Fasten in der Fremde: Wie Flüchtlinge Ramadan feiern. Von Gioia Forster

Zwei Drittel der Flüchtlinge, die 2014 nach Deutschland kamen, sind Muslime. Während des Fastenmonats ist für viele die Sehnsucht nach der Heimat besonders stark. Mit viel Aufwand ermöglichen Einrichtungen Muslimen, Ramadan zu feiern.

Meßstetten (dpa) – Die Flüchtlinge trudeln in die Moschee ein. Einige haben eine Flasche Wasser oder eine Tasse mitgebracht, noch dürfen sie aber nicht trinken. Kurz vor Sonnenuntergang herrscht komplette Stille. Dann ertönt der Gebetsruf, und eine Tasse Wasser wird herumgereicht: der erste Schluck nach einem langen Tag des Fastens. Nur einige Meter weiter auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne in Meßstetten (Zollernalbkreis) gehen zum selben Zeitpunkt die Türen der Kantine auf: für Hunderte weitere Flüchtlinge, die sich zum Iftar – dem Mahl zum Fastenbrechen – angestellt haben.

Die Flüchtlinge verbringen Ramadan, den heiligen Fastenmonat im Islam, in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea). Rund 1500 Menschen wohnen laut Leiter Frank Maier in der Unterkunft, die mit den Erstaufnahmeeinrichtungen in Karlsruhe und Ellwangen (Ostalbkreis) erste Anlaufstelle für Asylsuchende in Baden-Württemberg ist. Etwa 70 Prozent der Bewohner der Unterkunft in Meßstetten seien Muslime, schätzt Maier.

«Wir wollen es den Leuten ermöglichen, Ramadan zu feiern», sagt der Leiter. Viele der muslimischen Bewohner verzichten während der 30 Tage des Ramadans zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang auf jegliches Essen und Trinken. Für sie gibt es extra eine Mahlzeit zwischen 21.30 und 23.00 Uhr – und noch mal eine zwischen 1.00 und 3.00 Uhr. Das bedeutet für Maier und sein Team mehr Personal, längere Arbeitszeiten und weitere Sicherheitskräfte in der überfüllten Unterkunft. «Es ist eine zusätzliche Anstrengung.» Trotzdem ist es für Maier eine Selbstverständlichkeit, das alles zu organisieren.

Die Vorsitzende des Flüchtlingsrats in Baden-Württemberg, Angelika von Loeper, lobt das: «Ich begrüße es sehr, dass die Behörden die Anstrengungen auf sich nehmen und es den Flüchtlingen ermöglichen, Ramadan zu feiern.» In allen drei Erstaufnahmestellen im Südwesten werden extra Mahlzeiten verteilt. In der Lea in Ellwangen steht zudem ein großes Zelt, in dem die Muslime zusammen beten können, wie der dortige Leiter Berthold Weiss sagt.

2014 haben in Baden-Württemberg fast 26 000 Menschen erstmals Asyl beantragt, bundesweit waren es rund 200 000. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind knapp zwei Drittel der Flüchtlinge, die 2014 bundesweit Asyl beantragt haben, Muslime. Prognosen zufolge könnte sich die Zahl der Erstantragsteller in diesem Jahr verdoppen.

Maiers Mitarbeiter stehen am Eingang der Kantine und überprüfen die blauen Ramadan-Karten der Bewohner, auf denen jeder Tag des Fastenmonats abgehakt wird. Mit Ravioli, Semmeln und Joghurt auf den Tablets suchen sich Ahmad al Sayyed und seine Familie einen Tisch in dem vollen Raum. «Wir sind so dankbar, einen Ort zur Verfügung zu haben, an dem wir unsere Religion praktizieren können», sagt der syrische Bürgerkriegsflüchtling. Trotzdem ist es für den 40-Jährigen sehr schwer, während Ramadan so weit weg von Zuhause zu sein. «Wir vermissen das Familiäre, die Atmosphäre – wo wir gelebt haben, war es spürbar, dass Ramadan ist.»

Al Sayyed ist mit seiner 35-jährigen Frau Kinana und den vier Kindern über den Libanon, Nordafrika und Spanien nach Deutschland geflohen, wie er erzählt. In Damaskus hatte er einen kleinen Supermarkt, der ausgebombt wurde – auch sein zweiter wurde zerstört. Danach entschied er: «Ich will nach Deutschland gehen, für meine Kinder.»

Seine Söhne Ali (13) und Rawan (1) sowie die Töchter Lujain (9) und Layan (5) fasten auch. Für sie sei es besonders schwer gewesen, so lange vor der Kantine zu warten, bevor sie ihr Essen bekamen, sagt Al Sayyed. Einige der Lea-Bewohner beschweren sich deswegen auf Arabisch bei Mustapha Abassi, einem Betreuer. Der Tunesier fastet selbst, versteht also die Schwierigkeiten. 800 Menschen können aber unmöglich gleichzeitig essen, erklärt Abassi – dafür ist einfach kein Platz.

Ob die Moschee in der Flüchtlingseinrichtung in Meßstetten weiterhin erhalten bleibt, weiß Maier noch nicht sicher. Jetzt können die muslimischen Bewohnern der Lea dort noch ihre Ramadan-Gebete verüben. Schon bald könnten dort aber neue Feldbetten stehen, um noch mehr Flüchtlinge unterzubringen, sagt Maier. Denn: Mit der wachsenden Zahl an Menschen, die in Baden-Württemberg Zuflucht suchen, müssten die Organisatoren «verdichten, verdichten, verdichten».