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Es gibt genug unabhängige Quellen

Ausgabe 281

Foto: Davide Mauros, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

(iz). Gelegentlich vertreten einige nichtmuslimische Islamwissenschaftler die Ansicht, dass der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, nur eine Fiktion sei, den es historisch eigentlich nie gegeben habe. Seine Figur sei ­lediglich eine Konstruktion und Phantasie der Araber des 9. und 10. Jahrhunderts gewesen, die freilich und willkürlich erfunden sei.
Unbestreitbar ist der intensivste Vertreter dieser These der in Saarbrücken lehrende Dozent Karl Heinz Ohlig. Mit seinem aus dem Jahre 2005 erschienenen Buch „Die dunklen Anfänge“ wurde eine aufgeregte und lang andauernde Diskussion unter den Fachleuten entbrannt.
Ohlig vertritt darin die These: „Die ersten beiden islamischen Jahrhunderte liegen im Dunkel der Geschichte, und es bleibt unerklärlich, wieso die Bildung islamischer Großreiche keine Zeugnisse hinterlassen haben sollen, noch nicht einmal bei den Gegnern der Araber, den viel schreibenden Byzantinern, oder bei ­Juden und Christen unter angeblich ­islamischer Herrschaft“.
Erst kürzlich behauptete der Autor Guido Schlösser in einem Gastbeitrag auf der Webseite der Wochenzeitung „Jungle World“ vom 07.09.18 ank­nüp­fend an die These von Ohlig, dass es „Muhammad außerhalb der arabischen Überlieferungen nie gegeben habe“ und deshalb nur eine reine Erfindung der Araber sei.
Auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus, wird das Thema ausführlich in Fachkreisen disputiert. Die beiden Wissenschaftler und Publizisten Yehuda D. Nevo und Judith Koren bestreiten in diesem Zusammenhang die historische Existenz des Propheten in ihrem Buch „Crossroads to Islam“, wonach der ­Prophet Muhammad als historische Figur gelebt haben soll, mit dem Satz: ­„Mohammed ist keine historische Figur und seine Biografie ist ein Produkt der Zeit (9. Jahrhundert), in der sie geschrieben wurde.“
Außerdem soll ein zusätzliches Indiz für die behauptete Nichtexistenz damit begründet sein, dass der Name des Propheten auf Münzen vor dem Jahr 685 nicht erwähnt wird. Bekanntermaßen nutzten die neuen arabischen Herrscher – nach dem Vorbild der byzantinischen und sassanidischen Dynastie – weiterhin die im Umlauf befindlichen Münzen, die mit christlichen Symbolen und zoroastrischen Feueraltären ausgestattet waren.  Daher kann hier konträr eingewendet werden, dass die arabischen Machthaber aus pragmatischen Gründen vorerst keine grundlegenden Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur der mehrheitlich nichtislamischen Länder vorgenommen hatten. Und dies aus einem guten Grund. Denn unmittelbar nach der Festigung des Gesamtgefüges der jeweiligen eroberten Gebiete wurden schließlich eigene Münzprägungen eingeführt und adäquat in Umlauf gebracht.
Wie sieht es jedoch tatsächlich mit dem Vorwurf aus, wonach es den Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Friede geben, außerhalb der arabischen Überlieferungen nie gegeben haben soll? Gibt es dafür tatsächlich keine historischen Belege? Beim genaueren Hinsehen wird deutlich, dass in zahlreichen schriftlichen Quellen des Abendlandes reichlich bezeugt wird: Die in dem Jahr 640 n. Chr. entstandene und auf Griechisch verfasste „Doctrina Iacobi“ beschreibt einen Propheten, der aus den Sarazenen hervorgetreten sei. In der zeitgleich um die 640 n. Chr. entstandenen Chronik des Thomas des Presbyters wird nachdrücklich der Name von den „Arabern Muhammads“ erwähnt. Der christliche Eiferer Johannes von Damaskus (um 675-ca. 754 n. Chr.), polemisiert in seinem Hauptwerk „Quelle der Erkenntnis“ in Kapitel 100 gegen das Prophetentum Muhammads, Allahs Heil und Segen auf ihm. Der Bischof von Harran, Theodor Abu Kurru (750-820/25 n. Chr.), bezeugt noch im 8. Jahrhundert das Auftreten eines arabischen Propheten.
