umfassende Information von Politik und Öffentlichkeit über die verschiedenen islamischen Akteure in Deutschland solle ein eigenes wissenschaftliches Institut gegründet werden.
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) äußerte sich bisher als einzige muslimische Einrichtung zu den Ergebnissen der Antwort der Bundesregierung vom 29. September sowie zu folgenden Pressemitteilungen. Im Gegensatz zu den Aussagen Becks betonte dessen Presseerklärung vom 5. Oktober, dass er „weder finanziell noch ideell aus dem Ausland gesteuert und unterstützt“ werde. Man habe weder in der Vergangenheit noch gegenwärtige staatliche Förderungen für religiöse Dienste erhalten. „Einmal mehr wird deutlich, dass Teile der Politik und Gesellschaft keine Vorstellung haben, wie sie das vom Grundgesetz verbriefte Recht auf Gleichberechtigung und Gleichstellung der Muslime religionsverfassungsrechtlich umsetzen sollten“, so die ZMD-Erklärung.
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, die generell im Aufbau befindliche Projekte betrafen, gingen die Bundesmittel nicht in den allgemeinen Strukturaufbau der Empfänger. Vergeben wurden sie an thematisch gebundene Aktivitäten beziehungsweise klar umrissene Projekte. Sicherlich auch dem Anwachsen des Flüchtlingszustroms ist es geschuldet, dass Aktivitäten im Rahmen der Flüchtlingsarbeit einen erheblichen Anteil von den an muslimische Einrichtungen gezahlten Bundesmitteln eingenommen haben. Danach kommen, soweit es die Höhe der Mittel betrifft, ­Aktivitäten in den Bereichen Integration, Jugend und Familienförderung. Von ­Aktivitäten im Bereich Flüchtlinge abgesehen nahmen Mittel des Projektes „Demokratie leben!“ einen nennenswerten Anteil ein. „Das Bundesprogramm ‘Demokratie leben!’ unterstützt Initiativen, Vereine sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland, die sich für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander einsetzen“, beschreibt des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Initiative.
Im muslimischen Kontext geht es bei „Demokratie leben!“ insbesondere um Projekte im Bereich der Gewalt- und Extremismusprävention. Diese sind in den letzten Jahren erheblich angestiegen. „Die Landschaft ist kaum mehr zu überschauen“, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ eine Expertin, die im Auftrag des Innenministeriums forscht. Laut Angaben der Zeitung wolle der Bund ab dem 1. Januar jedes Jahr 100 Millionen Euro für Aktivitäten auf diesem Gebiet bereitstellen.
Keine Frage, die Vergabe von Fördermitteln gehört von der kommunalen bis zur europäischen Ebene heute zu einem wichtigen Steuermittel von förderungswürdigen Aktivitäten und Projekten. Und wie der Wegweiser „Projekte in der Flüchtlingsarbeit“ für islamische Gemeinden und Organisationen des Goethe Instituts belegt, gibt es ein Interesse, dass auch Muslime auf die vorhandenen Töpfe zurückgreifen.
Bisher hat es innerhalb der Verbandsstrukturen sowie in der muslimischen Zivilgesellschaft noch keine offene Diskussion über die Vor- und Nachteile und eventuelle langfristige Veränderungen gegeben. Ist es so, wie eine Medienaktivistin gegenüber dem Autor am Telefon meinte, dass man sich an den Staat wenden müsse, „weil dort das Geld ist“? Oder führen die bisherigen Vergabepraktiken in der Förderung muslimischer Jugendlicher dazu, wie eine langjährige Sozialpädagogin meinte, dass sowieso nur hedonistische Eliten erreicht würden?
Bei den Empfängern kann der Zufluss von Fördermitteln auch zu Schwierigkeiten führen, wenn die Trennung zwischen Projektfinanzierung und Unterhalt der Infrastruktur nicht klar geregelt ist. Ansonsten würden Vereine und Projekte, so ein Fachmann, dazu neigen, Fördermittel mit für den eigenen Betrieb aufwänden. Im Falle ihres Wegfallens stünden sie dann vor Finanzlücken.