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Flucht im Rollstuhl

Foto: maria-anna/Pixabay | Lizenz: CCO Public Domain

Berlin (KNA). Von ihnen spricht kaum jemand: Auch Flüchtlinge mit Behinderungen machen sich auf den langen Weg nach Europa. In der Regel sind die Unterkünfte nicht auf sie eingestellt. Vielfach gibt es in den Einrichtungen nicht die notwendigen Vorkehrungen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) fordert die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, am Wochenende in Berlin, dass der besondere Bedarf dieser Menschen schon bei der Registrierung festgehalten wird.
Frage: Frau Bentele, gibt es viele Flüchtlinge mit Behinderungen, die sich auf den Weg nach Europa machen?
Bentele: Ja. Wir haben zwar keine genauen Zahlen, aber über Nichtregierungsorganisationen wissen wir, dass immer wieder Menschen mit Behinderungen unter den Flüchtenden sind und dass sie hier nicht unbedingt adäquat aufgenommen werden. Wir hoffen und setzen uns dafür ein, dass es dazu ein Monitoring gibt, um die Zahlen zu kennen und den Bedarf festzustellen.
Frage: Welche Menschen kommen, und welche Hilfe brauchen sie?
Bentele: Es kommen Flüchtlinge mit körperlichen Behinderungen, Flüchtlinge im Rollstuhl, Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen. Dazu kommen natürlich Menschen mit Traumata, die dann auch psychisch krank werden können oder es schon sind. Je nach Behinderung müssen wir schauen, dass wir sie gut unterstützen und ihre gesundheitliche Versorgung sicherstellen.
Frage: Was sind Ihre wichtigsten Forderungen?
Bentele: Meiner Meinung nach sollten behinderungsbedingte Mehrbedarfe schon bei der Registrierung erfasst werden könnten. Es sollte eine gute gesundheitliche Betreuung und eine Versorgung mit Hilfsmitteln geben. Mir ist klar, dass das vielfach für die Zuständigen eine doppelte Herausforderung ist. Eine arabisch sprechende, hörgeschädigte Frau braucht nicht nur einen einfachen Dolmetscher, sondern auch noch einen, der die Gebärdensprache beherrscht.
Frage: Gibt es ausreichend barrierefreie Unterkünfte?
Bentele: Leider nein. Erst vor kurzem haben wir von einer Frau gehört, die ihren zwölfjährigen Sohn mit einer Körperbehinderung in ihrer Unterkunft umhertragen musste. Zum Glück wurde in diesem Fall kürzlich ein Rollstuhl bewilligt. Wir wissen, dass die Barrierefreiheit derzeit, bei einer generellen Knappheit der Unterkünfte, eine Herausforderung ist. Beim Bau neuer Unterkünfte, die ja auch von Dauer sein sollen, sollten wir daher die Zugänglichkeit mitbedenken. Ich warne davor, dass wir Standards unterschreiten.
Frage: Was ist Ihnen noch wichtig?
Bentele: Es ist wichtig, dass wir die Parallelstrukturen miteinander vernetzen. Das heißt, dass wir Verbände und Beratungen von und für Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Migrationsgeschichte zusammenbringen. Daran arbeite ich zusammen mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz. Wenn wir die Kenntnisse und Erfahrungen beider Bereiche miteinander verknüpfen, können wir viel bewirken.
Frage: Stoßen Sie bei den Politikern auf Gehör?
Bentele: Ja, das glaube ich schon. Das heißt aber nicht, dass meine Forderungen schon umgesetzt werden. Es bedarf hier sicher viel Überzeugungsarbeit.
Frage: Gibt es vorbildliche Einrichtungen?
Bentele: Es gibt in Berlin-Reinickendorf eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten mit einem guten Beratungsnetzwerk in Berlin und ermöglichen damit den Bewohnern einen Zugang zu Beratung, Information und Unterstützung. Die barrierefreie Gestaltung des Gebäudes ermöglicht ein behinderungsgerechtes Wohnen. Von solchen Beispielen wünsche ich mir mehr.