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Ethnokrieg im Sahel?

Ausgabe 288

Foto: https://magazines.defensie.nl/landmacht/2017/01/02_desert-falcon, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC0 Public Domain

(GFP.com). Gut sechs Jahre nach dem Beginn des ­Bundeswehreinsatzes in Mali verschlechtert sich die Situation dort immer mehr. Die ­UN-Truppe MINUSMA, die überwiegend im Norden des Landes im Einsatz ist, wo sie vor allem die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen den dortigen Bürgerkriegsparteien überwachen soll, ist mittlerweile auf annähernd 15.500 Soldaten und Polizisten angewachsen. Die Bundeswehr stellt derzeit fast 850 Soldaten, die beinahe alle in Gao am östlichen Nigerbogen stationiert sind.

MINUSMA gilt als der mit Abstand gefährlichste Einsatz unter UN-Flagge; die Truppe verzeichnet inzwischen knapp 200 Todesopfer, rund die Hälfte aller im Einsatz verstorbenen UN-Blauhelme überhaupt. Dabei ist MINUSMA, wie unlängst die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bestätigte, in der Bevölkerung recht unbeliebt – nicht zuletzt, wie die SWP erklärt, wegen ihrer „Passivität“, das heißt, weil ihr „die eigene Sicherheit wichtiger ist als der Schutz der Zivilbevölkerung“. Tatsächlich werden rund 80 Prozent der militärischen Ressourcen benötigt, um „die Sicherung der eigenen ­Infrastruktur und der Konvois“ zu gewährleisten, „auf die die Mission angewiesen ist, um ihre Basen zu versorgen“.

Dabei verschlechtert sich die Sicherheitslage seit geraumer Zeit vor allem im Zentrum des Landes, das bei Beginn des Bundeswehreinsatzes im Jahr 2013 noch nicht von bewaffneten Auseinandersetzungen erfasst worden war. Insbesondere die Region um die zentralmalische Stadt Mopti wird zunehmend von Massakern erschüttert. Hintergrund sind ­traditionelle Konflikte zwischen Bauern und Hirten um knappes Acker- beziehungsweise Weideland, die sich in den vergangenen ­Jahren wegen zunehmender Trockenheit ­zugespitzt haben.

Dabei gehören die Hirten überwiegend der Sprachgruppe der Peul (auch: Fulani/Fulbe) an, die in Mali in der Minderheit und zuweilen staatlicher Diskriminierung ausgesetzt ist. Seit 2015 ist zu beobachten, dass „Dschihadisten“ mit Erfolg einzelne Angehörige der Peul rekrutieren. Andere Sprachgruppen beschuldigen die Peul seitdem in ihrer Gesamtheit, gemeinsame Sache mit den „Dschihadisten“ zu machen, bilden Milizen und greifen Peul-Gruppen und -Dörfer an. In dem eskalierenden Konflikt beziehen auch Malis Streitkräfte häufig gegen die Peul Position.

Dabei sind zunehmend ethnisch motivierte Massenmorde zu beklagen – auch durch Malis Streitkräfte, die nicht zuletzt von deutschen Soldaten im Rahmen von EUTM Mali trainiert werden; aktuell sind fast 170 Bundeswehrsoldaten im Rahmen von EUTM Mali aktiv. Im Juni 2018 führten malische Militärs unweit von Mopti eine Razzia durch, nahmen dabei gezielt Angehörige der Peul-Sprachgruppe fest und verschleppten 25 von ihnen. Alle 25 wurden nur wenig später in drei ­Massengräbern erschossen aufgefunden.

In den vergangenen Monaten haben die Mordbrennereien in der Gegend um Mopti weiter zugenommen. So wurden am 1. Januar mindestens 37 Peul in dem Ort Koulogon südöstlich von Mopti von einer Miliz einer anderen Sprachgruppe massakriert. Am 23. März brachte eine weitere Miliz mindestens 160 Peul, darunter zahlreiche Kinder, in dem Ort Ogossagou ebenfalls südöstlich von Mopti um und brannte die Gebäude des Dorfs nieder. Insgesamt sind laut Angaben der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr rund 600 Menschen in der Region getötet worden, aus der sich die staatlichen Behörden immer mehr zurückziehen; lediglich 30 bis 40 Prozent der Territorialverwaltung sind noch präsent. Beobachter warnen vor dem Übergang zu einem ausgewachsenen Ethno-Krieg.

Die Kämpfe greifen längst über Malis Grenzen zu Burkina Faso und zum Niger über. So wird aus der Region im Norden Burkina Fasos unweit der Grenze zu Mali von „mörderischer Stigmatisierung“ der Peul berichtet. Hintergrund ist auch dort der – unzutreffende – Vorwurf, die Peul machten kollektiv gemeinsame Sache mit Dschihadisten. Ganz wie in Mali bilden sich Milizen anderer Sprachgruppen, die Peul-Ortschaften überfallen und ­Einwohner in hoher Zahl ermorden. So schlachteten Milizen im Januar 2019 in verschiedenen Orten bei Yirgou im Norden von Burkina Faso laut Berichten Dutzende, möglicherweise sogar um die 200 Peul ab.

Im Februar „neutralisierten“ die burkinischen Streitkräfte dann nach einem Angriff tatsächlicher oder vermeintlicher Dschihadisten, dem 14 Menschen zum Opfer gefallen waren, laut eigenen Angaben 146 „Terroristen“ nahe der Ortschaft Kain unweit der Grenze zu Mali. Recherchen der burkinischen Menschenrechtsorganisation „Mouvement burkinabè des droits de l’Homme et des peuples“ (MBDHP) ergaben, dass 60 der „neutra­lisierten“ Personen Einwohner verschiedener Dörfer der Region waren, die willkürlich ­exekutiert worden waren. Einen Großteil der Menschen, die die Militärs umgebracht ­hatten, konnte das MBDHP anhand ihrer Namen als Angehörige der Peul identifizieren. Das MBDHP warnt nun vor einer un­kontrollierbaren Eskalation ethnischer Gemetzel.

Mit Blick auf die katastrophale Entwicklung wird in Berlin jetzt über eine Verlagerung des MINUSMA-Einsatzschwerpunkts aus Malis Norden in das Zentrum des Landes diskutiert. Es sei „sinnvoll, das militärische Engagement im nördlichen Sektor zugunsten eines stärkeren Engagements in der Region Mopti zu reduzieren“, heißt es etwa bei der SWP – schließlich sei „der militärische Teil der Mission … in Zentralmali bislang kaum präsent“. Allerdings räumt die SWP ganz offen ein, dass MINUSMA auch in Malis Norden „die Verschlechterung der Sicherheitslage, die ­allenthalben konstatiert wird, nur drosselt, aber nicht stoppt“.