Game Over für den „Prediger“?

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„Die türkischen Streitkräfte haben bei einem Putsch nach eigenen Angaben vollständig die Macht im Land übernommen. (…) In Ankara waren Schüsse zu hören, Kampfhubschrauber sollen über der Stadt kreisen. In Istanbul wurden offenbar zwei Bosporus-Brücken gesperrt. (…) Feuergefechte, Kriegsrecht, Ausgangssperre – die Ereignisse in der Türkei überschlagen sich. (…) Nach dem Putschversuch in der Türkei soll Staatspräsident Erdogan auf dem Weg nach Deutschland sein.“ So lauteten die ersten Meldungen im Hinblick auf den gescheiterten Staatsstreich in der Türkei vom 15. Juli 2016.
Einseitige Berichterstattung nimmt peinliche Züge an
Das geschah vor einigen Wochen. Seitdem überschlugen sich die kritischen und destruktiven Berichte zur Türkei. Die Darstellung in der deutschen Presse nahm stellenweise beschämende Züge an. Anstatt die couragierte Leistung des türkischen Volkes zu würdigen, stieß man auf einseitige und voreingenommene Berichte, in der sogar Bedauern über das Scheitern des Putsches mitschwang.
Für einige renommierte Kommentatoren geht das zu weit. Unter anderem meldete sich Jürgen Todenhöfer, Publizist und ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter, über seine persönliche Facebookseite zu Wort. Todenhöfer forderte von der Öffentlichkeit mehr Fairness und Kompetenz gegenüber der Türkei. Er stellte folgende Frage: „Wäre nicht auch bei uns die Hölle los, wenn es einen Militärputsch gäbe, wenn das Parlament bombardiert, Fernsehsender gestürmt und Hunderte getötet würden. Würde nicht auch bei uns der Ausnahmezustand ausgerufen? Frankreich hat das wegen der Terroranschläge doch auch getan. Und zentrale Grundrechte aufgehoben. Von den völkerrechtswidrigen Reaktionen Bush’s auf 9/11 ganz zu schweigen.“
Er sagte, dass ein Militärcoup wie in der Türkei jedes Land der Welt in seinen Grundfesten erschüttert hätte, da er viel gefährlicher als jeder Terroranschlag sei. Der Publizist erinnerte daran, dass die Putschisten nach dem Staatsstreich von 1960 Ministerpräsident Menderes erhängten und stellte klar: „Ich bin gegen die Todesstrafe. Ohne Wenn und Aber. Und überall. Aber genauso bin ich gegen doppelte Moral. Einige unserer Politiker wollen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stoppen, falls diese die Todesstrafe wieder einführt. Warum haben diese ‘Helden’ eigentlich nie gegen die Todesstrafe in den USA protestiert?
Der Publizist fragte, warum kein deutscher Politiker dem Bündnispartner Türkei das Angebot unterbreitet habe, dem Land in dieser schwierigen Situation zu helfen. „Hat uns die Türkei in der Flüchtlingskrise nicht auch sofort geholfen? Gelten Freundschaften nur in guten Zeiten? Ja, auch ich mache mir Sorgen um die Türkei. Aber weil ich sie liebe. Und nicht weil ich auf ihr herumtrampeln möchte. Als Freund hoffe ich, dass die Türkei die jetzige Krise meistert.“
„Der größte Fehler der Putschisten war, Erdogan am Leben zu lassen“
Tim Marshall, Redakteur bei Sky News gab nach dem Putschversuch in der Türkei dem britischen Staatssender BBC ein Interview. Er sagte: „Der größte Fehler der Putschisten war es, Erdogan nicht ermordet zu haben“ und weiter „das erste was sie hätten tun müssen, wäre gewesen, Erdogan zu töten oder festzunehmen“. Damit stellte sich Marshall wie viele andere seiner Kollegen von der Presse und Politik hinter Terroristen. Er sprach wohl vielen aus der Seele. Ralph Peters, ein angesehener Kolumnist und Autor aus den USA äußerte sich in ähnlicher Richtung: „Auch die letzte Hoffnung in der Türkei ist gestorben.“
Doch wie reagierten die vermeintlichen Feinde der Türkei? Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, bekräftigte, dass die NATO ihr eigenes Mitgliedsland nicht über eine bevorstehende Bedrohung gewarnt habe. Der größte militärische Zusammenschluss, dem alle Mittel im Bereich der Sicherheit und (der nachrichtendienstlichen) Aufklärung zur Verfügung stehen, habe keinerlei Warnzeichen über eine Bedrohung in der Türkei abgegeben. Und das, obwohl sechs Tage zuvor ein NATO-Gipfeltreffen in Warschau stattgefunden habe. Die diplomatische Sprache von Zakharova lässt nichts Gutes erahnen. Die Türkei hat der NATO sehr viel zu verdanken. Aber auch umgekehrt. Es braucht, so wie es scheint, eine noch engere Zusammenarbeit und mehr Vertrauen unter den Bündnispartnern.
Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, das für die Sicherheit seiner Mitglieder zuständig ist.
Wer wird als Drahtzieher des Putschversuchs beschuldigt?
Doch wer waren die Ausführer und Befehlsempfänger dieses terroristischen Staatsstreichs gegen den türkischen Staat, die gewählte Regierung und die Zivilbevölkerung? Wer war dafür zuständig, dass hunderte Menschen brutal ermordet wurden und es tausende Verletzte zu beklagen gab?
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht in Fethullah Gülen den Drahtzieher des gescheiterten Militärputschs vom 15. Juli und forderte dessen Überstellung aus den USA. Das türkische Justizministerium hat deshalb formal einen Antrag auf Auslieferung gestellt. Obwohl es vonseiten der US-Behörden noch Klärungsbedarf zu geben scheint, fordert nun auch der ehemalige US-Botschafter in Ankara, James Jeffrey, die Auslieferung von Gülen. Der Diplomat schlägt zudem vor, dass die US-Beamten mit eigenen Ermittlungsverfahren und Steuerprüfungen gegen Gülen vorgehen sollten.
Jeffrey schrieb in der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Der Staatsstreich war für die Türkei das, was für Amerika der 11. September war.“ Ferner wies der Diplomat auf folgende Details hin: „Aus meiner eigenen Erfahrung heraus bin ich überzeugt, dass dieser Kult, der Gülen und nicht den staatlichen Behörden gegenüber loyal ist, tatsächlich existiert. Im Schatten von Gülens ‘öffentlicher’ globaler Organisation haben seine Gefolgsleute junge Menschen dafür gewonnen, sich in den türkischen Verwaltungsapparat einzuschleichen. Ihre Ziele sind undurchsichtig, umfassen aber den Schutz von Geschäftsinteressen und die Förderung bürokratischer Karrieren von ‘Brüdern’, das Sabotieren von Säuberungsmaßnahmen der türkischen Regierung und letztlich die Kontrolle des Staates.“
Der 75-Jährige Gülen lebt seit fast zwanzig Jahren in den USA. Er bestritt eine Verwicklung mit dem mörderischen Staatsstreich. Kritiker bezweifeln allerdings, dass es sich bei der Gülen-Gruppierung um eine harmlose, zivilgesellschaftliche Bildungs- und Wohlfahrtsorganisation handelt.
„Viele Institutionen von Gülen-Anhängern unterwandert“
Der Türkei-Fachmann der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Kristian Brakel, hält es „nicht für unwahrscheinlich“, dass unter den Köpfen des Putsches auch Gülenisten waren. „Es ist schon so, dass Gülen-Anhänger viele Institutionen in der Türkei unterwandert haben“, sagt der Experte gegenüber „Focus-Online“. Besonders die Justiz und der Bildungsbereich, aber auch der Sicherheitsapparat seien von dieser Organisation durchsetzt.
Brakel spricht von „klandestinen Strukturen“ bei der Organisation. Es gebe keine Mitgliedsausweise oder dergleichen. Deswegen wisse man nicht unbedingt von jedem, ob er ein Anhänger von Fethullah Gülen sei oder nicht.