Dennoch ist eine randständige Gruppe Islamwissenschaftler weiterhin bemüht, die Geschichtlichkeit des Propheten ideologisch zu hinterfragen. Demzufolge seien die ältesten von Muslimen verfassten, biographischen Werke erst 150 bis 200 Jahre nach seinem Ableben aufgezeichnet worden. Dies solle als Hinweis genügen, den autobiographischen Abhandlungen insbesondere aus muslimischer Feder keine Glaubwürdigkeit zuzugestehen. Der Journalist Tom Holland schreibt hierzu: „In den letzten 40 Jahren wurde die ­Verlässlichkeit dessen, was die muslimische historische Tradition uns über die Ursprünge des Islam zu berichten weiß, immer stärker unter Beschuss genommen, dass ging so weit, dass viele Historiker mittlerweile bezweifeln, ob diese Tradition uns überhaupt irgendetwas von Belang zu sagen hat.“
Andererseits konstatieren renommierte nichtmuslimische Islamwissenschaftler wie Josef van Ess, Gregor Schoeler und Andreas Görke zu dieser Diskussion, dass diese „Skeptiker (…) immer mehr parasitären Charakter angenommen haben. Es geht gar nicht mehr so sehr um die Sache als nur noch um die Methode. So werden komplizierte Verfahren ersonnen und eingesetzt für Untersuchungen, durch die nur bewiesen werden soll, dass dieses und jenes, und schließlich das alles, was die muslimische Tradition sagt, nicht stimmt. Besonders ärgerlich ist die Arroganz, mit der dabei der eigene ‘kritische’ Standpunkt oft als die höhere Intelligenz verkauft wird. Der Gipfel ist dann die Behauptung, es habe den islamischen Propheten als historische Figur gar nicht gegeben“.  Bezeichnenderweise gibt es etliche Hinweise für die Existenz und Wirkungszeit des Propheten im 7. Jahrhundert, die letztendlich auch von kritischen Geistern hingenommen werden mussten.
Obwohl der französische Orientalist Ernest Renan (1823-1892) zeitlebens eifriger Kritiker des Islam war, gab er jedoch ohne weiteres auf der Grundlage von einschlägigen historischen Quellen den folgenden Standpunkt zu: „Der Islam entstand nicht in dem Mysterium, dass den Ursprung anderer Religionen umgibt, sondern im hellen Licht der Geschichte.“ In seinem international viel rezipierten Buch „Die Geschichte der Arabischen Völker“, stellt der christlich-libanesische Autor Hourani (1915-1993) unmissverständlich dar, dass die ältesten biographischen Werke im Großen und Ganzen als authentisch einzustufen sind: „Trotzdem enthalten sie Tatsachen über Muhammads Leben, seine Familie und Freunde, die wahrscheinlich authentisch sind.“
Unmittelbar nach dem Ableben des Propheten wurde seine Biographie unter dem Begriff Sira – einschließlich der Geschichten seiner Gefährten – aufgezeichnet. Zu den bekanntesten historischen Berichten gehören nach wie vor die Werke von: das Korpus von Urwa ibn Az-Zubair (gest. 712), Kitabu’l-Magazi (Buch der Feldzüge) von Az-Zuhri (gest. 742), As-Sira An-Nabawiya (Das Leben des Propheten) von Ibn Ishaq (704-767) sowie das Kitab At-Tabaqat Al-Kabir (Das große Klassenbuch) von Ibn Sa’d (784-845).
Den beiden Islamwissenschaftlern Andreas Görke und Gregor Schoeler ist es weitgehend gelungen, „die ältesten Berichte über das Leben Muhammads“ von Urwa ibn Az-Zubair nach beständigem Forschen auf der Grundlage einschlägiger Primärquellen sorgfältig zu rekonstruieren. Schoeler bemerkt zu dieser Studie an: „Die Urwa zugeschriebenen Traditionen können insbesondere dann mit Sicherheit als ‘echt’ d.h. tatsächlich auf ihn zurückgehend, erkannt und sinngemäß annähernd erschlossen oder wiederhergestellt werden, wenn sowohl Urwa’s Hauptschüler Az-Zuhri als auch sein Sohn Hisam (und/oder ein dritter Überlieferer) die betreffende Urwa-Überlieferung unabhängig voneinander weitergegeben haben. Dies ist bei einem erheblichen Teil der das Urwa-Korpus bildenden Traditionen der Fall.“
Auf die Anfrage, ob der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, tatsächlich existiert habe, gab der derweil islamkritische Orientalist Tilman Nagel die folgende Antwort: „Es gibt zu Muhammad außerordentlich umfangreiche, voneinander unabhängige zeitgenössische Quellen – viel mehr als etwa über Jesus. Wären sie alle Fiktion, hätte es zur damaligen Zeit eine Art ‘Reichsschrifttumkammer’ geben müssen, die alle Quellen gemäß dieser Fiktion frisiert hätte. Eine absurde Vorstellung! Wenn Sie die Existenz Mohammeds aufgrund der Quellenlage bezweifeln wollten, müssten Sie dasselbe mit Blick auf Caesar, Karl den Großen oder jede andere historische Figur tun.“ Von daher ist es keineswegs zu bestreiten, dass einem jeglichen Historiker der islamischen Geschichte weit mehr Quellen zur Verfügung stehen als Historikern, die sich mit Westeuropa und dem Byzantinischen Reich beschäftigen.