Für gesunde Erwachsene

Ausgabe 248

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Einige Menschen begreifen sich durch ihre Selbstbestimmung beispielsweise als Arzt oder Lehrer. Andere definieren sich durch ihren kulturellen Hintergrund als Araber oder Amerikaner. Und dann gibt es Solche, die einfach sagen: „Ich bin nur eine Mutter.“ Oftmals ist es so, dass die Selbstbeschreibung der Leute eine Reflexion dessen ist, wie sie sich wahrnehmen. Im Falle unserer Kinder wollen wir, dass sie Selbstbewusstsein ausstrahlen und sich gut über das fühlen, was sie sind.

Die Herausforderung, positiv zu einer Identität und starken Personalität in unseren Kindern beizutragen, ist nicht so schwierig, wie es zu Beginn den Anschein hat. Stellen wir uns vor, wir seien Bauern. Nein, nicht die Sorte, die das Feld beackert. Es geht um jemanden, der etwas Besonderes pflegt, weil der Boden ein wertvoller ist. Ich möchte, dass Sie das Gehirn Ihres Kindes wie ein Feld bestellen und verstehen, wie es sich selbst sieht.

Als Eltern können wir erkennen, wie verbaler Missbrauch die Selbstwahrnehmung einer Person beschädigen kann. Und wie Schikane das Selbstbewusstsein schädigt. Wir können uns auf die Kinder einlassen, indem wir sie aufbauen. Vergessen wir nicht, dass es zwei Wege gibt, um das größte Gebäude zu bauen: Einer besteht darin, den Bau stark und hoch zu errichten und der andere darin, alle umgebenden Bauten abzureißen.

Ich rate immer dazu, seinem Kind immer wieder zu sagen, wie schön und klug es ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass Wiederholung die Mutter des Lernens ist. Dabei ist die Entwicklungsstufe des Kindes unerheblich. In Phase Eins (1.-7. Lebensjahr), Phase Zwei (8.-13.) oder Phase Drei (Teenager) lieben sie Komplimente und Lob; obwohl sie so tun werden, als wäre das nicht der Fall. Als Mutter oder Vater erfreuen wir uns ebenfalls daran. Dadurch fühlen wir uns geschätzt und in unserem Glauben bestärkt. Hoffentlich erinnert und dies daran, unserem Schöpfer dankbar zu sein.

Phase Eins
Nehmen wir als Beispiel die kleine Aisha. Sie befindet sich mit fünf Jahren in Phase Eins. Weil sie jung ist, ahmt sie ihre Mutter nach und spielt mit deren Kopftüchern. Sie probiert sie an, betet mit ihnen und sieht so süß aus. Das Beste, was sich für ein kleines Kind tun lässt, dass etwas Positives entdeckt, ist lebensbejahende Bestätigung. Komplimente, gepaart mit körperlichem Zuspruch wie Umarmungen und Küssen, schaffen gesunde, positive Nervenverbindungen in seinem Gehirn.

Ein großartiger Weg, den Glauben bei Kindern zu vergrößern, besteht darin, gut über sie zu reden. Zum Beispiel kann man sich mit einem Freund, Verwandten oder Ehepartner darüber austauschen, wie kreativ oder intelligent Aisha ist, weil sie entweder ein schönes Bild gemalt oder eine Mathematikaufgabe gelöst hat. Das hilft beim Entstehen von Selbstbewusstsein in unseren Kindern, bevor sie wissen, was sie denken sollen. Sie leihen sich unseren Glauben an ihr Selbst, bevor sie diesen selbst ausstrahlen können. Das ist ein Pflanzen von Samen. Das ist der entscheidendste Teil der Landwirtschaft. Ohne Samen gibt es nichts zu kultivieren und keine Ernte.

Phase Zwei
Der Einflussbereich unseres Kindes wächst rapide an, wenn sie im Schulalter und mit anderen sind, die unterschiedliche Erfahrungen machen. In dieser Episode (8.-13. Lebensjahr) haben sie bereits geformte Meinungen und Wahrnehmungen. Währenddessen haben sie mehr Umgang mit ihrer Umwelt und nutzen das Internet.

Nachdem wir nun einen Samen in den Boden gelegt haben, müssen wir ihn hegen und pflegen, indem wir ihn ausreichend ernähren, wässern und erlauben, dass das Sonnenlicht den Boden erreicht. Wir sollten unsere Kinder andauernd an ihre Klugheit und Schönheit erinnern, sie aber gleichzeitig auch herausfordern, indem sie mehr lernen. Auch das gehört zur Kultivierung. Einerseits brauchen sie genug Unabhängigkeit, um Fehler zu machen und von ihnen zu lernen, während sie begreifen, dass sie in Phase Zwei Kinder sind und keine kleinen Erwachsenen.