„Eine Sekte wie Scientology“
Ein anderer Kenner der Organisation ist Maximilian Popp vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Er schreibt, dass die Anhänger Gülens in über 140 Ländern der Welt Schulen, Banken, Medienhäuser, Kliniken, Versicherungen und Universitäten betrieben. Menschen, die mit Fethullah Gülen gebrochen hätten, die das Innenleben der Organisation kennen, erzählten eine andere Geschichte. „Sie berichten von einem erzkonservativen Geheimbund, einer Sekte wie Scientology. Sie berichten von einer Welt, die mit den gefälligen Bildern der Kulturolympiade nichts zu tun hat“, berichtete Popp.
Und er geht noch weiter: „Der niederländische Soziologe Martin van Bruinessen sieht Parallelen zwischen der Gülen-Gemeinde und dem katholischen Geheimbund Opus Dei. Der amerikanische Historiker und Nahost-Kenner Michael Rubin vergleicht den türkischen Prediger mit dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini. Und US-Diplomaten halten die Gülen-Gemeinde, das geht aus den WikiLeaks 2010 zugespielten Botschaftsdepeschen hervor, für die mächtigste islamistische Gruppierung in der Türkei: ‘Sie kontrolliert Handel und Wirtschaft und hat die politische Szene tief unterwandert.’“
Der Vorsitzende der Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD), Zafer Sirakaya, warnt ebenso vor den Unterwanderungsmethoden der Gülenisten:  „Es ist kein Geheimnis, dass die Terrororganisation Gülen seit Jahrzehnten ihre Mitglieder in die juristischen Fakultäten lenkt, um Gerichtsbeschlüsse im Interesse dieser Organisation zu beeinflussen. Die dadurch demonstrierte Macht versetzt die türkische Gesellschaft und alle, die keine Gülen-Anhänger sind, in Angst. Eine abhängige und unterwanderte Justiz kann gewiss nicht neutral entscheiden. Es ist erwiesen, dass für viele Bürokraten und Beamte die Loyalität gegenüber Fethullah Gülen vor der Loyalität zur türkischen Verfassung steht. So eine Situation kann in keinem Land der Welt gutgeheißen werden. Die Loyalität zur Verfassung hat immer Vorrang. Egal ob in der Türkei, in Deutschland oder wo anders. Wer Staatsbediensteter ist und sein Lohn vom Staat erhält, darf nicht als Befehlsempfänger von anderen Institutionen oder Personen fungieren.“
Viel Einfluss auf Muslime
Maximilian Popp beklagt, dass die deutsche Öffentlichkeit kaum etwas über Gülen und seine Organisation wisse. „Dabei hat hierzulande wohl kaum jemand so viel Einfluss auf die Muslime wie die Gülen-Gemeinde.“ Er zitiert in seinem Beitrag die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegmann, die die Gülen-Organisation folgendermaßen einschätzt: „Sie ist die wichtigste und gefährlichste islamistische Bewegung in Deutschland.“ Und: „Sie sind überall.“
Eine Organisation mit zwei Gesichtern?
Maximilian Popp ist der Meinung, dass die Gülen-Bewegung zwei Gesichter habe: „Eines, das der Welt zugewandt ist, und eines, das sich vor der Welt versteckt.“ Undurchsichtig seien hier vor allem die Finanzen. „Reiche Unternehmer geben Millionen, aber auch Beamte und Handwerker beteiligen sich an der Finanzierung von Gülen-Projekten. Durchschnittlich zehn Prozent ihres Einkommens stellen ‘Fethullahçis’ der Gemeinde zur Verfügung, einige bis zu 70 Prozent.“
Popp, führt ferner an, dass Fethullah Gülen sich gerne als ein bescheidener Prediger inszeniere. Er wolle wie „ein muslimischer Gandhi“ wirken.
