Des Rindviehs wahrer Kern

Ausgabe 244

(iz). In Deutschland werden Moscheen immer wieder an seltsamen, ja sogar fragwürdigen Orten eröffnet. Am 8. September wurde in Hamburg die Mevlana Moschee (Neuer Kamp 31a) wiedereröffnet. Unter den Rednern der Veranstaltung war auch Peter Bauer, der Leiter der EDEKA Nord, von der die Moscheegemeinde die Räumlichkeiten gemietet hat. Das seltsame, oder auch fragwürdige, an dieser Location ist, dass es sich hierbei um die alte „Rindermarkthalle“ handelt, die hundert Jahre lang das Eingangstor zu Hamburgs zentralem Schlachthof war, einem Schauplatz millionenfachen Tierleids. Nicht verwunderlich also, dass der Ort der prächtig ausgestatteten Moschee lange umstritten war. „Um die Seelen der hier zu Tode gequälten Kühe versöhnlich zu stimmen“, so Peter Schütt, trug dieser bei der Eröffnungsveranstaltung eine amüsante historisch-religiöse Liebesbekundung an die tierischen Freunde des Menschen vor.
Der legendäre Babur Padischah, der erste Moghulkaiser, wollte im fundamentalistischen Eifer des Neubekehrten seinen indischen Untertanen die heidnischen Sitten austreiben. Er wollte sie gleichsam über Nacht zum Islam bekehren und sie zugleich von der unreinen Last ihrer Heiligen Kühe befreien. Er schickte auf dem ganzen Subkontinent Kuhfänger aus, die die lästigen Rindviecher einfangen und in die Sümpfe verschleppen sollten, damit sie dort von den Tigern gefressen werden.
Den frommen Hindus blieben diese Angriffe auf ihre hochverehrten Kühe nicht verborgen. Sie sannen auf Rache. In aller Stille trieben sie im Jahre 1520 im Schutze der Nacht ihre Lieblingstiere vor dem Palast des Großmoghuls in Agra zusammen. Kaum wurde in der Frühe das Große Tor geöffnet, so setzten sich die Rinder in Trab und drängten, ohne dass die Wächter sie aufhalten konnten, hinein in die kaiserlichen Gärten, Küchen und Haremsgemächer. Sie fraßen begierig, was sie zu fressen fanden: Gemüse, Gewürzkräuter und die süßesten Früchte, aber auch die vegetarischen Küchenvorräte, das Obst aus den Servierschalen im Harem und die Granatäpfel, des Kaisers liebste Frucht.
Sie stießen mit ihren Hörnern jede Tür, jedes Tor und jede Pforte auf und standen schließlich wiederkäuend sogar im Gebetssaal der Hofmoschee. Dort taten sie, was große Tiere in solchen Situationen zu tun pflegen, denn auch Heilige Kühe – Gott verzeihe mir meine Wortwahl, aber dieser Spruch stammt immerhin von keiner geringeren als Annemarie Schimmel –, auch Heilige Kühe machen manchmal Scheiße, sie machen schlicht und einfach Mist und haben Schiss, besonders wenn sie in die Enge getrieben sind.
Eine volle Woche, so berichten die Chronisten, hätte die tausendköpfige Leibgarde des Padischah gebraucht, um die eingedrungenen Rinder sanft aus den Gärten zurückzudrängen und die Paläste und das umliegende Gelände von ihren Hinterlassenschaften zu befreien.
Baburs Nachfolger, Akbar der Große, verstand sich weit besser auf den Umgang mit Hindus und Heiligen Kühen. Tolerant und gescheit, wie er war, holte er nicht nur Gelehrte aus allen 73 islamischen Rechtsschulen als Berater zu sich an den Hof, sondern lud auch weise Männer und Frauen aus allen anderen Religionen, die sich in Allahs indischen Gärten entfaltet hatten, zur Mitwirkung ein: Hindus, Jains, Parsen, Juden, Christen, Sikhs, Buddhisten und Konfuzianer. Nicht minder großzügig verfuhr er mit den nächsten animalischen Verwandten des Menschen, den Tieren.
