Essay von Tahir Chaudhry über die Bedeutung des Krieges in Syrien und Regimewechsel im Nahen Osten

(iz). Wir brauchen keine Demokratiefeinde, auch keine Revolutionsromantiker! Wir brauchen Realisten und gewiss keine Populisten. Zu lange haben wir aus unserer sicheren Stube heraus der einen Seite Hass und der anderen Seite unsere Sympathie bekundet. Gerade in Syrien müssen wir unsere Blicke endlich säubern. Weder die Rebellengruppen sind die Guten, noch die syrische Regierung. Beide Seiten manipulieren und morden. Es ist Krieg. Ein Krieg, bei dem man damit rechnen muss, dass dieser die Menschen im Kampf ums nackte Überleben um viele Evolutionsstufen zurückwirft. Letztendlich ist es eine relativ organisierte Masse, die gegen eine kopflose Horde von Menschen kämpft.

Der einst als “Reformer” gepriesene Assad hat sich in den Augen des Westens zum großen “Feind” gemausert! Doch allein die Forderung nach Regime-Wechsel darf gewiss kein Kriegsgrund sein. Die US-Politik ist jedoch seit Jahrzehnten weltweit auf Regime-Wechsel ausgerichtet. Kuba, Nordkorea, Irak, Libyen, Syrien und der Iran sind nur einige Beispiele. Auch die Feindseligkeit darf kein Kriegsgrund sein.

Mir lehrt der Koran eine unverzichtbare Weisheit, die ich oft auf beiden Seiten vermisse: “Und die Feindseligkeit eines Volkes soll euch nicht verleiten, anders denn gerecht zu handeln.” (Koran, 5:9)

Die Frustration der Bevölkerung, die dem natürlichen Bedürfnis nach Menschenwürde und Existenzsicherung entsprang, gipfelte in Aufständen gegen die eigene Regierung! Eine Regierung, die zweifellos Menschenrechtsverletzungen begeht und nicht in der Lage ist seinem Volk die Grundbedürfnisse zur Verfügung zu stellen. Doch was geschah als der gewaltlose Kampf ausweglos schien und schließlich Kompromisse erforderte? Ausländische Kräfte schalteten sich ein. Und das nicht aus Uneigennützigkeit und Liebe zur Menschheit heraus, sondern um ihren Einfluss in der Region sicherzustellen. Unter den “Helfern” mischten sich Staaten, die nicht gerade für ihre freiheitlichen Werte bekannt sind.

Saudi-Arabien und Katar; zwei Diktaturen, die regelmäßig von westlichen Kräften mit der neuesten Waffentechnik beliefert werden und diese gerne an ihre “Brüder” in Syrien weiterleiten. Sie übernehmen die Drecksarbeit für andere Staaten, die lieber die Fäden an den Händen haben möchten, als das Blut der Menschen. Warum eigentlich so blind bei der Lieferung von Tötungsinstrumenten? Mittlerweile müssen wir doch gelernt haben, wozu Waffen in falschen Händen führen können. Das Beispiel Libyen zeigt ganz deutlich, dass nach Abschluss des Führungswechsels Waffen in der Zivilbevölkerung zirkulieren und im Land für eine unbestimmte Zeit zu einer extremen Instabilität führen. Deshalb und grundsätzlich müssen auch Waffenlieferungen Deutschlands an Regierungen verurteilt werden, die Einschüchterung als Mittel der Unterdrückung anderer Völker einsetzen und auch Lieferungen an Oppositionen, die Terrorismus als Mittel zur Etablierung der eigenen Machtstellung gebrauchen.

Bei “Interventionen” geht es vorrangig um die Stärkung der eigenen Machtstellung in der Region. Ja, es geht auch um Öl und um die strategisch wichtige Lage des Landes zwischen dem östlichen Mittelmeer und dem Arabischen Meer. Dieses Gebiet ist zu einem Hauptaktionsfeld speziell der amerikanischen Außenpolitik geworden. Wer hat nicht von den undurchsichtigen militärischen Aktionen in Irak, in Afghanistan oder im nordöstlichen Pakistan gehört? Und nun fragt man sich: Warum funktionieren unsere diplomatischen Mittel nicht? Diese Frage sollte man den Profiteuren der Konflikte stellen. Denjenigen, die außerhalb Syriens sitzen und ein großes geostrategisches Kräftemessen veranstalten, dessen Ergebnis über den Bürgerkrieg mitbestimmt wird. Nur das es kein Brettspiel ist, sondern bittere Realität, das ist die Tragödie! Oft werden dazu Vergleiche aus längst vergessenen Erzählungen von Irak oder Afghanistan herangezogen.