Kilic: „Auf die Unterwanderung des Staates ausgerichtet“
Auch Grünen-Politiker und bekennender Erdogan-Kritiker Memet Kilic schätzt die Bewegung der Gülenisten als nicht harmlos ein. Für ihn ist „die Gülen-Bewegung eine tatsächlich auf die Unterwanderung des Staates ausgerichtete Organisation“. Es ändere nichts, so Kilic gegenüber der „Tagespost“, „dass sie ständig Begriffe gebraucht, die uns gefallen, nämlich die ‘Zauberworte’ Bildung, Integration und Dialog.“
In der Türkei und in der Diaspora seien die Gülenisten „dennoch mit der Verleumdung Anderer kaum zu überbieten“. In der Vergangenheit hätte Gülen auch nie ein gutes Wort für die Aleviten und Kurden übrig gehabt, macht Kilic deutlich. Erst als Gülen selbst in der Diaspora gewesen sei, habe er erkannt, „dass es vielleicht strategisch besser wäre, die Aleviten nicht als Gegner zu betrachten“.
Angst um Job, Gesundheit und Familie
Spiegel-Autor Popp teilt zudem mit, dass die wenigsten Aussteiger offen über ihre Zeit in der Organisation sprechen. „Jene, die es tun, bestehen darauf, nicht mit Namen genannt zu werden. Sie haben Angst vor Gülen und seinen Leuten; sie fürchten um ihren Job, ihre Gesundheit, ihre Familie.“
Netzwerken allein für den guten Zweck?
Der Artikel des Spiegel-Journalisten trägt den Titel „Der Pate“, womit kein anderer als Gülen persönlich gemeint sein dürfte. Popp berichtet, dass seine Anhänger in Deutschland mehr als hundert Bildungseinrichtungen betreiben. Dazu zählen auch Schulen und Nachhilfezentren. „Sie haben um die 15 ‘Dialogvereine’ gegründet, etwa das Forum für Interkulturellen Dialog Berlin (FID). Die Vereine organisieren Konferenzen, auf denen sich Rabbiner, Pfarrer und Imame treffen, sie laden zu Reisen nach Istanbul ein.“
Medien gehören ebenso zum Imperium des „Paten“
Popp berichtet, dass Gülen-Anhänger auflagenstarke Zeitungen verlegen, die Ableger in der ganzen Welt haben. Er nennt die Monatszeitschrift „Die Fontäne“, die Fernsehsender Ebru TV und Samanyolu TV. Auch der Unternehmerverein „Barex“ mit 150 Firmen aus Berlin und Brandenburg gehöre zum Netzwerk der Gülenisten. Der Spiegel-Autor schreibt zudem, dass Mitglieder „jeden Monat einen Teil ihres Gehalts“ an die Organisation überwiesen.
Operationen im Verborgenen
„Gülen-Anhänger demonstrieren nicht für Scharia und Dschihad – die Cemaat operiert im Verborgenen. Fethullah Gülen, der Pate, bestimmt Kurs und Ausrichtung. Einige aus dem inneren Zirkel der Macht dienen Gülen seit Jahrzehnten. Sie kontrollieren die wichtigsten Unternehmen der Bewegung: Verlage, Stiftungen. Jede Weltregion wird in der Cemaat [Gemeinde] von einem ‘Bruder’ [Abi] verantwortet, wie Zentralasien und Europa. Über nationale und lokale ‘Brüder’ setzt sich die Hierarchie bis in einzelne Stadtteile fort“, weist Popp auf die innere Struktur der Organisation hin.
