(iz). In der letzten Ausgabe der IZ (Nr. 201) veröffentlichten wir einen längeren Debattenbeitrag, der sich kritisch mit der Halal-Industrie und einiger ihrer grundlegenden Praktiken auseinandersetzte. Der Artikel unter dem Titel „Fragwürdige Amtsanmaßung“ führte zur einer lebhaften Debatte.
Einige Rückmeldungen waren zustimmend und andere – teils aus diesem Berufszweig stammend – waren kritisch. Interessant war aber, dass unwidersprochen blieb, dass die globale Lebensmittelindustrie bisher der Hauptabnehmer so genannter Halal-Lizenzierungen ist und gleichermaßen Hauptauftraggeber für die, die Lizenzen vergebenden Prüfeinrichtungen. Bei einem Gespräch mit einem Halal-Zertifizierer Ende letzten Jahres räumte dieser ein, dass rund 95 Prozent seiner Kunden aus der Lebensmittelindustrie kämen.
Ob es sich um die Produzenten von Tütensuppen, Fastfood oder um Unternehmenskonglomerate handelt, die alles verkaufen – die Lebensmittelindustrie steht seit Jahren in der Kritik von NGOs, Aktivisten und Menschenrechtlern. Egal, ob man davon über ermordete Gewerkschaftler in Lateinamerika, um Skandale mit verseuchten Lebensmitteln oder um die fatalen Auswirkungen, Muttermilch durch Milchpulver zu ersetzen, spricht; die Branche hat bei vielen nachdenklichen Geistern keinen guten Ruf.
Mitte Februar sorgte die Initiative Foodwatch für Aufsehen und schaffte es sogar für beinahe einen Tag, die obersten Plätze in den Webseiten der deutschen Tagespresse einzunehmen. Die Organisation widmete sich so genannten „Kinder-Lebensmitteln“. Das heißt, auf das Reiz-Reaktions-Schema von Kindern abgestimmte „Lebensmittel“. Im Folgenden bringen wir Auszüge aus einer Zusammenfassung der Prüfergebnisse von „mehr als 1.500“ Erzeugnisse.
(Foodwatch). Drei Viertel der angebotenen Waren sind Snacks und Süßigkeiten, die nur in geringen Mengen verzehrt werden sollten. Selbst Produkte, die ausgewogen sein könnten – wie Frühstücksflocken oder Milchprodukte – sind in der Regel überzuckert und aromatisiert. Eine ausgewogene Ernährung für Kinder ist mit den Industrieprodukten praktisch unmöglich.
Die Lebensmittelindustrie trägt damit eine massive Mitverantwortung für die Fehlernährung von Kindern. Der Anteil übergewichtiger Kinder ist im Vergleich zu den 1980er- und 1990er-Jahren um 50 Prozent gestiegen. Heute gelten 15 Prozent der Kinder als zu dick, 6 Prozent sogar als fettleibig (adipös). Folgen sind erhöhte Risiken für Diabetes, Herzkreislauf- und andere schwerwiegende Krankheiten.
Die eigene Verantwortung dafür negiert die Branche und wehrt Kritik höhnisch ab: Eltern müssten auch mal „Nein“ sagen können, und wer übergewichtig sei, müsse eben mehr Sport treiben – ganz einfach. Dabei ist die Hauptursache für das gestiegene Übergewicht bei Kindern nicht der vermeintliche Bewegungsmangel, sondern vor allem eine falsche, zu kalorienreiche und zu zuckrige Ernährung. Davon versucht die Industrie abzulenken – und simuliert lieber Verantwortung, indem sie medienwirksam Sportveranstaltungen sponsert und sich mit Bewegungsinitiativen und Ernährungs-Tipps als Kämpfer gegen Übergewicht inszeniert. Doch das Kernproblem ist ein anderes: das den Kindern rücksichtslos aufgedrängte, ungesunde Produktangebot der Lebensmittelindustrie.
Warum aber bietet die Industrie vor allem solche Produkte an? Dafür gibt es einen einfachen Grund: Mit Obst und Gemüse lässt sich nur wenig Geld verdienen – Snacks und Süßigkeiten versprechen schlichtweg höhere Margen. Mit enormem Marketing-Aufwand werden daher insbesondere Schokolade und Süßwaren beworben. Werbung für gesunde Produkte oder gar Obst und Gemüse? Meistens Fehlanzeige. So früh wie möglich sollen Kinder und Jugendliche an die Marken gebunden werden und schon in jungen Jahren Geschmacksprägungen beeinflusst werden. Die Hoffnung aus Marketing-Sicht: Ist Hänschen ein treuer Kunde, bleibt es Hans erst recht. Also bombardiert die Industrie Kinder mit Werbung. Und auch die Eltern werden gelockt mit Versprechungen auf „besonders geeignete“ und „kindgerechte“ Produkte, die angeblich „das Beste aus der Milch“ oder „wertvolle Vitamine“ enthalten. Selbst in die Schulen drängen Hersteller mit ihren Vermarktungsstrategien und bieten zum Beispiel Unterrichtsmaterialien für Lehrer an.
Mit dem Report „Kinder kaufen“ will foodwatch endlich eine breite Debatte über die Verantwortung der Lebensmittelindustrie für die Gesundheit unserer Kinder anstoßen.