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Futuwwa – ­Energie der Jugend

Ausgabe 301

(Muslim Matters). Wie bringen wir im Lichte der prophetischen Rechtleitung einen Wandel ­hervor? Und wie bilden wir die nächste Generation von Kräften des Wandels in unseren Gemeinschaften aus? Eine jahrhundertealte islamische Tradition könnte die Antwort bringen.

Im vorletzten Ramadan nahm eine späte Mahlzeit mit einem neuen muslimischen Bekannten eine eher unan­genehme Wendung. Das Essen war gut, das Wetter angenehm und unsere Köpfe frei. Aber, wie die Dinge so ihren Lauf nahmen, wandte sich das Gespräch der Politik zu. Ein Thema, das man am beste vom Essen trennt.

Der Bruder stammt aus einem Land, das in den globalen Ranglisten keinen hohen Rang einnehmen wird. Aber während er die gegenwärtige schlechte Lage anerkannte, die in seinem Land wütete, machte er eine Klarstellung. Er sagte, es sei nicht arm. Man müsste nur ein paar Samen in die Erde werfen, und könne erkennen, wie der göttliche Segen (arab. baraka) durch sie ströme. Aber genau das machte ihn wütend. Obwohl das Land mit so viel gesegnet war, erreichte es so wenig seine Leute, die größtenteils ­verarmt blieben, um als traurige gebrochene Geschichten aus einem Land der Dritten Welt angesehen zu werden … nichts weiter.

Obwohl ich vorrangig mit meinem ­Essen beschäftigt war, kam ich nicht umhin, seiner Rede meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Am Ende fügte er in langsamem, traurigem Ton hinzu: „Jeder denkt nur an sich. Niemand denkt an das Land. Ich möchte zurück und etwas tun. Selbst, wenn ich verhaftet o.ä. werden sollte, muss ich es versuchen. Tun das viele von uns, dann werden sich die Dinge bestimmt ändern.“

Seine Worte entlockten mir ein ­Lächeln. Ah, das große Versprechen jugendlicher Träume! Niemand als die Jugend kann so naiv und doch so entschlossen sein. Natürlich ist es für den Zyniker leicht, die Wut des jungen ­Mannes als weitere vereinfachte Reaktion auf etwas bewerten, das viel tiefer geht und komplexer ist.

Aber die Jugend hat die gebrochenen Systeme geerbt. Es ist häufig aus bloßem Überlebenswillen, dass sie dagegen ankämpft. Denken wir an das Sinken der Realeinkommen, den Anstieg von ­Studiengebühren, das Schrumpfen der Sozialsysteme, die pathologische Überwachung durch die Regierung sowie die Gleichgültigkeit früherer Generationen gegenüber institutionalisierter Ungerechtigkeit und wir verstehen, warum die ­Jugend protestieren muss.

Es ist das Wissen von der Unvollkommenheit der Welt und die Vorstellung, sie könne verbessert werden, was jugendlichen Aktivismus antreibt. Reine Absichten und unbegrenzte Energie reichen jedoch nicht. Wenn sie keinen Zugang zu den traditionellen Initiationsriten, Ventile für einen Selbstausdruck, aufnahmebereite Orte der Begegnung sowie Netzwerke der Tariqas für die Vermittlung von Erziehung hat, dann ist es möglich, dass ihr jugendlicher Idealismus einer nihilistischen Wut Platz machen kann.

Daher ist es wichtig, Institutionen und Praktiken zu haben, die nicht nur einen Ausdruck des Jugendpotenzials ermöglichen, sondern es darüber hinaus fördern und feiern. Eine solche Institution, die traditionell mit der islamischen Zivilisation verbunden war, ist das Konzept der Futuwwa.

Dabei handelt es sich laut dem Oxford-Wörterbuch um das „Ideal jugendlicher Männlichkeit auf der Basis des Vorbilds von ‘Ali ibn Abi Talib“. Auf der Webseite der Ibn Haldun Üniversitesi findet sich folgende Definition: „… die Institution mit dem Ziel zur Erziehung junger Generationen und Ausrichtung für die Jugend … auf Grundlage ausformulierter Gedanken, die vom Qur’an und den Hadith stammen und die von Gelehrten, Sufis und edlem Handeln ­gesammelt wurden“.

Wie jeder erfahrene Leser der Sozialgeschichte weiß, reicht es nicht aus, das Feuer einer Revolution anzuzünden. Man braucht auch die moralischen Rahmenbedingungen und praktische Alternativen, die bereit stehen müssen, sobald sich der Staub gelegt hat. Angesichts von Rückschlägen braucht man sowohl Anleitung als auch langfristige Perspektiven. Man muss vermeiden, der Interpretation von allem im Lichte der flüchtigen Gegenwart zum Opfer zu fallen.

Institutionen wie Futuwwa helfen uns darin. Sie erleben uns eine Welt zu sehen, die über uns hinausgeht. Das heißt, ein Verständnis von Gerechtigkeit, das sowohl weltlich als auch überweltlich ist. Es bedeutet über die herrschenden Dogmen der Zeit hinauszugehen, neu zu gruppieren und anders zu denken, wenn alle Stricke reißen. Das heißt, sich nicht der Verzweiflung anheimzugeben, Wirklichkeit im Lichte prophetischer Rechtleitung zu verstehen und – vor allem – unseren kurzen Aufenthalt in der diesseitigen Welt (arab. dunja) in ein Mittel zur Annäherung an unseren Herren zu verwandeln.

Es ist das Parfüm jugendlicher Träume sowie das langsame Zwischenspiel zwischen Glaube und Praxis, das die Laufrichtung von Gesellschaften und sogar Nationen definiert. Sie ist der rohe, ­möglicherweise manische Charme des jungen Idealismus, der uns von einer ­besseren Welt träumen lässt. Wer anders als die eigentlich Jungen und Naiven ­würden daran denken, das Bestehende anstelle von etwas völlig Neuem und ­Ungetestetem wegzuwerfen? Der Sprung des ­Vertrauens bewegt eine Gesellschaft in Richtung der beiden. Es sind die Hände der Jugend, die das ermöglichen. Und wir schulden es als Gemeinschaft, diese Hände beständig und fest zu machen.