Die Sprösslinge sollen sich anziehen können, wie sie wollen. Wir sollten ihnen aber auch beibringen ihre Betten zu machen, die Zimmer aufzuräumen, das Geschirr zu spülen und zu verstehen, dass Hausarbeiten ein Teil des ersten großen Teams sind, dem sie angehören. Es wird Familie genannt.

Wir müssen uns bewusst sein, dass die Schwierigkeit im Elterndasein in der Tatsache begründet liegt, dass es einen konstanten Konflikt mit Kräften jenseits unserer Kontrolle gibt. Das können Verwandte sein, die nicht unsere Werte teilen oder Leute, die kein Verständnis für unseren Glauben haben; oder die Medien, die jede Art von Schmutz attraktiv erscheinen lassen. Es ist ein trauriger Fakt, dass ein Kind beim Erreichen von 18 Jahren durchschnittlich 200.000 gewalttätige Akte in verschiedenen Medien gesehen hat – darunter 40.000 Morde. Das kann profunde Folgen für die menschliche Psychologie haben.

Zu jedem Zeitpunkt im Wachstum unserer Kinder sind Wachsen, Pflanzen und Kultivieren niemals endende Abläufe. Sie sind wesentlich für ihre Persönlichkeitsentstehung. Ich bin sicher Ihnen ist bewusst, dass Ihre Kinder eigene Persönlichkeiten mit einer Liste von Vorlieben und Abneigungen haben, die von unseren abweichen.

Phase Drei
Ab jetzt beginnen wir die Früchte unseres Handelns und Austausches mit unseren Kindern zu ernten. Während der ersten Jahre, in denen sich ihre Körper entwickeln und sie durch die Pubertät müssen, gibt es ein großes Maß an emotionaler Unsicherheit. Das liegt an den hormonellen Veränderungen, während sie diesen Prozess durchlaufen. Jetzt müssen wir noch strategischer in unserer positiven Bestätigung vorgehen, indem wir sie an Erfolge erinnern, aber auch an Lektionen aus vergangenem Scheitern. In der Rolle des Trainers bauen wir sie auf und unterstützen sie, bis sie ihren Weg zur Unabhängigkeit finden.

Als Muslime müssen wir unseren Austausch mit den Kindern durch Lektionen aus der Prophetengeschichte und dem Qur’an anreichern. Fokussieren wir uns ausschließlich auf die kindliche Psychologie, ohne unseren islamischen Glauben einfließen zu lassen, tun wir unseren Kindern keinen Gefallen. Wenn wir unsere Kinder an die Eifersucht von Geschwistern erinnern, können wir mit ihnen die Geschichte des Propheten Jusuf teilen. Geht es um die stürmischen Beziehungen des Nachwuchses mit dem Vater, eignen sich die Geschichten der Propheten Nuh (Noah) oder Ibrahim.

Ebenso müssen wir die Menge der Augenblicke, in denen unsere Kinder „nein“ oder „tu das nicht“ hören, mit den Momenten balancieren, in denen wir ihnen „ja“ sagen. Es wird geschätzt, dass sie während ihres Heranwachsens schätzungsweise 148.000 mal „nein“ oder „mach das nicht“ hören. Die größte Häufung davon, wenn sie noch klein sind. Es gibt einen sehr einfachen Weg, ein Gefühl des „das kann ich nicht“ auszugleichen und ihnen beim ges­un­den Erwachsenwerden zu helfen. Wir müssen ihnen oft genug „ja“ sagen, um diese negativen Gefühle auszugleichen. Das hilft ihnen auch bei der Vermeidung des falschen Eindruckes, dass sich bei ihrem Muslimsein alles um „erlaubt“ und „verboten“ dreht.

Ist man ein Bauer und konzentriert sich auf seine Ernten, indem man diese Techniken implementiert, kann man im Laufe der Zeit seelisch gesunde Kinder aufziehen, die eine starke Identität haben und in Frieden mit ihrer Persönlichkeit sind. Damit ihr Kind auf die Frage „wer bist Du?“ selbst antworten kann, dass es Muslim ist, intelligent, schön, glücklich und stolz ist und jedes Persönlichkeitsmerkmal hat, das seinem Charakter entspricht.

Nazir Al-Mujaahid ist Autorin und Beraterin für das Thema muslimische Elternschaft. Sie ist seit 20 Jahren verheiratet und erzieht neun Kinder im Alter von sechs Monaten bis 20 Jahren. Sie moderiert das Videoformat „Outstanding Muslim Parents“ und bietet Workshops und Materialien zum Thema an.