Doch dieses Mal ist die Situation noch viel perfider. Denn es stehen sich hinter den Kulissen Großmächte unmittelbar gegenüber, deren militärische Kraft unvorstellbar groß ist. Diese Situation lässt für die nahe Zukunft nichts Gutes erahnen. Und im UN-Sicherheitsrat sehen wir die Wiederauflage der Logik des Kalten Krieges. Es sind die Blöcke, die man zu oft versucht kleinzureden. Washington und europäische Staaten stehen Moskau und Peking gegenüber, die die Ausweitung des westlichen Einflusses im Nahen Osten nicht dulden möchten. Deshalb unterstützen sie Iran und Syrien, indem sie Resolutionen blockieren, Sanktionen ignorieren oder “abgeschlossen Rüstungverträge” erfüllen. Das wilde Wettrüsten hat begonnen! Raketenabschuss-/Raketenabwehrtests kann bald jeder! Große “Militärparaden” auf dem Mittelmeer seitens der Amerikaner, Briten, Russen, Chinesen oder Iraner – die sich natürlich von ihrer stärksten Seite zeigen wollen – stehen auf der Tagesordnung.

Eine Teilung der Lager lässt sich angesichts des Iran-Israel-Konflikts, der kurz vor einer Eskalation scheint wieder entdecken.

Israel und seine Verbündeten geht es um die vermutete Atomwaffenproduktion des Iran. Die Sorge Israels verleitet sie dazu Iran völkerrechtswidrige Präventivschläge anzudrohen. Doch diese Sorge gründet nicht auf der Mutmaßung, dass Iran im Falle einer atomaren Bewaffnung Israel angreifen könnte, sondern darauf, dass Iran als eine Atommacht nicht mehr abschreckbar wäre. Es geht schlicht um die Vorherrschaft in dieser Region, die unter allen Umständen durch beide Parteien beansprucht wird. In diesem Muskelspiel wird auf beiden Seiten nicht mit offenen Karten gespielt und regelmäßig werden einfallsreiche Drohgebärden ausgetauscht. Die unterstützenden Lager beider Seiten schauen fast tatenlos zu. Doch glauben wir wirklich, dass die Großmächte wie USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, China und Russland nicht in der Lage sind, diesem Konflikt ein Ende zu bereiten, wenn sie es denn wollten?

Wir befinden uns bei dem heutigen Kurs in einer “lose-lost” Situation. Auf langer Sicht können beide Seiten mit einer großen politischen und wirtschaftlichen Krise rechnen. Der Iran wird in seiner Haltung zum Westen bei den gestellten Bedingungen nicht einlenken. Ständig verweist dieser auf seine große Zivilisationen mit einer antiken Kultur. Dieser stark ausgeprägte Nationalstolz birgt eine Selbstwahrnehmung, die sich selbst in einer Weltmachtstellung, ähnlich der USA sieht oder sehen möchte. Was passiert aber, wenn jeder versucht Chef zu spielen?

Grundsätzlich ist es für die Verständigung der Völker von großer Bedeutung, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und mit unvoreingenommenem Geist in den Dialog zu gehen. Wir müssen auch mit unseren “Feinden” sprechen! Im Afghanistan hat USA die Verhandlungen mit den Taliban verweigert. Heute, zehn Jahre später bemüht man sich nun verzweifelt um Gespräche mit ihnen. Ist es nicht etwas zu spät? Durch Militärschläge werden Israel und damit auch die USA im Iran nichts anderes erreichen, als die geteilte iranische Gesellschaft zu “der” iranischen Nation zusammen zu schweißen. Oder Iran greift auf die Möglichkeit einer Sperrung der Straße von Hormus durch die iranische Marine zurück. Mit dessen Schließung würde ein Großteil der Ölexporte von der arabischen Halbinsel in den Westen unterbunden werden. Was das für uns bedeuten würde, kann sich jeder ausmalen. Der Iran-Israel Konflikt ist einzig und allein durch Verhandlungen auf oberster Ebene lösbar. Nicht nur General Martin Dempsey, Chef der US-Streitkräfte, erklärte noch im Februar: „Wir glauben, dass der Iran ein rationaler Akteur ist und nicht beschlossen hat, Nuklearwaffen herzustellen.“ Dazu lehnen auch diverse israelische Stimmen den Militärschlag gegen den Iran ab. Selbst Meir Dagan, früherer Chef des Mossad, betont, dass der iranische Präsident in der Nuklearfrage rational handele. Denn Iran jetzt zu bombardieren, sei die „dümmste Idee, die er je gehört habe“.