FBI-Berater Williams: „CIA unterstützt Aktivitäten der Gülen-Bewegung“
Die „Deutsch-Türkischen-Nachrichten“ (DTN) berichten, dass die Schulen des Predigers Gülen in Russland seit 2002 geschlossen sind. Anlass sei ein schwerwiegender Vorwurf, den der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation (FSB) als erwiesen ansieht. „Die Mitglieder der Gemeinde sollen für die CIA spioniert haben. Der ehemalige FBI-Berater Paul L. Willams sagte im März 2014 der Zeitung Aksam, dass die CIA die Aktivitäten der Gülen-Bewegung in Zentralasien unterstützt habe“, so DTN. Demnach sollten die Gülenisten die muslimischen Staaten Zentralasiens politisch und wirtschaftlich unterwandern. Sicherheitsexperten sind sich sicher, dass dieses Vorgehen in erster Linie gegen russische und chinesische Interessen in Zentralasien und Kaukasien gerichtet ist. FBI-Berater Williams sagt weiterhin, dass aktuell „weltweit 130 Gülen-Gefolgsleute für die CIA arbeiten“. Seiner Einschätzung nach belaufe sich das Vermögen der Organisation auf 50 Milliarden US-Dollar. „Doch Gülen werde letztendlich vom US-Geheimdienst ausgenutzt“, gibt DTN die Worte des FBI-Beraters wieder.
Ex-Pentagonsprecher Gordon: „Gülen-Organisation eine Bedrohung“
Laut Deutsch-Türkische-Nachrichten sei auch Jeffrey D. Gordon, ein ehemaliger Pentagonsprecher, der Ansicht, wonach Gülen und seine Organisation eine Bedrohung für die USA und die Türkei darstellten: „Gordon sagt, die Gülen-Bewegung betreibe das größte Charter School-System der USA. Die Organisation mische sich auch in die US-Politik ein und gehöre zu den Sponsoren von Hillary Clinton. Die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen ist auch in den USA nicht unumstritten. In den vergangenen Jahren hatte es in den USA mehrere FBI-Razzien in den Schulen der Bewegung gegeben. Das FBI führte im Jahr 2014 in Ohio Razzien in insgesamt 19 Gülen-Schulen durch, berichtet Ohio.com. Die Schulen sollen im Bereich der Wirtschaftskriminalität angesiedelt sein.“
„…bis die Zeit der Machtübernahme reif ist“
Popp stellt fest: „Er [Gülen] riet seinen Anhängern, den türkischen Staat zu unterwandern und sich konspirativ zu verhalten, bis die Zeit zur Machtübernahme reif sei: ‘Ihr müsst in die Arterien des Systems eindringen, ohne dabei bemerkt zu werden. Ihr müsst warten, bis der richtige Moment gekommen ist, bis ihr die gesamte Staatsmacht an euch gerissen habt. Wenn wir voreilig handeln, wird die Welt uns die Köpfe einschlagen, Muslime überall werden leiden. Es wäre, wie ein Ei zu zerbrechen, ohne die 40 Tage zu warten, bis das Küken schlüpft.’“
Gülen musste aus der Türkei fliehen, als 1999 eine Aufzeichnung dieser Rede auftauchte und er beschuldigt wurde, einen Staatsstreich zu planen. Hier schließt sich wohl auch der Kreis um Gülen und den brutalen Putschversuch in der Türkei. Heißt es nun bald „Game Over“ für Gülen? Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden war am 24. August zu Konsultationen in Ankara. „Wir können Gülen ausliefern“, sagte Biden nach einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wird am 4. September beim G20-Gipfel in der ostchinesischen Stadt Hangzhou auch mit dem amerikanischen Präsidenten Brack Obama zusammenkommen. Erörtert wird auch die möglichst baldige Auslieferung von Gülen.
Nicht wenige türkische Journalisten halten die Auslieferung von Gülen freilich für „nicht ausreichend“. Sie sagen: „Nicht Gülen und seine Organisation, sondern das System, das solche pseudoreligiösen Gebilde und Sekten stützt, benutzt und auf der ganzen Welt mit ähnlichen Methoden für seine Interessen verwertet, ist das eigentliche Problem.“
Die Journalisten meinen damit, dass in vielen Staaten Sekten oder religiöse Gemeinschaften missbraucht werden, um Einfluss auf staatliche Strukturen und Entscheidungsträger auszuüben und diese ggf. zu kontrollieren. Nicht wenige führen Scientology als Beispiel auf. Eine „muslimische Scientology“ ist daher nicht auszuschließen.
Autoreninfo: 
Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.