Warum ist eine muslimisch geprägte Gegenöffentlichkeit wichtig?

Ausgabe 241

(pakhtunkhwa911.wordpress.com). Am 9. Mai durfte ich gemeinsam mit Hakan Turan und Esim Karakuyu an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Muslime in der Blogger-Szene“ teilnehmen. Die Diskussion fand im Rahmen der Tagung „Muslime im Web 2.0“ statt, veranstaltet von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Kooperation mit den Jugendorganisationen von DITIB, IGMG und MJD. Dabei wurde ein weiteres Mal deutlich, wie heterogen mittlerweile die muslimisch-deutschsprachige Bloggerszene geworden ist.

Das ist gut und wichtig, denn gerade heutzutage – in Zeiten der stets steigenden Islamfeindlichkeit – werden in Deutschland und Europa muslimisch geprägte Medien, die sich als Gegenöffentlichkeit verstehen und dem Mainstream-Diskurs etwas entgegensetzen wollen, dringend benötigt. Das betrifft nicht nur Blogs, von denen es mittlerweile zahlreiche gibt, sondern auch andere Medien, wie etwa Zeitungen. Diesbezüglich besteht in Deutschland immer noch ein Problem, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Islamische Zeitung das einzige Blatt, welches sich als ein solches Medium behaupten kann – und trotzdem oft vergessen wird.

Warum derartige Medien notwendig sind und weshalb sie immer wieder schon fast dazu gedrängt werden, die Rolle der Gegenöffentlichkeit einzunehmen, wird tagtäglich deutlich. Die mediale Deutungshoheit liegt nämlich nicht nur in Deutschland in der Hand von Akteuren, die dem Islam sowie den Muslimen gegenüber – gelinde gesagt – nicht wohlgesinnt sind. Egal ob die BILD, „die Zeit“ oder „der Spiegel“ – Islam-Bashing und das permanente Denunzieren von 1,5 Milliarden Menschen tut den Verkaufszahlen immer gut.

Währenddessen wird über Islamophobie, die es laut der Bundesregierung gar nicht gibt, kaum berichtet. Islamfeindliche Vorfälle machen im deutschsprachigen Raum vor allem in Blogs die Runde. Dies betrifft nicht nur persönliche Erlebnisse, sondern auch Bluttaten wie das Massaker von Chapel Hill, welches sich im Februar dieses Jahres ereignete. Dabei wurden im kleinen Städtchen im Bundesstaat North Carolina drei US-amerikanische Studenten mit muslimischem Hintergrund von einem Mann, der sich selbst als extremistischer Atheist betrachtet, brutal ermordet.

Das Verbrechen fand anfangs kaum Beachtung, nicht nur den US-amerikanischen Medien, sondern auch in den deutschen. Vor allem wurde der ideologische Hintergrund des Mörders lange Zeit vollständig ausgeblendet.

Als Reaktion darauf wurden soziale Medien und Blogs mit Nachrichten überflutet. Der Diskurs wurde den alteingesessenen Medien, die bestimmen, über wen man trauern darf und über wen nicht und die diktieren, wer böse ist und wer gut, entrissen und in die soziale Medien verlagert. Dies führte letztendlich dazu, dass auch der Mainstream reagierte und ausführlicher über das Massaker berichtete.

Im Laufe unserer Diskussion kamen auch die islamfeindlichen Internet-Trolle, eine Plage, die uns drei und wahrscheinlich alle anderen Blogger und Journalisten mit muslimischem Hintergrund gleichermaßen heimsucht, zur Sprache. Dabei wurde jedoch klar, wie Hakan Turan deutlich hervorhob, dass sich diese Trolle meist virtuell aufblasen und größer machen, als sie es tatsächlich sind. Ich zog es vor, auf meinen Lieblingstroll aufmerksam zu machen, der vor geraumer Zeit auf seinem Hassblog mehr oder weniger zum Mord an mich aufgerufen hat. Verlinken werde ich ­diesen Internethelden sicherlich nicht. Eine einfache Google-Suche mit meinem Namen kann Neugierigen jedoch weiterhelfen.

Mit derartig gehässigen Reaktionen muss man umgehen können. Wer sich die Kommentare von solchen Verrückten allzu sehr zu Herzen nimmt, ist im virtuellen Rampenlicht fehl am Platz. Stattdessen sollte man es positiv sehen, frei nach dem Motto „any publicity is good publicity“.

Dass die Trolle so laut geworden sind, zeigt nämlich nur, dass das Konzept der Gegenöffentlichkeit wirkt und eine muslimische Sichtweise immer mehr in die Berichterstattung eindringt und im Alltag wahrgenommen wird. Wäre dem nicht so, hätte eine derartige Veranstaltung wohl kaum stattgefunden, weshalb es mich umso mehr gefreut hat, eingeladen worden zu sein.