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„Teil unserer spirituellen DNS“

Ausgabe 211

(iz). Inmitten einer Welt, in der jede Bösartigkeit oder Ungeschicklichkeit (eines imaginierten „Westens“) zu gewalttätigen Protesten in Teilen der muslimischen Welt führt, scheint ein Ge­spräch über Humor bei Muslimen ab­surd zu sein. Zu oft werden wir von Bil­dern überflutet, auf denen aggressive Puritaner dies Kopie des Qur’ans, das so genannte Mushaf, in die Höhe halten (was in Sachen Tradition Hinsicht übrigens eine modernistische Neuerung, Bi’da, ist), Fahnen verbrennen oder einfach nur böse in die Kamera blicken.
Unwillkürlich fühlen wir uns von Menschen angezogen, die Sinn für Humor haben. Hu­mor – der etwas anderes als Witz ist, weil er sich aus einer anderen Quelle speist – hat die Macht, die Herzen zu wärmen und unseren Geist wie kaum eine ­andere menschliche Eigenschaft zu erheben. Im Gegensatz zum Bild, das so manche Leute – gerne in das Gewand des „guten Muslims“ gekleidet – vermitteln, gehörten Scherz, Humor und Freude zur Le­benswirklichkeit der Gemeinschaft von Medina dazu. Wer kulturelle Zentren der muslimischen Welt wie Marokko bereist, wird – auch heute – feststellen, dass die Menschen normalerweise freund­lich sind. Ein von Lachen erfüllter Haushalt ist dort nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Mir gab ein alter Gelehrter den Rat: „Wenn Du wissen willst, ob die Familie gesund ist, musst Du nur hinhören, ob in der Küche und in den Räumlichkeiten der Familie gelacht wird.“
Da aber viele Muslime heute oft selbst in den banalsten Fragen des Alltags verunsichert sind, sei ihnen hiermit versichert, dass Lachen und Witze – sofern sie nicht die guten Sitten verletzen oder Dinge des Islams in Misskredit bringen – „erlaubt“ sind. Abu Huraira überliefer­te, dass der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Oh, Gesandter Allahs, du scherzt mit uns?“ In einem anderen Bericht wird beschrieben, wie der Gesandte Allahs mit Kindern spielte und scherzte. Sufjan ibn Ujaina wurde gefragt, ob Witze und Scherze er­laubt seien. Er antwortete: „Sie sind eine Sunna; entscheidend ist, dass sie angemessen sein müssen.“ Viele Gelehrte stimmten ihm zu. Es wurde auch berichtet, dass Ibn ‘Abbas (führender Qur’an­kommentator aus der Generation der Prophetengefährten) bat einige seiner Gäste bat, leichte und humorvolle Konversation zu führen, damit sie eine gute Zeit hätten und sich nicht langweilen. [Der Gelehrte] Rabi’a sagte: „Tugend hat sechs Teile, drei am Wohnsitz und drei auf der Reise. Die ersten drei sind Qur’anrezitation, häufiger Besuch der Moschee und die Einladung zum Islam in anderen Ländern. Die drei auf der Reise sind Großzügigkeit, das Zeigen von rechtsschaffendem Verhalten sowie das Scherzen in dem, was Allah erlaubt hat.“ Al-Hafeth brachte dies Sicht mit der Meinung von anderen in Einklang, die eine abwertende Ansicht vom Lachen haben: „Abzuraten ist vom übertriebenen oder permanenten Scherzen, da dies von der Anbetung Allahs und Ernsthaftigkeit in Fragen der Religion ablenkt. Das führt seinerseits zu Hartherzigkeit, Neid und Respektlosigkeit. Nützlicher Humor mit dem Ziel, die Leute zu beruhigen, zu unterhalten oder ihre Lage für kurze Zeit zu erleichtern, ist erlaubt.“
Was für uns Deutsche Till Eulenspiegel ist, dass ist Nasruddin Hodscha (auch bekannt als Molls Nasruddin) im Nahen Osten. Der beliebte Possenreißer und Weise wider Willen hat es weit über die Landesgrenzen der Türkei – er könnte im 13. und 14. Jahrhundert im anatolischen Aksehir gelebt haben – zu allgemei­ner Berühmtheit gebracht. Selbst bis zu den Uiguren im Westen von China und im Reich der Mitte selbst hat man von ihm gehört.
Der Mann, der durch seine Mischung aus Volksweisheiten, Schlauheit und gelegentlich derbem Humor Ruhm in der Nachwelt erlangte, war nicht ohne Vorläufer. Zuvörderst zu nennen wäre Dschu­ha, dessen Anekdoten aus der Blütezeit des arabischen Khalifats überlebten. Aber die orientalischen Leser – und viel mehr noch Zuhörer – wurden von mehr un­zähligen Anekdoten, lustigen Geschichten und Parabeln unterhalten. Dabei wurden nicht wenige humorvolle Begebenheiten Herrschern und Gelehrten zugeschrieben, deren Name in der muslimischen Welt bis heute überlebte. Die überlieferten und gesammelten Witze und Anekdoten sind gelegentlich von einer Freizügigkeit, die heute überraschen wird. Sie brechen aber das Bild vom todernsten Muslim, der von seiner Wut lebt, allemal.
Und heute? Wenn man von Komikern mit „Migrationshintergrund“ absieht, die in der Regel weder sonderlich komisch sind, noch sonderlich oft als Muslim identifiziert werden, gibt es wenige bekannte Vorzeige-Gestalten, die man als „lustig“ identifizieren könnte (von manchem unfreiwilligen Komiker wider Willen abgesehen). In der angelsächsischen Welt aber gibt es seit geraumer Zeit ein wachsendes Segment von ­Comedians, die als praktizierende Muslime bekannt sind und bekannt sein wollen. Namentlich das Team von „Allah made me fun­ny“, dem unter anderen Preacher Moss, Azhar Usman, Azeem oder Mo Amer angehören, ist seit Jahren auf Tour und wird von nichtmuslimischen Kollegen für ihre Fähigkeiten gelobt.
Dass es solchen Comedians „ernst“ mit ihrer Kunst ist, betonte Preacher Moss vor einigen Jahren in einem Interview: „Es gibt viele Hadithe, die über das Lächeln des Propheten berichten und seinen Sinn für Humor. Er lachte, ­lächelte und gab uns das richtige Verständnis dafür, warum wir diese Dinge tun. Dies ist ein große Religion. Sie ist dafür da, dass man sich an ihr erfreut. Das Lachen ist Teil unserer spirituellen und islamischen DNS.“