Nahost-Experten mahnen zu Recht vor Generalisierungen, denn es gebe zwei Teile in der iranischen Politik. Der pragmatische Teil möchte freundschaftliche Beziehungen zum Westen und zu Israel pflegen und nutzen. Der ideologische Teil instrumentalisiert die Israel-Palästina Problematik und ruft zum Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten.

Bei der ganzen Kriegshysterie muss man sich auch mal vor Augen halten, dass der Iran nahezu vollständig von US-Militärbasen eingekesselt ist. Ein Angriff auf einen Verbündeten der USA würde einen regelrechten Selbstmord bedeuteten. Zwar wird in den Medien ein Bild von den „Irren mit der Bombe“ transportiert, aber jeder Mensch mit einem kritischen Bewusstsein kann diese Darstellung als reinen Populismus entlarven. Jeder weiß mittlerweile, dass es im Iran Menschenrechtsverletzungen und Rechtsbeugungen gibt. Aber genauso weiß man auch, dass es diese in ähnlicher Weise in anderen Staaten der Welt gibt. Warum dieser unterschiedliche Umgang? Es scheint ein Versuch der Etablierung eines Feindbildes, wie im Falle des Irak zu sein, die die Kriegsbereitschaft anderer Staaten steigern soll. Natürlich ist es jedoch der einfachere Weg, den Feind – der eigentlich eine ganze Nation samt den 75 Millionen Menschen ist – als verrückt, aggressiv und antisemitisch darzustellen und ihn so zu dämonisieren, dass man nicht mehr mit ihnen sprechen muss oder kann. Ist das gerecht?

Der israelischer Schriftsteller und Friedensaktivist, Uri Avnery wendet sich deutlich gegen diese Dämonisierung, indem er betont: „Der Iran ist … kein antisemitischer Staat. Eine jüdische Gemeinde lebt dort, und ihre Mitglieder weigern sich zu emigrieren, da sie dort ein angenehmes Leben führen können. Sie erfreuen sich religiöser Freiheit und haben im Parlament einen Vertreter. […] und ist überzeugt: Wenn die Palästinenser und die ganze arabische Welt mit Israel Frieden machen wird – dann wird der Iran nicht mehr in der Lage sein, den Konflikt weiter für seine Interessen instrumentalisieren zu können.“

Trotz allem glaube ich, dass es in diesen Konflikten nicht darum geht einseitig Schuldzuweisungen auszusprechen und ich denke, dass auf beiden Seiten Ungerechtigkeiten und Doppelmoral ausgeübt werden. Politik, die auf Ungerechtigkeit und Gewaltanwendung basiert kann kein Garant für Frieden und Sicherheit sein.

Im syrischen Bürgerkrieg und im Iran-Israel Konflikt wird mit dem Feuer gespielt. Ob durch das Einschreiten auf Seiten der Rebellen in Syrien oder durch die Duldung, gar Unterstützung eines israelischen Militärschlages gegen den Iran. Beide Länder könnten zurückschlagen und einen Flächenbrand auslösen. Und so manchem Kriegslüsternen scheint dabei nicht klar zu sein, dass bei uns die Lichter aus gehen würden, wenn der Nahe und Mittlere Osten in Brand gesteckt wird.

Es ist also nicht die Zeit für Revolutionsromantiker und Kriegstrommler! Wir brauchen keine Verklärer und Hetzer! Wir brauchen tapfere Versöhner mit Entschlossenheit und Klarsicht!

Tahir Chaudhry (22) ist freier Journalist, Blogger und Dokumentarfilmer. Er studiert Islamwissenschaften und Geschichte in Kiel. Seine neue Dokumentation „Die Kriegstrommel“ gibt es in voller Länge auf YouTube (Link: http://youtu.be/pSDyBxdOUfc). Die Kampagne des Autors „STOP the War Drums“ kann auf Facebook (Link: www.facebook.com/STOPtheWarDrums) verfolgt werden.