„Entschiedene Abgrenzungen“

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Muslime stehen häufig unter Generalverdacht. Als wäre ihre Religion vom Ursprung her auf Gewalt ausgerichtet, sind sie oft Hass und Hetze ausgesetzt. Dabei wissen viele Menschen kaum etwas über den Islam.
Leipzig (dpa). Die Orientalistin Verena Klemm warnt vor Verallgemeinerungen im Zusammenhang mit dem Islam und Muslimen. Im öffentlichen Diskurs würden Muslime gern pauschal zu nicht-integrierbaren Extremisten erklärt, sagte die Professorin für Arabistik und Islamwissenschaft an der Leipziger Universität der Deutschen Presse-Agentur.
„Man bekommt ein viel realistischeres Bild, wenn man erst einmal differenziert anstatt verallgemeinert.“ Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2015 zeige, dass sich fast alle der hier lebenden Muslime Deutschland verbunden fühlen und die gesellschaftlichen Grundwerte teilten.
Die Professorin sieht im Koran selbst keine Anleitung zur Gewalt gegen Andersgläubige. Er sei zwar teilweise durch die konfliktreiche Situation, wie sie auch die Entstehungsgeschichte anderer Religionen kenne, geprägt. In der islamischen Theologie gebe es von Anfang an sehr lebendige Lehrtraditionen, die die Offenbarungen auf ihre historischen Anlässe zurückführen oder sie symbolisch verstehen. Er enthalte aber ebenso viele Aussagen, die ein friedliches Miteinander gebieten.
„Nur gewaltbereite Muslime suchen gezielt kriegerische Verse heraus und propagieren sie als absolute und immerfort gültige Wahrheit. Dies haben sie bezeichnenderweise mit den europäischen Islamfeinden gemein, die, ebenfalls mit politischer Agenda, denselben Umgang mit dem Koran praktizieren.“
Klemm zufolge hat auch die Imperial- und Interventionspolitik des Westens im 20. Jahrhunderts immer gewaltvollere islamistische Strömungen hervorgebracht: „Parallel dazu trugen arabische Diktatoren das ihre dazu bei, humanistische Theologen und Autoren gewaltsam zum Schweigen zu bringen.“
So hätten ultrakonservative oder Gewalt predigende religiöse Autoritäten das Feld übernehmen können. „Um Jugendliche nicht in solche Milieus zu treiben, braucht es – in der islamischen Welt genauso wie hier – soziale Gerechtigkeit, Bildung, Arbeit, Pluralismus, politische und zivilgesellschaftliche Teilhabe.“
Geistliche Führer in muslimischen Staaten würden sehr wohl auf zunehmende Gewaltbereitschaft und die Radikalisierungen reagieren. Es gebe entschiedene Abgrenzungen – von berühmten Theologen bis hin zu kleinen Moscheevereinen und Individuen in Deutschland. „Sie werden im Westen meist nur nicht gehört. Dabei gehören viele Muslime selbst zu den Leidtragenden islamistischer Gewalttaten“, sagte Klemm. Oft würden sie hierzulande ein weiteres Mal sanktioniert, weil man sie pauschal mit islamistischen oder sexistischen Gewalttätern identifiziere.