Er ließ einen großen Garten anlegen, der sich vom Ufer des Stromes bis zum Fuß der Gebirge erstreckte. In dieser Gartenanlage, die „parideiza“ genannt wurde, das altpersische Wort für „Paradies“, wurden Freigehege geschaffen für all die tierischen Mitgeschöpfe, die im Qur’an und den Hadithen des Propheten – Friede sei mit Ihm – besondere Ehre erfahren. Den Ameisen wurden eigene Straßen gebaut, den Bienen wurden mit Bernstein verzierte Körbe geflochten, und für die Spinnen, die einst dem Propheten das Leben gerettet hatten, wurden Höhlen geöffnet, damit sie dort ungestört ihre Webkünste vollenden konnten.
Die Schafe erhielten eine eigene Weide zum Dank dafür, dass sie sich anstelle Ismails aufgeopfert hatten. Die Esel bekamen eigene Lorbeerbüsche zum Beißen, weil Jesus auf einem von ihrer Art in die Heilige Stadt Jerusalem geritten ist. Daneben hatten die Kamele ihr Revier. Sie hatten den Propheten Mohammed und seine Gefährten über weite Wege durch die Wüsten getragen, hatten ihnen Schatten gespendet und Milch gegeben. Im Volk des Propheten Salih galten die tragenden Kamelkühe sogar als heilige Tiere. Unmittelbar am Fluss gelegen war der Park für die wilden Pferde, hatte doch eines von ihnen, Burak, den Propheten des Islam in einer einzigen Nacht von der nächsten bis zur fernsten Moschee in Jerusalem getragen. Auch die Elefanten hatten ihren eigenen Porzellanladen, in dem sie sich nach Herzenslust austoben konnten, weil sie aufgrund ihres Starrsinns einmal die Stadt Mekka vor der Zerstörung bewahrt hatten. Ebenso begünstigt waren ausgerechnet die Wölfe. Aufgrund ihres Sinnes für soziale Gerechtigkeit war einer von ihnen dem Rat des Propheten Mohammed gefolgt und hatte sich nicht das Schaf des armen Mannes, sondern das eines reichen Grundherrn geholt.
Zwei Haustieren wurden im Paradiesgarten Akbars des Großen besondere Vorzüge eingeräumt, Hund und Katze. Sie lebten – entgegen einer weit verbreiteten Ansicht – friedlich neben- und miteinander. Den Hunden aller Rassen, Größen und Farben erging es darum besonders wohl, weil einer aus ihren Reihen den Schlaf der Siebenschläfer dreihundert Jahre lang treu bewacht hatte. Aber noch eine Spur besser dran waren die Katzen am kaiserlichen Hof. Stolz sonnten sie sich im Ruhm von Abu Hurairas Katze, die dem Propheten des Islam einst so nah gekommen war, dass sie es wagte, dem heiligen Mann, sobald er sich niederbeugte zum Gebet, auf die Schulter zu springen.
Im großen Gartengehege des Moghulherrschers hatten die Heiligen Kühe überall freien Auslauf, nicht nur weil sie den Hindus als heilig galten, sondern auch, weil die längste und nach Meinung des Kaisers wichtigste Sure des Qur’ans, die zweite Sure, schlicht und einfach Al-Baqara, die Kuh, heißt. Zu ihren Ehren wurde eigens ein prächtiges Kuhtor errichtet, breit genug, um auch dem stärksten Bullen Einlass zu gewähren. Auch für die unflätigen Hinterlassenschaften der Rinder, die Kuhfladen, fand Akbar der Große eine qur’angerechte Lösung. Er ließ für die scheuen Wiedehopfe, mit deren Hilfe einst Salomon und die Königin von Saba geheime Liebesbotschaften austauschten, überall Nistkästen aufhängen. Die Vögel waren bestens darin geübt, aus dem Kuhflat die stinkenden Maden, Würmer und Käfer herauszuziehen. Der Rest trocknete schnell und konnte als Dung, als Brennstoff und sogar als Baustein recycelt werden.