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Fes – Reise ins Herz Marokkos

Ausgabe 291

Foto: Anibal Trejo | Shutterstock

(iz). Einen geradezu klassischen Blick auf die Stadt Fes hat man von den Anhöhen im Norden oder Süden der Stadt, am besten zur Abenddämmerung. Von hier sieht man, gelegen in einer Mulde zwischen Hügeln und umgeben von Olivenbäumen, das alte Fes mit seiner weitgehend authentisch erhaltenen Medina. Das Licht lässt die Farben der alten Häuser in den verschiedensten Tönen schimmern, deutlich herausgehoben sind dabei die grünen Dächer der ehrwürdigen Moschee und Madrassa Al-Qa­rawijin und der Zawija von Moulay Idris II. Wenn dann die Gebetsrufe von den Moscheen erklingen, in der Art und Weise, wie sie im Maghrib üblich ist, dann spürt man das klassische Marokko, und denkt an all die Generationen von Gelehrten, Weisen und Aulija, die diese Stadt hervorgebracht hat.

Anders als viele andere bedeutende Städte entstand Fes nicht aus einer bereits zuvor existierenden antiken Stadt, sondern ist eine genuine Eigengründung. Die Lage dieser gewachsenen, nicht geplanten Stadt wird begünstigt durch den Oued Fes und andere, kleinere Bachläufe, die von den umliegenden Hügeln und Bergen durch die Stadt fließen, sowie zahlreichen Quellen, die sie mit Wasser versorgen. Schon immer war Fes berühmt für seinen Wasserreichtum, und das Wasser diente und dient dazu, in einem ausgeklügelten Be- und Entwässerungssystem die Brunnen der Moscheen, die öffentlichen Brunnen und Bäder und die Wohnhäuser zu versorgen; bei vielen Handwerksbetrieben, vor allem den Mühlen, dient es als Triebkraft.

Insbesondere im Frühling ist die Umgebung von Fes sehr grün, und neben den Olivenbäumen ist die Stadt umgeben von Feldern und den großen Friedhöfen, die wie überall in islamischen Ländern ganz selbstverständlich zum Alltagsleben dazuge­hören. Die eng aneinandergefügten Häuser werden oft mit einer Struktur aus Trauben oder Honigwaben verglichen, wobei die Straßen und Gassen wie die feinen Adern eines Organismus sind.

Gegründet wurde sie 808 von Moulay Idris II, einem Nachkommen des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm. Er errichtete eine befestigte Siedlung auf der westlichen Seite des Oued Fes, der auf dem östlichen Ufer eine wahrscheinlich bereits von Moulay Idris I gegründete Siedlung gegenüberlag. In der darauffolgenden Zeit siedelten sich neben den berberischen Einwohnern der Region auch Muhadschirun (Auswanderer) aus Andalusien in der Stadt an, sowie solche aus Qairawan (Kairouan) im heutigen Tunesien, so dass zwei nach ihnen benannte Stadtviertel beiderseits des Oued Fes enstanden: Al-Andalus und Al-Qarawijin, die schließlich zu einer Stadt zusammenwuchsen, die heute als Fes El-Bali den Kern der Stadt bildet.

Fes war lange Zeit Sitz der Sultane von Marokko, und ist damit neben dem benachbarten Meknes sowie Marrakesch und Rabat eine der „Königsstädte“ des Landes. In der Zeit der kolonialen Besatzung ­errichteten die Franzosen, wie überall in Marokko abseits der Altstadt gelegen, ihre „Ville Nouvelle“, die nach europäischen Gesichtspunkten geplant wurde und die entsprechenden Einrichtungen beherberg­te. Diese strikte räumliche Trennung ist wahrscheinlich ein wesentlicher Grund dafür, dass das alte Fes so vollständig erhalten geblieben und, anders als viele Städte außerhalb Marokkos, nicht durch moderne Veränderungen geprägt worden ist.

Die schmalen Gassen der Suqs, unterteilt nach den verschiedenen Branchen, sind mit Bambusgeflecht bedeckt, um Schatten zu spenden. Hier findet man Läden und Werkstätten, die Funduqs als Lager- und Umschlagplätze des Groß- und Fernhandels, sowie klassische Innenhof-Häuser der Kaufmannsfamilien. Es gibt die Viertel der verschiedenen Handwerke, die in Zünften organisiert waren, so das Viertel der Gerber, das Viertel der Weber, das der Kupferschmiede (As-Seffarin), das der Tischler, der Töpfer und so weiter. Ebenso die Viertel der Händler, etwa der Gewürz-, Parfüm- und Stoffhändler.

Fes war immer besonders bekannt für die Anfertigung von Lederwaren, die in die ganze muslimische Welt exportiert wurden. Fes ist auch ein Zentrum für den Handel mit agrarischen Produkten der Bauern aus der näheren und weiteren Umgebung. Obgleich zunehmend durch billige Massenproduktion bedroht, ist das traditionelle Handwerk, das über den Lebenserwerb hinaus auch einen geistigen Sinngehalt hat, in Fes noch vergleichsweise lebendig geblieben, woran zugegebenermaßen die Touristen als Abnehmer einen nicht unerheblichen Anteil haben.

In der Nähe der Qarawijin und der Zawija von Moulay Idris befindet sich die Qaisarija, der Teil des Souqs mit den wertvollsten Gütern wie Schmuck und edlen Stoffen, der nachts abgeschlossen wird. Einer der schönsten Orte in der Medina ist auch der kleine Platz im Souq der Nedjarin, dem Souq der Tischler. An ihm liegt ein prächtig gestalteter Funduq, der heute ein Museum für hölzernes Kunsthandwerk beherbergt. Typisch für Fes sind auch die oft kunstvoll verzierten öffentlichen Brunnen.

Das Herz der Stadt bildet die bereits 859 von einer Frau, Fatima Bint Muhammad El-Feheri, gegründete Qarawijin-Moschee, deren Madrassa die älteste der islamischen Geschichte ist, und die Sauja mit dem Grab von Moulay Idris II. Die Qarawijin war jahrhundertelang das Zentrum des Wissens und der Bildung im islamischen Westen, eine Hochburg des malikitischen Fiqh, der Schule der Leute von Medina, und eine Quelle der Ma’rifa.